Seit dem Pariser Klimaabkommen gab es keine vergleichbare COP mehr. Heute bröckelt der Erfolg von damals. Getrübt sind auch die Erwartungen in Baku. Ist der Klimagipfel out?
Es ist wieder so weit, die Welt kommt zusammen, um über einen Dauerbrenner zu streiten: den Klimawandel. Das Thema ist langwierig, kompliziert und deshalb für viele so anstrengend, dass sie sich am liebsten gar nicht mehr damit beschäftigen möchten. Zumal sich seit Jahrzehnten Katastrophen aneinanderreihen, während die politischen Erfolge überschaubar bleiben. Mit dieser pessimistischen Erwartung ist auch die 29. Klimakonferenz in Aserbaidschan gestartet.
Delegationen aus fast 200 Ländern diskutieren über Klimaschuld(en) und wer die Schäden bezahlen soll. Je nach Berechnung sind in den kommenden Jahren und Jahrzehnten bis zu einer Billion Dollar pro Jahr notwendig, um arme Länder bei Klimaschutz und Anpassung zu unterstützen. Die Geldfrage ist das Streitthema der COP29, die in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge von einem autokratischen Ölstaat ausgerichtet wird – auch das eine Debatte für sich. Daneben geht es um die Frage, wie die Welt den fossilen Ausstieg so schnell wie möglich hinlegt, um ihre globalen Klimaziele einzuhalten. Denn da bewegt sich zu wenig. So wenig, dass sich der UN-Klimachef Simon Stiell zum Auftakt des internationalen Gipfeltreffens bemüßigt fühlte, dem Totengesang etwas Leben entgegenzusetzen: Die globale Zusammenarbeit sei "nicht an einem toten Punkt" angekommen.
Wie kann er sich da so sicher sein?
Die Klima-COPs taugen nicht mehr zum Null-Summen-Spiel
Seit Jahren jagt eine Umweltkatastrophe die nächste, die zeitlichen Abstände zwischen den Schlagzeilen werden immer kürzer. Das Pariser Klimaabkommen, von dem sich die Delegierten 2015 die Rettung des Planeten erhofften, ist knapp zehn Jahre später so gut wie gescheitert. Stattdessen steigt die globale Temperatur im Rekordtempo. Das 1,5-Grad-Ziel wird dieses Jahr sehr wahrscheinlich gerissen. Was dann passiert? Ein Plus von drei Grad gilt nach aktuellen Berechnungen als realistisch.Globaler Klimastreik FFF in Hamburg 20.00
Die Vereinten Nationen haben wegen des Klimawandels bereits die höchste Alarmstufe ausgerufen. Und bei der Eröffnung der Klimakonferenz in Baku setzte die Generalsekretärin der Weltwetterorganisation noch eine Hiobsbotschaft obendrauf: "Die rekordverdächtigen Regenfälle und Überschwemmungen, die Wirbelstürme, die plötzlich rapide gefährlicher werden, die tödliche Hitze, die unerbittliche Dürre und die schlimmen Waldbrände, die wir in diesem Jahr in verschiedenen Teilen der Welt erlebt haben, sind leider ein Vorgeschmack auf unsere Zukunft."
Dass eine wirksame Klimapolitik unabdingbar ist, glauben nicht nur Bürger in Deutschland. Trotzdem beginnt genau da ein politisches Paradox: Zum Wahlkampf taugt Klimapolitik längst nicht mehr, zeigen die EU- und US-Wahlen. Ursula von der Leyens Green Deal wurde abgewählt. In den Vereinigten Staaten wird Klimaleugner Donald Trump wieder Präsident. Die Tage, an denen eine der größten Volkswirtschaften der Welt das Pariser Klimaabkommen unterstützt, sind gezählt. Weltweit erstarken rechte Parteien, die sich an fossilen Brennstoffe klammern.
UN-Klimachef: "Können Baku nicht ohne vernünftiges Ergebnis verlassen"
Jede Klimaverhandlung war bisher ein Stresstest für das Weltklima. Doch in Baku stehen die womöglich schwierigsten Verhandlungen in der fast 30-jährigen Geschichte der Klimakonferenz an. Das Weltklima brodelt. Die Industrieländer fordern, dass auch China und Saudi-Arabien wegen steigender Emissionen ihren Anteil am Klimaschaden zahlen. Die weigern sich.
Die Erwartungen an die Verhandlungen in Baku sind niedrig. Die Staatschefs wichtiger Länder wie Deutschland, China, die EU, Indien oder die USA haben ihre geplante Teilnahme bereits abgesagt. Die Gründe mögen stichhaltig sein, doch in Zeiten der Klimakrise senden die Absagen ein verheerendes Signal: Der Klimawandel ist nicht so wichtig und die internationale Konferenz eigentlich entbehrlich.
Die Vergangenheit mag ihnen recht geben: Seit dem historischen Gipfeltreffen in Paris gibt es von den COPs nichts Wegweisendes mehr zu berichten. Daneben missbrauchen Gastgeber wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Aserbaidschan die internationalen Konferenzen, um in Hinterzimmern fossile Kontakte zu pflegen und Geschäfte abzuwickeln. Das führt Beschlüsse wie den Ausstieg aus den fossilen Energien ad absurdum.STERN Kommentar Klimaschutz und Ampelstreit
Und trotzdem betonen Beobachter und Wissenschaftler, dass die Klimakonferenz wichtiger denn je sei. Denn sie ist das einzige Forum, in dem die Klimakrise international diskutiert werden kann. Ohne sie wäre der Dauerbrenner wahrscheinlich längst vergessen. Gleichzeitig zwingt sie fast alle Staaten der Welt dazu, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen – auch jene, die kein Interesse daran haben.
Nur nützen die besten Beschlüsse nichts, wenn sie jeder nach eigenem Gusto umsetzen kann. Beispiel Paris: Klimaforscher kritisierten das 1,5-Grad-Ziel von Beginn an. "Am Ende war das ein globaler Persilschein für alle Länder der Erde", sagte Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber, ehemaliger Merkel-Berater und COP-Begleiter von der ersten Stunde an, im Interview mit dem stern. Dass es bisher keine klaren Umsetzungsregeln und gezielte Sanktionen gibt, ist laut Wissenschaftlern und Beobachtern ein Fehler, der sich aber durch alle Beschlüsse bisheriger Klimakonferenzen zieht.
Optimisten sehen die fehlenden Regeln weniger kritisch: "Wenn sich die Länder während der COP auf eine Richtung einigen, selbst wenn sie nicht verpflichtend ist, dann beeinflusst diese Vorgabe die nationalen Gesetze aller Staaten. Das ist der größte Hebel für weltweite Veränderung, den ich kenne", sagte Kai Monheim, der Staaten und Verhandler bei internationalen Gipfeln berät, im Gespräch mit der "Zeit". Auch in Baku glauben die Verhandler an die Kraft der Klimakonferenzen. Die Gespräche könnten sich manchmal fernab anfühlen. "Aber wir wissen, dieser Prozess funktioniert. Ohne ihn würde die Menschheit auf fünf Grad Erderwärmung zusteuern", betonte UN-Klimachef Stiell in seiner Auftaktrede und stellte gleichzeitig klar: "Wir können Baku nicht ohne ein vernünftiges Ergebnis verlassen."