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Ein-/Ausreisesystem: Wieder neuer Fahrplan für EU-Biometrie-System



Nach anhaltenden Schwierigkeiten plant die EU jetzt eine schrittweise Einführung des Ein-/Ausreisesystems EES, am 6. März sollen die Innenminister:innen der EU-Länder dazu eine Anpassungsverordnung beschließen. Die Turbulenzen erinnern an die sechsjährige Verspätung des Schengener Informationssystems II.

Automatische Grenzkontroll-Gates am Münchner Flughafen, von schräg oben fotografiertBeim geplanten Ein-/Ausreisesystem sollen auch biometrische Daten per Selbstbedienung hinterlegt werden können. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Manfred Segerer

Weiterhin gibt es in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erhebliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Einreise-/Ausreisesystems (EES). Deshalb setzt sich nun eine neue Idee durch: Im Dezember hat die EU-Kommission nach Aufforderung des Rates eine Anpassungsverordnung vorgeschlagen, die innerhalb von 180 Tagen eine schrittweise Inbetriebnahme des riesigen Biometrie-Systems ermöglichen soll. Diese soll nun eilig beschlossen werden.

Am 6. März will der Rat der Innenminister:innen die Vorlage in einer allgemeinen Ausrichtung annehmen; die Bundesregierung hat bereits Zustimmung signalisiert, auch der Bundesrat hat den Entwurf abgenickt. Nach dem Beschluss der Mitgliedstaaten geht der Rechtsakt an das EU-Parlament und es beginnt der Trilog mit dem Rat und der Kommission. Nach Informationen von netzpolitik.org sollen die Abgeordneten unter Druck gesetzt werden, der Verordnung im Eilverfahren zuzustimmen.

EES soll Biometrie-Lücke schließen

Das EES ist ein zentrales Element im digitalen Grenzmanagement des Schengen-Raums. Es erfasst vier Fingerabdrücke und das Gesichtsbild von Drittstaatsangehörigen, wenn diese die Außengrenzen überschreiten, und speichert die Daten für drei Jahre. Davon betroffen sind alle Reisenden aus Ländern, mit denen die EU Visaerleichterungsabkommen für Kurzzeitvisa abgeschlossen hat. Damit wird eine Lücke für biometrische Daten geschlossen: Reguläre Visa-Inhaber:innen sowie Asylsuchende haben ihre Fingerabdrücke und Gesichtsbilder bereits bei der Antragsstellung abgegeben.

Mit dem Ein-/Ausreisesystem wollen die 29 Schengen-Staaten Aufenthaltsüberzieher entdecken. Zudem wollen die Grenzbehörden das Risiko von Identitätsbetrug verringern. Schließlich soll die Polizei die im EES gespeicherten Daten auch für Ermittlungen nutzen dürfen. Die technische Verantwortung für den Betrieb des Systems liegt bei der EU-Agentur für das Management von IT-Großsystemen (eu-LISA).

Ursprünglich war der Start des EES für 2022 vorgesehen. Als Grund für die Verspätung galten Lieferschwierigkeiten bei den beauftragten Firmen. Zuletzt hatten es Grenzbehörden in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden nicht geschafft, die finalen Tests ihrer an das Zentralsystem angeschlossenen, nationalen Biometriesysteme abzuschließen.

Start zunächst an ausgewählten Kontrollstellen

Gemäß der geplanten Übergangsverordnung sollen alle Schengen-Staaten das EES ab dem – bislang noch nicht festgelegten – Starttermin einsetzen, wobei in den ersten 30 Tagen lediglich zehn Prozent der Reisenden registriert würden. Zudem wird der Betrieb anfangs auf ausgewählte Grenzkontrollstellen beschränkt. Spätestens am 90. Kalendertag nach der schrittweisen Inbetriebnahme sollten die Mitgliedstaaten das EES an mindestens der Hälfte ihrer Grenzübergänge einsetzen.

Der eu‑LISA-Verwaltungsrat rechnet mit einem anschließenden Start des Gesamtsystems im Herbst 2025. Allerdings ist auch dieser Termin unsicher. Frankreich hatte in der Vergangenheit bereits eine Terminverschiebung gefordert, um Staus bei der Abnahme der biometrischen Daten während der Olympischen Sommerspiele 2024 zu vermeiden. Nun fordert Italien angesichts der Olympischen Winterspiele ebenfalls eine Verschiebung um bis zu 18 Monate.

Das EES ist ein Bestandteil des EU-Projekts „Interoperabilität“, das verschiedene biometrische Datenbanken und Informationssysteme miteinander verknüpfen und durchsuchbar machen soll. Ebenfalls Teil der „Interoperabilität“ ist das „Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem“ (ETIAS), mit dem sich Reisende vor dem EU-Grenzübertritt anmelden sollen. Weil dessen Start an das EES gekoppelt ist, werden auch hier neue Verspätungen erwartet.

Europäische Staatsanwaltschaft untersucht Atos

Vor zwei Wochen wurde zudem bekannt, dass die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) die französische IT-Firma Atos untersucht. Atos ist Hauptlieferant für das EES. Es besteht der Verdacht, dass die Moskauer Niederlassung von Atos in die Auftragsvergabe eingebunden war. Interne Unterlagen, die der „Financial Times“ vorliegen, legen nahe, dass die Firma bereits im Jahr 2021 in Russland ansässige Mitarbeiter:innen einsetzte, um Software für das EES zu beschaffen.

Angeblich deuten die Leaks darauf hin, dass das Moskauer Büro unter einer Lizenz operierte, die dem russischen Geheimdienst FSB einen Zugriff auf ihre Tätigkeiten ermöglichte. Hierfür wäre aber eine EU-Sicherheitsfreigabe notwendig gewesen. Frühere Untersuchungen durch die EU-Anti-Betrugs-Agentur Olaf hatten bereits auf unzureichende Sicherheitsvorkehrungen bei eu-Lisa hingewiesen.

Die Turbulenzen des EES erinnern an die Einführung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II). Ursprünglich für 2007 geplant, wurde das große europäische Fahndungssystem schließlich sechs Jahre später in Betrieb genommen. Die Gründe lagen im Beitritt weiterer EU-Staaten, mangelhafter Koordination zwischen den Nutzerstaaten sowie technischen Problemen. Die Ausgaben waren deshalb von ursprünglich geplanten 15 Millionen Euro auf 168 Millionen Euro gestiegen. Das Zentralsystem des EES war im Jahr 2019 noch mit 212 Millionen Euro veranschlagt; zu den endgültigen Kostensteigerungen ist bislang nichts bekannt.


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