3 days ago

Bundestagswahl: Wen muss ich wählen, wenn ...? Ein Wegweiser für taktische Wähler



Sie sind noch unentschlossen bei der Bundestagswahl – Hauptsache, die neue Regierung streitet weniger? Sie wollen Markus Söder ärgern? Die Grünen verhindern? Das müssen Sie dafür tun.

Im ICE 505 herrscht kurz vor Leipzig Ratlosigkeit. Ein Mann dreht und wendet sein Handy in der Hand und sagt: "Mir passt keine Partei." Er findet, der Ausbau der Erneuerbaren sollte oberste Priorität haben, es brauche aber auch die Atomkraft. Und Arbeitslose sollten nicht immer mehr Geld bekommen. 

Während vor dem Fenster die Landschaft vorbeirast, pflichtet ihm die Sitznachbarin im pinken Pulli bei. "Habeck finde ich ja gut", sagt sie und nippt am Kaffee to go, aber wählen will sie die Grünen nicht – da bekomme man schließlich immer auch die ultralinke Grüne Jugend mitgeliefert, und das gehe nun wirklich nicht. 

Bundestagswahl: Viele sind noch unentschieden

Es sind Gespräche, wie sie in diesen Tagen millionenfach geführt werden. Am Sonntag ist Bundestagswahl – und offenbar fällt vielen die Entscheidung schwer. Der Wahl-O-Mat, der dabei helfen soll, die Partei zu finden, die am besten zu einem passt, wurde in diesem Jahr so oft genutzt wie noch nie seit seiner Einführung im Jahr 2002. Umfragen gingen zuletzt von rund einem Drittel der Wahlberechtigten aus, die sich noch nicht entschieden haben sollen. 

Menschen, die keine hartgesottenen Parteianhänger sind, könnten sich bei der Entscheidung auch von taktischen Motiven leiten lassen. Wen wählen, damit es möglichst wenig Streit in einer neuen Regierung gibt? Wen, um eine grüne Regierungsbeteiligung zu verhindern? Und wen wählen, wenn Sie wollen, dass in der Opposition nicht allein eine starke AfD sitzt?

Die folgende Anleitung zeigt, wozu eine Stimme für welche Partei auch führen kann.

Wählen Sie die Union, dann … 

... wird Friedrich Merz Kanzler! 

Gut, das wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der Ausgang dieser Bundestagswahl sein, so oder so. In den Umfragen liegt die Union mit deutlichem Abstand vorn und wird deshalb voraussichtlich den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten. Zum schwarzen Durchregieren allerdings wird es nicht reichen: Mit ihren 30 Umfrage-Prozenten ist die Union weit von einer absoluten Mehrheit entfernt, wie man es sich im Konrad-Adenauer-Haus für eine kurze Zeit schon erträumt hatte. 

Die Union wird einen, wenn nicht sogar zwei Regierungspartner brauchen. Stärken Sie mit Ihrer Stimme die Union, wird wahrscheinlicher, dass es für ein Zweierbündnis mit SPD oder Grünen reichen könnte – es also keine dritte Partei braucht, mit der man sich auch noch einigen müsste, zumal sich in der Union CDU und CSU ja auch nicht immer grün sind.

Ein Zweierbündnis wird übrigens auch umso wahrscheinlicher, wenn Parteien, die in den Umfragen um die fünf Prozent liegen, den Einzug in den Bundestag am Ende nicht schaffen und unter den Sonstigen landen. Denn dann reichten Merz weniger Prozente für eine Regierungsmehrheit – die Schwelle dafür sinkt mit weniger Parteien im Parlament. 

Wählen Sie die SPD, dann …

... steigt die Wahrscheinlichkeit für eine GroKo. Nach der letzten Großen Koalition unter Angela Merkel ist die Regierung aus Union und SPD zum Schreckgespenst mutiert, sie stand für ein politisches Bündnis, das Stillstand verwaltete, statt Probleme anzugehen. Nach drei Jahren dauerstreitender Ampelregierung allerdings wird die GroKo schon fast wieder zum Sehnsuchtsort.

Klar ist: Mit einem Partner zu regieren, dürfte besser funktionieren als mit zweien. Je weniger Parteien mit unterschiedlichen Ansichten mitregieren, desto leichter dürften sich Kompromissen finden lassen. Nach dieser Logik wäre eine Große Koalition allemal besser, als wenn zur Mehrheit zusätzlich noch die FDP (Deutschland-Koalition) oder die Grünen (Kenia-Koalition) gebraucht würden. Auch dürften Einigungen in der Migrationspolitik, wo Merz schnell Verschärfungen will, mit den Sozialdemokraten einfacher umzusetzen sein als mit den Grünen.

Aber, Moment mal, bekommt, wer die SPD wählt, nicht auch Scholz? Falls Sie keine Lust mehr auf den unbeliebten bisherigen Kanzler haben, können Sie Ihr Kreuz trotzdem bei der SPD setzen – Scholz hat klipp und klar ausgeschlossen, Minister unter einem Kanzler Merz zu werden. Und dass er selbst das Kanzleramt verteidigen kann? Darauf deutet inzwischen gar nichts mehr hin.

Wählen Sie die Grünen, dann …

... finden Sie wohl eine schwarz-grüne Regierung besser als eine Große Koalition. In der Union dürften sie diese Auffassung nicht unbedingt teilen, aber CDU-Parteichef Merz müht sich, die Tür zu einem Bündnis mit den Grünen offenzuhalten. Er weiß, dass man in Verhandlungen besser zwei Optionen hat als nur eine.

In Bayern, bei CSU-Parteichef Markus Söder, sitzt die Abneigung tiefer. Söder hat ein Bündnis mit den Grünen auf Bundesebene vor der Wahl mehrfach ausgeschlossen – aber der bayerische Ministerpräsident ist geschmeidig genug, dass nach der Wahl trotzdem ein Weg gefunden werden könnte, wenn es denn sein muss. Für den Fall, dass sich auch die SPD ziert.

Ob ein Bündnis aus Union und Grünen im Bund ähnlich erfolgreich regiert, wie in NRW, Schleswig-Holstein und lange Zeit auch in Hessen, ist allerdings offen bis zweifelhaft. Beide Parteien vertreten in zentralen Feldern von Klimaschutz über Wirtschaft bis Migration gänzlich andere Auffassungen. Ist Streit da nicht programmiert? Fest steht, dass eine Regierungszeit mit den Schwarzen einige Grüne bis an die Schmerzgrenze treiben würde. Und andersherum.

In einem schwarz-grünen Bündnis, oder sogar einem schwarz-rot-grünen Bündnis (Kenia-Koalition) dürfte Robert Habeck wohl nicht Minister für Wirtschaft und Klimaschutz bleiben – Merz betonte bereits, dass er sich das nicht vorstellen könne. Alternativen? Am liebsten wäre Habeck wohl das Finanzministerium.

Wählen Sie die AfD, dann … 

... stärken Sie eine in Teilen rechtsextreme Partei. Weil keine andere Partei mit ihr koalieren will, wird sie in der Opposition bleiben. Dort ist sie allerdings nicht machtlos: Käme sie auf mehr als ein Drittel der Sitze (wonach es derzeit allerdings nicht aussieht), hätte sie die sogenannte Sperrminorität erreicht und könnte sogar wichtige Vorhaben blockieren. Zum Beispiel eine Reform der Schuldenbremse, wie sie inzwischen von allen nennenswerten Expertinnen und Experten befürwortet wird. In Reichweite der AfD aber ist ein Viertel der Sitze, womit sie zum Beispiel einen Untersuchungsausschuss einsetzen könnte.

Wählen Sie die FDP, dann …

... wird eine Regierungsbeteiligung der Grünen unwahrscheinlicher. Das jedenfalls ist das Versprechen der Liberalen: "FDP wählen, Schwarz-Grün verhindern." Die FDP hat sich historisch immer als Mehrheitsbeschafferin für die Union gesehen – nun deutet sie das Funktionsargument um: Es sei nicht ausgemacht, dass die Union am Ende nicht doch mit den Grünen regiere, auch wenn Söder anderes behaupte. Mit einem hat die FDP recht: Schafft sie es in den Bundestag, wird es unwahrscheinlicher, dass ein Zweierbündnis aus Union und Grünen überhaupt eine Mehrheit bekommt. 

Das heißt aber auch: Mit einer Stimme für die FDP wird das Regieren komplizierter. Denn mit dem Einzug kleinerer Parteien wie den Liberalen oder dem BSW in den Bundestag wird wahrscheinlicher, dass es für eine Mehrheit ein Dreierbündnis braucht. Möglich wäre dann etwa eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP. Will man das? Ein solches Bündnis gab es noch nie – und bei vielen Sozialdemokraten sitzt der Groll gegenüber den Liberalen nach dem Ampel-Aus tief. 

Und falls Sie schon immer mal von einem Jamaika-Bündnis (Union, Grüne, FDP) regiert werden wollten? Dazu dürfte es nach dieser Wahl wohl nicht kommen – denn, das ist zumindest Lindners Versprechen: Die FDP wird keine Koalition mit den Grünen eingehen.

Wählen Sie die Linke, dann …

... wird, ähnlich wie bei einem Einzug der FDP, ein Regierungsbündnis aus zwei Parteien unwahrscheinlicher. Regieren wird die Linke wohl nicht – zwar könnte es eventuell rechnerisch sogar für ein 4er-Linksbündnis aus SPD, Grünen, Linken und BSW reichen. Aber dazu wird es nicht kommen, weder bei der SPD noch bei den Grünen kann man sich das vorstellen.

Ist Ihnen wichtig, dass in der Opposition, die die Regierung kontrollieren soll, nicht nur eine starke AfD sitzt, könnte eine Stimme für die Linke trotzdem lohnend sein – die Partei hat in den vergangenen Tagen in den Umfragen stark zugelegt und könnte bis zu sieben Prozent erreichen.

Schließlich ist ein Szenario vorstellbar, in dem sowohl SPD als auch Grüne mit der Union regieren, und die FDP den Einzug in den Bundestag verpasst – ohne Linke säße dann die AfD allein in der Opposition. Der kommt im parlamentarischen System eine wichtige Rolle zu: Sie kontrolliert die Regierung, sie kann Informationen erfragen und Anträge stellen. Mit einer Stimme für Heidi Reichinnek und Genossen könnten Sie also mit sicherstellen, dass die Regierung nicht nur Druck von rechts (durch die AfD), sondern auch von links erhält. 

Wählen Sie das BSW, dann … 

... wird, ähnlich wie bei einem Einzug von FDP und Linken, eine Regierungsmehrheit aus zwei Parteien unwahrscheinlicher. Falls Sie schon immer ein Sahra-Wagenknecht-Fan waren, wäre Ihre Stimme hier wohl gut aufgehoben: Verpasst ihre Partei den Einzug in den Bundestag, dürfte Wagenknecht ihre politischen Ambitionen wohl an den Nagel hängen.

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