Olaf Scholz macht die Warnung vor "Rentenkürzungen" zum Schlager des heraufziehenden Bundestagswahlkampfs. Dabei drohen mitnichten Kürzungen bei den Altersbezügen. Und der Kanzler unterschlägt damit, wie es den Millionen Rentnern wirklich geht.
Jetzt, wo klar ist, wann gewählt wird, zeichnet sich auch schon ab, wie gewählt wird - oder besser: wie Wahlkampf gemacht wird. In seiner Regierungserklärung hat zum Beispiel der Bundeskanzler ein Kampfwort wiederholt, das er schon in der ARD-Sendung bei Caren Miosga gesetzt hatte: das der "Rentenkürzung". In seiner Regierungserklärung hat er es mindestens ein halbes Dutzend Mal in den Plenarsaal geschmettert.
Nun droht ein Renten-Wahlkampf. Von oberster Stelle. Verbogen und Verlogen.
Laut Olaf Scholz hätten die letzten Pläne des (vermeintlich) ruchlosen FDP-Finanzministers vorgesehen, Haushaltslücken "zu finanzieren mit Rentenkürzung". Auf die Rückfrage der Moderatorin: "Rentenkürzung?" antwortet Scholz: "Ja, selbstverständlich. Zu den Vorschlägen zählte, an der Rentenformel etwas zu ändern, was im Ergebnis immer eine Kürzung des Rentenniveaus bedeutet." Im Bundestag sprach er von einer "Rentenkürzung durch Unterlassen" oder "Einschnitten bei Rente, Pflege und Gesundheit".
Kürzungen? 21 Millionen Rentner schauen besorgt ins Portemonnaie und bekommen Angst. Und wählen ihre Schutzmacht SPD und den Kanzler, der sich dazwischengeworfen hat?
Man muss es so krass sagen: Das ist eine Lüge. Eine Lüge, weil es faktisch unwahr ist und man Olaf Scholz unterstellen darf, dass er es besser weiß. Dass er also absichtlich den 21 Millionen Rentnern Angst macht, um darauf seine Wahlkampfsüppchen zu kochen. Bislang war sich nur Sahra Wagenknecht nicht zu schade für solch eine Schande.
Die Wahrheit: Rentnern geht es gut
Erstens: Kein Rentner hätte durch die Vorschläge des Finanzministers weniger Rente bekommen als vorher. Kein Auszahlbetrag wäre "gekürzt", also kleiner geworden. Die Rente steigt jedes Jahr. Es sei denn, die Löhne fallen auf ganz breiter Front, was ganz selten passiert. Und selbst dann bleibt die Rente gleich. Das gewährleistet die gesetzliche "Renten-Garantie".
Zweitens: Wenn das Rentenpaket II der zerbrochenen Bundesregierung nicht beschlossen und unter einer neuen Regierung durch nichts Vergleichbares ersetzt wird, könnte das "Rentenniveau" tatsächlich sinken. Aber auch das lässt die Renten in Euro und Cent nicht kleiner werden. Das "Rentenniveau" ist eine gedachte Verbindung zwischen den Durchschnittslöhnen und einer fiktiven Durchschnittsrente ("Standardrente"). Derzeit beträgt die Durchschnittsrente 48 Prozent der Durchschnittslöhne. Sinkt dieser Prozentwert, heißt das lediglich, dass die Löhne im Schnitt etwas schneller steigen als die Renten. Aber keine Rente sinkt deswegen, denn die Löhne steigen ja.
Drittens: Wenn die Preise schneller steigen, als die Rente steigt, hat der Rentner weniger Kaufkraft. Das ist keine "Kürzung", wie der Kanzler sie an die Wand malt, aber es wäre eine Einbuße. In den Jahren 2000 bis 2020 ist die Rente allerdings schneller gestiegen als die Preise. Im Jahr 2022 war es anders. Im Jahr 2023 lagen Inflation und Rentensteigerung ungefähr gleichauf. Dieses Jahr wird die Rente wieder stärker steigen als die Preise. Und, wichtig: Wer Inflationsschutz für Rentner fordert, um (eine vermeintliche) "Kürzung" zu vermeiden, der müsste erklären, warum es nur die Rentner so gut haben sollen, die zig Millionen Arbeitnehmer und Unternehmer aber nicht. Warum soll der einen Gruppe ein Kaufkraftschutz finanziert werden mit dem (Steuer-) Geld der anderen Gruppen, die keinen solchen Schutz bekommen? Gerecht wäre das ja wohl nicht.
Viertens: Der Finanzminister wollte die Abschläge erhöhen, die in Kauf nehmen muss, wer Monate oder Jahre vor dem Erreichen seines gesetzlichen Rentenalters die gesetzliche Rente beziehen will. Das hätte den vorzeitigen Wechsel in die Rente weniger attraktiv gemacht und sollte die Älteren länger in Arbeit halten, weil sie in der Wirtschaft gebraucht werden. Käme es zu den höheren Abschlägen, weil jemand früher aufhört zu arbeiten, würde die Rente im Einzelfall entsprechend kleiner ausfallen als bislang gedacht. Aber das eine "Kürzung" zu nennen, ist so falsch, wie zu erklären "Das Autofahren wird teurer", wenn die Sätze für Geschwindigkeitsüberschreitung oder Falschparken erhöht werden.
Fünftens: In den Plänen des Ex-Finanzministers waren 4,5 Milliarden Euro Einsparung geschätzt. Aber auch das heißt nicht, dass beim Einzelnen "gekürzt" würde. Es heißt, dass die Steuerkasse weniger an die Rentenkasse überweisen müsste, weil die Berechnung künftiger Renten verändert wird oder die Leute den Renteneintritt hinauszögern.
Eines hat der Bundeskanzler im Bundestag übrigens nicht erwähnt: den alle vier Jahre erscheinenden Alterssicherungsbericht der Bundesregierung, der ausgerechnet kurz vor seiner Regierungserklärung durchs Kabinett rutschte. Darin steht regierungsamtlich geschrieben, dass "die heutigen Seniorinnen und Senioren in Deutschland überwiegend gut versorgt sind. Das Netto-Gesamteinkommen aus Alterssicherungsleistungen und zusätzlichen Einkünften liegt bei älteren Paaren im Durchschnitt bei monatlich 3759 Euro. Unter alleinstehenden Männern sind es im Durchschnitt 2213 Euro, bei alleinstehenden Frauen 1858 Euro." Und: "Die Haushaltsnettoeinkommen lagen damit im Jahr 2023 im Durchschnitt um 25 Prozent höher als 2019, dem Jahr des letzten Alterssicherungsberichts."
Kurzum: Den Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland geht es deutlich besser als immer behauptet. Eine Rentenkürzung droht ihnen nicht. Wer das leugnet oder verwischen will, vergeht sich an diesen Rentnern. Der sät Angst und wird Wut ernten.