
Die AfD hat das Potenzial, stärkste Kraft zu werden bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland. Wenn die Partei mitregiert, würde sie nicht zuletzt die Bildungspolitik verändern: Die AfD will mehr "Heimatliebe" vermitteln und "Belastungsfaktoren" ausschließen - gemeint sind ganze Gruppen von Schülern.
Hakenkreuze, Hitlergrüße, Mobbing von Schülern mit Migrationshintergrund und Drohungen gegen Lehrer, die das alles nicht hinnehmen wollen: Im vergangenen Jahr machten die beiden Lehrer Laura Nickel und Max Teske die rechtsextremen Umtriebe an ihrer Schule im brandenburgischen Burg öffentlich. Sie brauchten hiernach Polizeischutz und verließen schließlich die Schule. Der bundesweit bekannt gewordene Vorgang hat deutlich gemacht, in welchem Ausmaß der Kampf um die Demokratie inzwischen in den Klassenzimmern und auf dem Schulhof ausgetragen wird. Das gilt insbesondere für die ostdeutschen Bundesländer.
Wenig überraschend hat auch die im Osten als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD die Schulen längst als Arena zur Verwirklichung ihrer Ziele ausgemacht. Am 1. September wird in Sachsen und Thüringen gewählt, am 22. September in Brandenburg. Die AfD könnte dort überall stärkste Kraft werden. Noch beteuern alle größeren Parteien und auch das BSW, dass eine Koalition mit der rechten Fraktion tabu ist. Doch was könnte passieren, wenn diese Grenze aufweicht?
Würde die AfD mitregieren und etwa den Kultusminister stellen, hätte das weitreichende Folgen. Die wären insbesondere in der Bildungspolitik zu sehen, da dieser Aufgabenbereich zum Großteil in der Verantwortung der einzelnen Länder liegt. Die Rechtsaußen-Partei formuliert vor allem Einwände gegen bestehende Strukturen und gibt nur zum Teil zu erkennen, was sie - einmal in der Verantwortung - selbst tun würde.
Tatsächlich gleichen die bestehenden Strukturen einer Baustelle: steigender Lehrkräftemangel, viel Unterrichtsausfall und immer schlechter werdende Ergebnisse bei den PISA-Studien. Viele Lehrkräfte fühlen sich mit den Problemen von der Politik offenbar im Stich gelassen. So auch der Schulleiter eines Thüringer Gymnasiums, der anonym bleiben möchte. Er ist enttäuscht von der Landesregierung: "Unsere Schule ist sehr durchmischt, wir haben Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder aus sozial schwachen Familien - aber es fehlt an Lehrkräften und Geldern, die zur Verfügung gestellt werden."
Ablehnung einer heterogenen Gesellschaft
Diese Probleme greift die AfD für ihren Wahlkampf auf. Zentrales Thema der drei AfD-Landesparteien ist das, was der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in einem MDR-Interview von 2023 wiederholt als "Ideologiewahnsinn" bezeichnete. Höcke meint damit das Thema Inklusion - das gemeinsame Unterrichten, unabhängig von Lernleistungen und Behinderung - und das "Gender-Mainstreaming". Der Ansatz des Gender-Mainstreamings ist eine Strategie der Bundesregierung und beschreibt die Gleichstellung der Geschlechter für eine bessere Teilhabe und Sichtbarkeit der Frau.
Die AfD plant ein Bildungssystem, in dem Menschen je nach Leistung, Herkunft oder Fähigkeiten eingeteilt und bewertet werden. Sie würde Menschen mit Behinderung von Regelschulen ausschließen, weil sie laut Höcke "Belastungsfaktoren" sind und das Lernen nicht weiterbringen. Auch die Haltung gegenüber anderen Minderheiten ist klar negativ. Die Rechtsaußen-Partei macht besonders migrantische Kinder für den angeblichen Verfall des deutschen Bildungssystems verantwortlich.
Rolf Weigand, bildungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion Sachsen, bemängelte die "ausufernde Durchmischung der Schulklassen" und forderte auf der Website der Partei: "Unbegleitete, minderjährige Migranten sollten gesondert in ihrer Heimatsprache unterrichtet werden." Für ukrainische Kinder schlägt er digitalen Unterricht in ihrer Heimatsprache vor, anstatt sie ins deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem zu integrieren.
Die AfD gibt sich überzeugt: Klassen mit Kindern ohne Migrationshintergrund seien der Schlüssel zum Erfolg. In Brandenburg fordert sie, dass der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund auf 10 Prozent zurückgeführt wird. Wie das in der Umsetzung funktionieren soll, ist unklar. Auch ein Kopftuchverbot und eine Deutschpflicht sollen auf dem Schulgelände eingeführt werden. PISA-Studien widersprechen der AfD-These von Migration als Belastungsfaktor: Nicht der Migrationsanteil in den Klassen sei entscheidend für die Leistung einzelner Schüler und Schülerinnen, sondern viel eher deren sozio-ökonomischer Hintergrund. Einkommen und Vorbildung des Elternhauses sind demnach prägend, egal ob die Kinder in Deutschland oder anderswo geboren sind.
Aufklärung zur Vielfalt wird gestrichen
Auch die "Genderideologie" möchte die AfD kippen. Es würde nicht nur die Nutzung von Gendersternchen verboten, sondern auch geschlechts- und identitätskritische Pädagogik gestrichen werden. Ziel ist es, sexuelle Vielfalt gänzlich aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Dabei zeigt eine Schweizer Studie, wie wichtig es ist, über sexuelle Diversität aufzuklären und sie zu normalisieren. Die Suizidrate bei homo- und bisexuellen sowie transgeschlechtlichen Jugendlichen ist viermal so hoch wie unter heterosexuellen Kindern, auch weil sie unter fehlender Akzeptanz leiden.
Die AfD strebt ein Bildungsumfeld an, das ausschließlich heteronormative und traditionelle Geschlechterrollen vermittelt. Das klassische Rollenbild von Mann, Frau und Kind würde als einzig richtiger Lebensentwurf propagiert werden, Alternativen dazu ignoriert oder sogar tabuisiert. AfD-Politiker wollen die Frauenquote abschaffen und Familien mit traditioneller Rollenaufteilung finanziell fördern. In den Schulen soll eine spezifische Jungenförderung eingeführt werden, die angeblich derzeit benachteiligt werden.
Als logische Konsequenz könnte eine mitregierende AfD sämtliche Fördermittel für Projekte wie "Schule ohne Rassismus" oder "Starke Lehrer, starke Schule" kürzen oder ganz streichen. Die Programme setzen Aufklärung, Demokratieerziehung und Wertebildung bei Jugendlichen in den Fokus. Wie wichtig solche Projekte in Anbetracht der hohen AfD-Wählerzahl gerade bei jungen Leuten sind, betont Udo Dannemann, Forscher der Universität Potsdam am Lehrstuhl für Politische Bildung, im Gespräch mit ntv.de: "Die aktuellen antidemokratischen Tendenzen an Schulen sind schon lange kein Einzelfall mehr, sondern der Ausdruck eines strukturellen und gesellschaftlichen Problems."
Das wird auch an der steigenden Zahl rechtsextremer Vorfälle an ostdeutschen Schulen deutlich. Im Schuljahr 2022/2023 meldeten die Schulämter 70 Ereignisse, fast doppelt so viele Fälle wie im vorigen Jahr. Dannemann geht sogar von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. "Viele Lehrkräfte sind unzureichend sensibilisiert für die Thematik, da fällt vieles durchs Raster." Die Hemmschwelle sinkt, der öffentlich gezeigte Hitlergruß und verfassungsfeindliche Symbole wie das Hakenkreuz seien kein Randphänomen mehr. Das Land Brandenburg habe das Problem erkannt und eine Fachstelle zur Beratung, Unterstützung und Begleitung der Schulen eingerichtet, sagt Dannemann. Denn: "Bildungseinrichtungen können das Problem alleine nicht lösen."
Einstimmigkeitsprinzip bei Länderkonferenzen
Auch bei den Unterrichtsinhalten hat die AfD ihre ganz eigenen Vorstellungen: Das Wahlprogramm der drei Landesparteien fordert das verstärkte Lehren von Heimatliebe zur positiven Identifikation mit Deutschland und der deutschen Kultur. Ob Bildung über nachhaltige Entwicklung, ein fächerübergreifendes Konzept, so im Lehrplan erhalten bliebe, ist fraglich: Die AfD glaubt schließlich nicht an den menschengemachten Klimawandel.
Zudem versteht sich die AfD im Bundestag als Anwalt des Föderalismus. Sie verlangt noch mehr Freiheit und Rechte für die einzelnen Länder und weniger Einmischung vom Bund. Das Kalkül: Wenn das Mitregieren der AfD nach den Kommunen als Nächstes auf Länderebene klappen sollte, will sie dort größtmögliche Beinfreiheit - nicht zuletzt bei den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Schon jetzt wäre die AfD als Mitentscheider bei der Kultusministerkonferenz herausfordernd für die Minister anderer Parteien. Viele Entscheidungen der 16 Kulturminister der Länder fallen nach dem Einstimmigkeitsprinzip.