Einen Rettungsplan für die Linke wollen Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch an diesem Mittwoch in Berlin vorstellen. Es geht um die parlamentarische Existenz der Partei.
Der Thüringer Landtag, ein Sitzungstag in der vorigen Woche: Der geschäftsführende Ministerpräsident hat sich vom Automaten einen Cappuccino gezogen. Nun sitzt er an einem Tisch in der Kantine und versucht, nicht formal das zu bestätigen, was längst offenkundig ist: Er, Bodo Ramelow, 66 Jahre alt und einziger linker Regierungschef, will noch einmal für seine Partei in den Bundestag. Dorthin, wo er von 2005 bis 2009 schon einmal war.
"Es gibt zwei Wege, wie wir als Partei gut im Parlament vertreten sein können", sagt Ramelow. "Und diese beiden Wege müssen wir absichern." Aber: "Dazu werden wir uns am Mittwoch äußern."
Für diesen Mittwoch ist ein Termin in der Berliner Bundespressekonferenz gebucht, unter dem Titel: "Projekt Silberlocke geht an den Start." Neben Ramelow sollen Gregor Gysi und Dietmar Bartsch auftreten. Dann werden die drei Männer ihre Direktkandidaturen für den Bundestag offiziell verkünden. Parteirettung statt Ruhestand.
Van Aken will die Linke retten 18.31
Die Direktmandatsklausel als Rettung
In der gemeinsamen Chatgruppe auf Signal gehen die Nachrichten seit Wochen teils im Minutentakt hin und her. Letzte Details wollen die Drei noch am Dienstagnachmittag bei einem Edelitaliener in Berlin-Mitte besprechen.
Die Bezeichnung der Mission hat sich Gysi ausgedacht, unbeschadet des Umstands, dass er selbst erkennbar Glatze trägt. Es war auf dem Bundesparteitag in Halle im Oktober, als er vom Rednerpult die Aktion Silberlocke ankündigte: "Das heißt, dass diese drei alten Herren und Genossen und Kerle dann in vollem Umfang in den Wahlkampf eingreifen."
In den Wochen darauf kristallisierte sich die Strategie heraus. Zum einen wird die Partei darum kämpfen, mit mehr als fünf Prozent in Fraktionsstärke in den Bundestag zurückzukehren. Zum anderen soll für den durchaus wahrscheinlichen Fall, dass dies nicht klappt, wie bei der Wahl 2021 die Direktmandatsklausel greifen.
Ausnahmeregelung rettete die Linke schon 2021
Eigentlich hatte die verflossene Ampel-Koalition diese Ausnahmeregelung mit ihrer Wahlrechtsreform abgeschafft, sie war aber danach wieder vom Bundesverfassungsgericht reaktiviert worden. Nun muss die Linke wieder nur mindestens drei Wahlkreise gewinnen, um entsprechend ihrer Zweitstimmen im Parlament vertreten zu sein.
Vor gut drei Jahren schafften dies Gregor Gysi im Wahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick, die Abgeordnete Gesine Lötzsch in Berlin-Lichtenberg und Sören Pellmann in Leipzig. Dank ihnen blieb die Partei mit 39 Abgeordneten im Bundestag, obwohl sie mit 4,9 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt hatte.
Auch diesmal wollen Gysi und Pellmann erneut ihre Direktmandate gewinnen, während die neue Parteichefin Ines Schwertner im bisherigen Wahlkreis von Lötzsch siegen soll. Doch ob das gelingt, ist ungewiss. Dank der Konkurrenz durch die Abspaltung des BSW und interner Streitigkeiten steht die Linke bundesweit nur bei 3 bis 4 Prozent und ist auch in ihrer bisherigen Bastion Ostdeutschland geradezu implodiert.
An dieser Stelle setzt die Aktion Silberlocke an: Neben dem 76-jährigen Gysi soll der frühere Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch (65) in Rostock antreten, wo er 2021 mit 18,2 Prozent immerhin auf Platz 2 hinter der SPD-Kandidatin landete. Der Auftrag von Ramelow wiederum ist es, den Wahlkreis Erfurt-Weimar zu holen.
Ramelow hat ein Thüringen-Problem
Vor allem die Kandidatur des Noch-Ministerpräsidenten ist ein Politikum. Denn noch ist nicht klar, wann der Landtag seinen Nachfolger wählt. Zwar wollen CDU, BSW und SPD diese Woche einen Koalitionsvertrag präsentieren. Doch eine klare Mehrheit im Landtag haben sie nicht.
Und: Solange kein neuer Regierungschef vereidigt ist, bleibt Ramelow geschäftsführend im Amt, und dies unbefristet. Im Zweifel müsste er also parallel zum Regierungsjob für den Bundestag kandidieren, was rechtlich möglich sein dürfte, aber politisch kaum darstellbar wäre.
Chancen zumindest besitzt Ramelow im Wahlkreis. Er ist nach wie vor populär. Seinen Erfurter Landtagswahlkreis gewann er bei der Landtagswahl im September erneut souverän, obwohl seine Landespartei parallel dazu abschmierte.
Zudem gilt der Bundestagswahlkreis Erfurt-Weimar schon immer als eng, weil dort alle Landesparteien ihren Wahlkampf konzentrieren. So wird für die SPD der Ost-Beauftragte Carsten Schneider wieder antreten und für die Grünen die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Auch die CDU rechnet sich angesichts ihres positiven Bundestrends eine gute Siegchance aus.
Der Ministerpräsident dürfte die Pläne der anderen durcheinanderbringen. Das gilt vor allem für die SPD. Schneider gewann 2021 dank des kurzzeitigen Momentums zugunsten seiner Partei den Wahlkreis mit gerade einmal 24,4 Prozent der Erststimmen – was für Ramelow eine erreichbare Hürde darstellt.
Der Plan macht die SPD nervös
Entsprechend nervös reagieren die Sozialdemokraten. "Ich hoffe, dass für sie auch als geschäftsführender MP weiterhin gilt: Zuerst das Land, dann die Partei", schrieb Landesparteichef Georg Maier – der als Innenminister der Stellvertreter des Ministerpräsidenten ist – per X an Ramelow.
Die "Mission" Silberlocke, denn unter diesem neuen Schlagwort soll die Aktion ab Mittwoch firmieren, ist darüber hinaus die Geschichte einer außergewöhnlichen Versöhnung: der von Dietmar Bartsch und Gregor Gysi. Beide kennen sich seit Ewigkeiten, arbeiteten schon in der PDS eng zusammen, Bartsch als Bundesschatzmeister, Gysi als Vorsitzender. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Linke Spitzenduo 1330
2010 stellte sich Gysi, inzwischen Fraktionschef der Linken, gegen Bartsch, der damals Bundesgeschäftsführer der Partei war. Der Grund: Der damalige Parteichef Oskar Lafontaine verdächtigte Bartsch, seine Krebserkrankung an die Medien durchgestochen zu haben. Lafontaine stellte Gysi vor die Wahl: Bartsch oder ich. Der demontierte daraufhin seinen Freund öffentlich beim politischen Jahresauftakt, Bartsch musste sich zurückziehen.
Fünf Jahre später folgte die Aussöhnung, als Gysi für Bartsch als seinen Nachfolger an der Spitze der Fraktion warb. Jetzt sind sie gemeinsam mit Ramelow die letzte Hoffnung für die Linke geworden.
Gysi hat sein Motto schon gefunden
Das Kalkül ist, dass die Drei eine Bekanntheit und Reputation besitzen, die abgewanderte Linken-Anhänger wieder zur Partei zurückbringen könnte. Zuletzt hatten andere prominente Linken-Politiker wie die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau angekündigt, nicht mehr zur Bundestagswahl antreten zu wollen. Neben den klassischen Kernthemen wie bezahlbare Mieten, Mindestlohn und Kindergrundsicherung wollen sich die Altkandidaten jeweils noch einmal mit einem eigenen Thema profilieren.
Gysi hat bereits sein Motto für den Wahlkampf gefunden. Am Montag postete der 76-Jährige auf Instagram: "Es gibt Leute, die man nie loswird. Zum Beispiel mich."