Treffpunkt Social Media: Immer mehr Politiker versuchen, Plattformen wie Tiktok und Instagram im Wahlkampf zu nutzen. Nur für zwei Parteien scheint sich das auszuzahlen.
Den Spitzenkandidaten folgt Nika* auf Social Media nicht. Noch ist sie zum Wählen zu jung. Könnte sie ihr Kreuz bereits bei dieser Wahl setzen, würde sie aber ohnehin nur einem Account folgen: "Robert Habeck", sagt die 17-Jährige. Ihre Freundin, die neben ihr steht, nickt. "Er ist der Einzige, der für mich momentan infrage kommt."
Es ist Montagnachmittag, die Temperaturen in Berlin-Charlottenburg auf der Einkaufsstraße unweit des Ku’damms eisig. Die Schülerin zieht ihre schwarze Pufferjacke enger vor dem Bauch zusammen. "Ich glaube sowieso, dass Politiker auf Social Media nicht besonders informationsreiche Sachen posten, sondern eher die Leute für sich anwerben wollen." Informieren möchte sie sich lieber über seriösere Quellen wie Nachrichtenplattformen.
So wie Nika sehen das auch viele andere Passanten, die wahlberechtigt sind und mit denen der stern an diesem Tag spricht. Nur wenig nutzen die sozialen Medien, um sich über die Kandidaten und ihre Parteien zu informieren. Ein Name allerdings wird mehrmals genannt: Heidi Reichinnek. Die Linke-Spitzenkandidatin hat geschafft, wovon viele Politiker im demokratischen Spektrum nur träumen können: Ihre Bundestagsrede, in der sie emotional gegen Friedrich Merz und dessen von der AfD unterstützten Asyl-Pläne austeilte, ist mit mehr als sechs Millionen Klicks bei Tiktok viral gegangen.
Zwei Frauen führen Polit-Ranking an
"Heidi Reichinnek ist ein Polit-Shootingstar in den sozialen Medien", sagt Influencer-Experte Marlon Giglinger. Mit ihrer Wutrede im Bundestag sei es ihr gelungen, kurz und prägnant die Stimmung vieler Menschen wiederzugeben. "Sie hatte ein absolutes Momentum." Wie die Linke das gerade für sich nutzen kann, lässt sich auch in Zahlen messen: Seit Reichinneks Interneterfolg hat die Partei mit mehr als 86.000 Mitgliedern ihre eigene Rekordzahl geknackt und sich in Umfragen von vier auf sechs bis sieben Prozent verbessern können. Besonders unter jüngeren Wählerinnen und Wählern ist die Linke gerade populär. Hält die Partei den Aufwärtstrend, beschert ihr das den im Herbst noch für unmöglich gehaltenen Einzug in den Bundestag. Ein Grund womöglich: die starke Präsenz im Netz.
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Das sei aber nicht die Regel, sagt Giglinger. "Grundsätzlich reicht ein virales Video nicht aus, um die Gunst der Wähler zu beeinflussen." Seine Influencer-Agentur "Netzschreier" hat Ende Januar in einem Ranking ausgewertet, welche Politiker auf welcher Plattform die größte Reichweite haben. Reichinnek belegte bis kurz vor ihrer Wutrede Rang 12. Ihr Parteikollege Gregor Gysi schafft es zumindest auf Platz sieben, direkt hinter Kanzler Olaf Scholz.
Angeführt wird die Kandidatenliste von einer Frau, die dem neuen Bundestag möglicherweise gar nicht angehören wird. Mit 2,9 Millionen Followern ist Sahra Wagenknecht Deutschlands reichweitenstärkste Polit-Influencerin. Damit liegt sie noch vor Alice Weidel, der 2,7 Millionen Menschen folgen. Die beiden Frauen unterscheidet dabei stark, welche Plattform sie nutzen: Während Wagenknecht vor allem bei Facebook (745.000 Follower) und Youtube (674.000 Follower) punktet, ist Weidel Tiktok-Königin (805.000 Follower).
Randparteien spielen mit Emotionalität und Angst
Reichinnek, Weidel, Wagenknecht – drei Frauen, die mit unterschiedlichen Positionen polarisieren. Drei Frauen, die nicht zur politischen Mitte zählen. Warum kommen genau diese Randparteien online so gut an? Experte Giglinger erklärt das so: "Es sind meistens sehr emotionale Themen, die angesprochen werden, teilweise wird mit der Angst der Bevölkerung gespielt." Das sehe man bei Alice Weidel gut. "Sie bieten zudem oft kurze, prägnante Antworten auf Fragen, die eigentlich einer längeren Antwort bedürfen." Hinzu käme, dass Themen, die polarisieren, öfter geteilt werden und mehr Kommentare bekommen – das stärke den Algorithmus, heißt: "Die Reichweite steigt und steigt und steigt."
Profitieren kann von dieser Reichweite aber vor allem Weidel. Sie steht nach jahrelanger Netzarbeit mit ihrer Partei stabil bei um die 20 Prozent Zustimmung in den Umfragen. Bei den 18-bis 24-Jährigen ist die AfD im Osten stärkste Partei. Dafür dürfte auch der starke Tiktok Auftritt der gesamten Partei mitverantwortlich sein.
Linke Heidi Reichinnek auf Tiktok 12.26
Aber Weidel hat sich ihre Reichweite nicht nur mit emotionalen Themen und geschickt gemachten Werbevideos erkämpft. Zuletzt profitierte sie besonders von der Aufmerksamkeit durch Elon Musk, der ihr auf der Kurznachrichtenplattform X eine Bühne bot. Allein zwischen dem 15. Dezember 2024 und dem 14. Januar 2025 konnte sie dort mehr als 370.000 neue Follower gewinnen und ihre Anhängerschaft nahezu verdoppeln. Wer ihre Diskussion mit Musk auf X hören wollte, musste Weidels Profil abonnieren – die AfD sagt: "Thank you, Elon!"
Social Media: "Authentizität ist wichtigstes Gut"
Reichweite allein gewinnt aber noch lange keine Wahlen. Das zeigt der Fall von Spitzenreiterin Wagenknecht: Das BSW kämpft mit vier Prozent in den Umfragen um sein Überleben. Auch Friedrich Merz, der im Politranking nur Rang neun belegt und damit weniger Follower als alle anderen Kanzlerkandidaten hat, zeigt, dass Stimmenfang im Netz nicht ausschlaggebend sein muss. "Merz fühlt sich in den sozialen Medien nicht so wohl wie manch seiner Kollegen", vermutet Giglinger. Das merke man. "Authentizität ist das wichtigste Gut in Social Media." Trotzdem hat Merz momentan die besten Aussichten auf das Kanzleramt.
Vergleicht man die Zahlen mit Spitzenpolitikern im Ausland, haben die Deutschen noch einiges nachzuholen. Egal ob Emmanuel Macron, Giorgia Meloni oder Donald Trump, sie alle haben Millionen von Followern. Scholz, Habeck und Merz kommen nur auf ein paar Hunderttausend. "Es ist wichtig, sich bereits jetzt eine Reichweite in den sozialen Medien aufzubauen", sagt auch Giglinger. "Spätestens bei den Wahlen 2029 werden sie eine weitaus größere Rolle spielen."
Habeck, so Giglinger, beherrsche das Spiel schon ganz gut. "Nah am Bürger zu sein als der ‘Küchentisch-Redner’." Diese Strategie zieht - vor allem bei den Jüngeren auf TikTok und Instagram. Nächstes Jahr, wenn die 17-jährige Nika endlich wahlberechtigt ist, will sie auch ihrem favorisierten Spitzenpolitiker folgen. Und auf welcher Plattform? "Instagram."
*Name von der Redaktion geändert
Ankündigung TV-Quadrell