Das Inferno in Kalifornien zählt bereits jetzt zu den teuersten Naturkatastrophen aller Zeiten. Dabei war das Versicherungssystem schon vorher marode. Wer zahlt das alles?
Sich gegen Gott zu versichern, ist teuer. Es nicht zu tun, ist teurer.
Einen "Act of God", so nannten US-Versicherer Naturkatastrophen einst und meinten das Unkontrollierbare. Auch heute noch kann im Fall der Fälle niemand mit irdischem Beistand rechnen, der sich nicht vorher gegen das vermeintlich himmlische Einwirken abgesichert hat. Ob und in welchem Maß der Mensch "Gottes Zorn" durch das Anfachen des Klimawandels provoziert hat oder eben nicht, darüber werden sich Juristen in Zukunft immer öfter in die Haare kriegen.
In Los Angeles denken sie heute nicht so weit, sie haben Angst vor morgen. Dabei war nicht nur das Brandinferno eine Katastrophe mit Ansage, das gleiche gilt für den drohenden Kollaps des kalifornischen Versicherungssystems. PAID LA Brände Ausblick 12:49
Kalifornien – wo Waldbrand Tradition ist
Zwar gehören Waldbrände zu Kalifornien wie der Walk of Fame zu Hollywood. Aber das Ausmaß der Brände hat sich erheblich verschlimmert. Mehr als 3300 Feuer haben zwischen 2009 und 2018 eine Fläche 32-mal größer als Berlin verschlungen. Im selben Zeitraum 30 Jahre zuvor war es nicht einmal die Hälfte.
Daten der US-Umweltbehörde EPA zufolge ist der Golden State der mit Abstand am stärksten von klimabedingten Waldbränden heimgesuchte Bundesstaat, insbesondere das Wüstenbecken östlich von Los Angeles. Laut einer Studie der Forschergruppe Climate Central gibt es hier im Durchschnitt 61 mehr sogenannte "Feuerwettertage", an denen die Bedingungen für Waldbrände besonders günstig sind, als noch vor 50 Jahren. Vielen Versicherern wird das langsam zu heiß.
Der California FAIR Plan: Der letzte wird zum gängigen Ausweg
182 Dollar zahlen Heimbesitzer derzeit monatlich im Landesdurchschnitt. Wie für Immobilien üblich, kommt es auch bei den Preisen für Hausversicherungen auf dreierlei an: Lage, Lage, Lage. Doch, Überraschung: Im leicht entflammbaren Kalifornien war die Absicherung bislang im Schnitt 67 Dollar günstiger im Monat. Das liegt daran, dass die Landesregierung die Prämien hier seit Ende der 80er künstlich niedrig hielt. Was nach vorbildlicher Verbraucherpolitik klingt, treibt viele Hausbesitzer jetzt womöglich in den Ruin. Feuerwehr bei Los Angeles kämpft gegen flammendes Inferno 08.03
Hunderttausende ließen sich, angelockt von den niedrigen Beiträgen, an den Grenzen von Wald und Stadt nieder, den potenziell gefährlichsten Feuerschneisen. Weil Versicherer gleichzeitig die Beiträge nicht an das steigende Risiko anpassen durften, taten sie das ethisch fragwürdige, aber unternehmerisch sinnvolle: Sie lehnten potenzielle Neukunden immer öfter ab, kündigten Bestandskunden – oder zogen sich ganz aus Kalifornien zurück. Elf Anbieter sahen sich zu derlei Maßnahmen gezwungen, allein State Farm, der größte Hausversicherer der USA, hatte im März angekündigt, in Kalifornien 72.000 Policen nicht zu erneuern. Zu oft und zu viel mussten die Anbieter in den vergangenen, im wahrsten Sinne katastrophalen Jahren blechen, ohne aus Fehlern lernen zu dürfen.
Inzwischen ist jeder zehnte Hausbesitzer in Los Angeles nicht versichert. Auch im Stadtteil Palisades, wo derzeit die heftigsten Brände wüten und mindestens 5000, durchschnittlich 3,5 Millionen Dollar teure Häuser in Schutt und Asche liegen, wurde zwischen 2020 und 2022 jeder zehnte Vertrag einseitig nicht erneuert. Zwar hatte der kalifornische Versicherungskommissar Ricardo Lara am Samstag erklärt, dass Versicherer rückwirkend bis Oktober ihren Kunden ein Jahr lang nicht kündigen dürfen. Doch ist das bloß ein Tropfen auf den heißen Stein.
Viele Hausbesitzer, auch in Palisades, sind aus Mangel an Alternativen sowieso längst auf ein staatlich unterstütztes Programm ausgewichen, den California Fair Access to Insurance Requirements (FAIR) Plan. Zwar bietet der bei Weitem nicht denselben Schutz wie kommerzielle Anbieter und ist meist sogar erheblich teurer. Aber besser ein mieser als gar kein Schutz. Obwohl die FAIR-Policen eigentlich als "last resort", als letzter Ausweg gedacht sind, haben sich die Abschlüsse in den vergangenen zwei Jahren verdoppelt, die potenzielle Schadenssumme auf 458 Milliarden Dollar verdreifacht. Der FAIR Plan ist damit "de facto die Versicherung des Staates", erklärt Benjamin Collier, Professor für Risikomanagement, dem "Time Magazine".
Und jetzt ist er da, der Fall der Fälle. Wie Trump das Feuer in Kalifornien politisiert 19.55
Hauptsache, Versicherer versichern, zu versichern
Noch während sich die Flammen durch die Region fressen, schätzen Experten die Schäden auf weit über 50 Milliarden Dollar. Damit belegen die Feuerstürme von Los Angeles bereits jetzt den ersten der kalifornischen und einen Platz unter den Top Ten der kostspieligsten Naturkatastrophen der US-Geschichte.
20 Milliarden Dollar davon bleiben laut Schätzungen von Analysten der US-Bank JP Morgan bei den Hauseigentümern und deren Versicherungen hängen. Das könnte zum endgültigen Zusammenbruch des maroden Systems führen. Warum? Weil der FAIR Plan, von dem jetzt die Zukunft vieler Heimatberaubter abhängt, von privaten Anbietern mitgetragen wird. Reichen die staatlichen Reserven nicht aus – was sie, derart aufgebläht, wie das Programm inzwischen ist, definitiv nicht tun – müssen die kommerziellen Versicherer einspringen.
Die Angst davor hatte Versicherungskommissar Lara erst kürzlich zu einer Reihe Reformen veranlasst, die den Anbietern sehr entgegenkamen – zu sehr und zu spät, wie Verbraucherschützer monieren. So dürfen Versicherer im "Bündnisfall" die eigenen Kunden zur Rettung des FAIR Plans mit ins Boot zerren, also quasi eine Feuersteuer erheben. Auch erhalten Anbieter erstmals die Erlaubnis, Katastrophenprognosen zur individuellen Risikoeinschätzung zu erstellen und die Kosten der eigenen Rückversicherung auf die Kunden abzuwälzen. Beides längst Standard in anderen Bundesstaaten. Hauptsache, die Versicherer versichern, zu versichern. Denn im Gegenzug sollen sich erfolgreiche Anbieter, die mindestens zehn Prozent des kalifornischen Marktes kontrollieren, dazu verpflichten, ihre Dienste wieder in risikoreichen Regionen anzubieten.
Bloß: Selbst wenn die Reformen die Rettung gewesen wären – sie traten erst Ende Dezember in Kraft – nur wenige Tage, bevor die Hölle über Los Angeles hereinbrach.
Trübe Aussichten
Das Camp Fire, im Vergleich zum aktuellen Inferno wirklich bloß ein Lagerfeuer, hatte die Branche 2018 bereits an den Rand des Stemmbaren gedrängt. "Ich mache mir Sorgen, dass wir nur eine einzige schlechte Feuersaison von der vollständigen Insolvenz entfernt sind", sagte Jim Wood, damals Abgeordneter in Kalifornien bei einer Anhörung im März.
Sollten die Kalifornier noch einmal mit einem blauen Auge davonkommen: Was passiert beim nächsten Feuersturm? Dass der ausbricht, ist schließlich nur eine Frage der Zeit.
Welcher gewinnorientierte Versicherer macht da noch mit? Welche Bank vergibt Hypotheken ohne Versicherung? Und sowieso: Wer baut oder kauft schon ein Haus, das sich gar nicht oder nur zu horrenden Konditionen versichern lässt und mit einer bedenklich hohen Wahrscheinlichkeit in Flammen aufgeht, weggespült oder vom Winde verweht wird?
Denn Kalifornien, das ist erst der Beginn. Im ganzen Land kehren Versicherer durch Umweltkatastrophen gepeinigten Regionen den Rücken – nicht nur "traditionellen" Katastrophenstaaten. Ein Gespenst steht an der Schwelle, ein Einbruch der Immobilienwerte "mit dem Potenzial, eine umfassende Finanzkrise auszulösen, ähnlich wie im Jahr 2008", heißt es in einem vergangene Woche veröffentlichen Bericht des Haushaltsausschusses des US-Senats in Washington. "Um ein solch verheerendes Schicksal zu vermeiden, müssen wir den Übergang zu sauberer Energie beschleunigen", schreiben die Autoren. Derweil träumt der nächste Präsident von der Wiedergeburt der USA als Ölnation.
Weitere Quellen: "Wall Street Journal"; "Vox"; "Axios"; CBS; "New Yorker"; "Politico"