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Enttäuschung? Keine Spur. Unions-Kanzlerkandidat Merz findet das Ergebnis von CDU und CSU "außergewöhnlich gut", wie er in Berlin sagt. Optimistisch zeigt er sich, dass es nun schnell zu einer Koalition mit der SPD kommt. Doch die tritt erstmal auf der Bremse.
Als Friedrich Merz am Mittag auf das Podium im Konrad-Adenauer-Haus steigt, passiert etwas Unerwartetes: Er bekommt Applaus. Allerdings nicht von den überdurchschnittlich zahlreich erschienenen Journalisten, sondern von den Mitarbeitern der CDU-Parteizentrale, die von der Galerie aus der Pressekonferenz unten im Foyer zusehen. Dann applaudiert Merz sich verbal selbst, als er über das Wahlergebnis spricht: "Ein außergewöhnlich gutes Ergebnis" seien die 28,6 Prozent gewesen, sagt er.
CDU und CSU hätten drei Millionen Stimmen mehr erhalten als 2021. Die gemeinsame Fraktion wachse um elf Mandate, obwohl der Bundestag wegen der Wahlrechtsreform insgesamt schrumpfe. "Das ist ein großer Erfolg", sagt Merz. Das mag einerseits stimmen. Andererseits hatte er selbst ein Ergebnis über 30 Prozent als Ziel genannt, sogar von 35 Prozent plus x war phasenweise die Rede. Tatsache ist: 28,6 Prozent sind das zweitschlechteste Ergebnis der Unionsgeschichte. Angesichts der Ampel-Schwäche hatten viele auf mehr gehofft. Und für möglich gehalten.
"Wir wollen Schwarz-Rot"
Am Tag nach der Wahlparty und einer "Nacht mit vollbesetzter Tanzfläche", Stichwort Rambo-Zambo, hat sich das Präsidium der CDU im Adenauer-Haus getroffen und über die Folgen der Wahl gesprochen. Um Personal, also wer ein Ministeramt bekommt, sei es noch gar nicht gegangen, beteuert Merz. Sehr wohl ging es um den künftigen Koalitionspartner. "Wir wollen Schwarz-Rot", sagt der CDU-Chef und kündigt an, noch am selben Tag mit SPD-Chef Lars Klingbeil zu sprechen.
Außen- und Sicherheitspolitik, Migration und Industriepolitik hätten Priorität für die Union, sagt Merz. Dabei ruft er das Zustrombegrenzungsgesetz in Erinnerung - die Union hat Ende Januar versucht, dieses gemeinsam mit der AfD zu beschließen. Die SPD hat sich gemeinsam mit den Grünen gegen den Gesetzentwurf gestellt. In der CDU hält man das für Wahlkampfgetöse. Zuletzt sagte Merz in der Elefantenrunde am Wahlabend, die Regelungen darin hätte man teils schon in früheren Koalitionen mit der SPD so beschlossen. An diesem Mittag sagt er: "Ich gehe davon aus, dass die Sozialdemokraten mit uns darüber sprechen werden."
Ähnlich optimistisch äußert er sich mit Blick auf die Industrie. "Ich gehe davon aus, dass die Sozialdemokratie ein Interesse daran hat, diese Arbeitsplätze zu erhalten", so Merz. Dabei erwähnt er den Wahlkreis Wolfsburg, den die CDU nun gewonnen habe -zuvor hätten stets Sozialdemokraten das Direktmandat geholt. "Dies sollte nun wirklich Grund und Anlass genug sein für die Sozialdemokraten, auch mit uns über die Wirtschaftspolitik, vor allem die Zukunft der Industrie in Deutschland zu sprechen."
Dabei redet Merz der SPD ins Gewissen. Dass die AfD ihren Stimmenanteil verdoppelt habe, sei "nun wirklich das letzte Warnzeichen an die politischen Parteien der demokratischen Mitte, in Deutschland zu gemeinsamen Lösungen zu kommen". Er sei fest entschlossen, mit der SPD "konstruktive, zügige, gute Gespräche zu führen", sagt er. "In etwa bis Ostern", wolle er eine Regierung bilden, kündigt Merz an. Ostersonntag ist am 20. April.
Damit klingt der wohl zukünftige Kanzler kompromissbereiter als noch Ende Januar. Da legte der CDU-Chef einen Fünf-Punkte-Plan für eine strengere Migrationspolitik vor und schloss Kompromisse aus. Er kündigte an, am ersten Tag seiner Regierung Asylbewerber an deutschen Grenzen zurückzuweisen. Diese Forderung bekräftigt er an diesem Montag. Die SPD hingegen hat stets darauf verwiesen, dies verstoße gegen Europarecht und eine Politik der Zurückweisung abgelehnt. An diesem Montag im Adenauerhaus fordert Merz außerdem Änderungen beim Bürgergeld. Es könne "so nicht bleiben", sagte er und äußert sich "zuversichtlich, dass die Sozialdemokraten das einsehen werden".
SPD erstmal kühl
Öffentlich zeigen die Sozialdemokraten diese Einsicht allerdings noch nicht. Generalsekretär Mattias Miersch klang bei ntv abwartend: "Ich sage ganz deutlich: Es gibt keinen Automatismus für eine solche Koalition." Er fügte hinzu: "Wir werden uns nicht aufgeben" und: "Niemand soll glauben, man kann irgendjemanden in eine Koalition prügeln." Merz habe leider noch kurz vor der Wahl "Dinge gesagt, die nicht gut sind".
Dabei spielte er auf den gemeinsamen Wahlkampfabschluss von CDU und CSU im Löwenbräukeller in München an. Da hatte Merz gesagt, er mache keine Politik für "grüne und linke Spinner", sondern für die Mehrheit der Bevölkerung, die "alle Tassen im Schrank habe". Die SPD fühlte sich offenbar angesprochen. Der CDU-Kanzlerkandidat sagte später, er habe Demonstranten der Antifa gemeint, nicht die SPD.
Doch Miersch ist nicht der einzige, dem das sauer aufstößt. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger sagte bei ntv, Merz habe viel Vertrauen verspielt. Er müsse nun zusammenführen. "Dafür hat er nicht so perfekte Vorarbeit geleistet, um das mal vorsichtig zu sagen." Parteichef Klingbeil hatte auf X gepostet, Merz mache die Gräben in der demokratischen Mitte "nochmals tiefer". Schon nach den umstrittenen gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD Ende Januar hatten viele SPD-Abgeordnete protestiert. Manche sagten gar öffentlich, sie würden Merz nicht zum Kanzler wählen.
Gut möglich, dass die SPD sich hier nur ziert, um den Preis für eine Koalition hochzutreiben. Doch ob Merz sich mit seinem Kompromisslos-Kurs in Sachen Migration, Bürgergeld und anderen Fragen durchsetzen kann, muss sich erst noch zeigen. Denn er muss nicht nur die SPD-Spitze überzeugen. Miersch stellte gegenüber ntv klar, am Ende müssten die Mitglieder über eine Koalition mit CDU und CSU entscheiden. Von denen hat Merz viele gegen sich aufgebracht. Der Weg zur Einsicht, die der CDU-Chef fordert, wird damit zumindest länger.