4 months ago

Brandmauer? Welche Brandmauer?: Merz' Behauptung stimmt nicht - und wirft Fragen auf



Friedrich Merz überrascht mal wieder mit Aussagen zur AfD. Dabei stellt der CDU-Chef seine Partei als willenloses Opfer dar. "Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden." Das ist erstens falsch - und zweitens längst nicht das Ende der Debatte.

Friedrich Merz hat eine seltsame Eigenschaft: Im Bundestag hält er pointierte, scharfe und - jedenfalls aus Sicht der Konservativen - kluge Reden. Sobald er aber Interviews gibt, weiß niemand, was dabei herauskommt, was für Furore sorgt und sein Generalsekretär Carsten Linnemann gerade rücken muss. Der CDU-Vorsitzende sagt immer wieder Sätze, die ihm um die Ohren fliegen, selbst in den eigenen Reihen Irritationen und Unverständnis auslösen, auch wenn er seine Wortwahl (vielleicht) anders gemeint hat, als sie interpretiert wird. Unklar ist stets, ob Taktik dahintersteckt, Merz ein Fass aufmacht, um zu schauen, wie ein Thema draußen ankommt - oder ob es sich um einen Lapsus als Folge seiner strategischen Defizite handelt.

Vor einem Jahr war das der Fall, als der CDU-Vorsitzende die Realität und Normalität in Ostdeutschland beschrieb: "Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man dann nach Wegen sucht, wie man in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann." Er meinte: Alles andere könnte zu Chaos und Stillstand führen. Aber natürlich wurde die Äußerung auch als Riss in der Brandmauer zur AfD interpretiert - selbst von Spitzenpolitikern der Christdemokraten. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner etwa distanzierte sich: "Die CDU kann, will und wird nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Geschäftsmodell Hass, Spaltung und Ausgrenzung ist."

Kretschmer mit streitbarer, aber klarer Linie

Wegner kann so etwas sagen, weil die AfD in Berlin recht schwach ist, auch in den Kommunalparlamenten der Bezirke. In Sachsen und Thüringen ist das anders, wie nicht erst seit der jüngsten Landtagswahl bekannt ist. Der Dresdner Ministerpräsident Michael Kretschmer wirbt nicht erst seit der Merz-Äußerung für einen "pragmatischen Umgang" mit der Alternative für Deutschland. "Wir sind dagegen, weil die AfD dafür ist", funktioniert seiner Meinung nach genauso wenig wie eine "lupenreine Trennung" bei Entscheidungen über Schwimmbäder, Kitas, Straßenbau, Schulsanierungen und andere kommunale Belange.

"Man darf es sich nicht so leicht machen. Wir dürfen nicht nur einfach reflexartig von einer Brandmauer sprechen", sagte Kretschmer als Reaktion auf die Aussagen von Merz in der "Sächsischen Zeitung". Er warb dafür, den Menschen den "wahren Kern" der AfD, ihre Absichten und die Folgen ihrer politischen Konzepte zu erläutern, statt nur auf "Ausgrenzung und Brandmauern" zu setzen. Nach der Sachsen-Wahl plädierte der Ministerpräsident erneut dafür, nicht mehr von einer "Brandmauer" zu reden. Im Deutschlandfunk begründete er das damit, dass die AfD den Begriff dafür nutze, "sich als Märtyrer darzustellen" und "so zu tun, als würde sie keine demokratischen Rechte haben", was nicht der Fall sei.

Der Moderator wollte wissen, ob es sich um eine rein semantische - also das Wort deutende - Aussage handele oder Kretschmer damit auch politische Konsequenzen auf Landesebene meine. "Wir können mit der AfD keine Koalition bilden, sie ist gefährlich für unser Land", sagte der CDU-Politiker. Und wie sieht es eventuell mit einer anders gearteten Zusammenarbeit mit der AfD aus? Der leicht genervte Ministerpräsident sagte: "Es gibt demokratische Rechte und Pflichten - und Schluss."

Eine seltsame Gedächtnislücke

Am Mittwochmorgen veröffentlichte die Nachrichtenagentur dpa ein Interview mit Merz, das Kretschmers Gedanken aufgriff, die Brandmauer faktisch auf den Index zu setzen. Der CDU-Vorsitzende erklärte: "Es gibt keine Koalition mit der AfD, auch keine Zusammenarbeit mit der AfD, und das Gleiche gilt für die Linkspartei." Merz unterstützte jedoch die Idee des Ministerpräsidenten und stellte seine Partei erstaunlicherweise zugleich als willenlose Organisation dar, der der Begriff oktroyiert worden sei. "Das Wort Brandmauer hat nie zu unserem Sprachgebrauch gehört. Das ist uns immer von außen aufgenötigt worden." Und weiter: "Ich brauche mich nicht von einem Begriff zu distanzieren, den ich selber nicht eingebracht habe."

Anlässlich seiner Kür zum CDU-Chef sagte Merz im Dezember 2021 dem "Spiegel": "Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben. Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an." Die Aussagen sind autorisiert gewesen, er muss also ganz bewusst "Brandmauer" verwendet haben - unvorstellbar, dass der "Spiegel" ihm die Wortwahl "aufgenötigt" haben könnte. Ohnehin haben zahlreiche führende CDU-Mitglieder immer wieder von einer "Brandmauer" gesprochen - ganz freiwillig.

Brandmauer hier, Brandmauer da

Nachdem die Christdemokraten im Thüringer Landtag im September 2023 mit der AfD dafür stimmten, die Grunderwerbssteuer zu senken, sagte der gescheiterte CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet: "Die Brandmauer muss stehen." Und der hessische Ministerpräsident Boris Rhein: "Die Brandmauer steht." Sein schleswig-holsteinischer Amtskollege Daniel Günther sprach von einem "Bollwerk" gegen die AfD, was ebenfalls aus dem Wortschatz vergangener Zeiten stammt.

Die Klarstellungen kamen nicht von ungefähr. Denn Merz unterstützte seinerzeit den thüringischen CDU-Landesvorsitzenden Mario Voigt, der das Ja seiner Fraktion zu der Steuersenkung mit der Förderung von Familien beim Eigeheimbau, Handwerk und Bauwirtschaft begründete. "Wir können die Lösung von Problemen nicht davon abhängig machen, dass die falsche Seite mit Zustimmung droht."

Die Debatte geht weiter

In jedem Fall wird das dpa-Interview von Merz die Debatte weiter anheizen. Wolfgang Schroeder, Professor für Politologie an der Uni Kassel, formulierte es im ZDF so: "Wir stehen am Beginn einer neuen Etappe des heftigsten Ringens darum, wie wir mit den extremistischen Kräften in dieser Republik umgehen. Ich würde nicht von einem Ende der Brandmauer sprechen, sondern davon, dass der Kampf um die Brandmauer um ein Vielfaches härter wird und dass die Neigung, die Brandmauer zu durchlöchern, um ein Vielfaches gestiegen ist."

Merz befindet sich in einem Dilemma, das zu einer Zerreißprobe werden kann. Der CDU-Chef muss klären, wie er seinen Abgrenzungskurs gegenüber der AfD fortsetzen will, ohne einen Streit vom Zaun zu brechen. In einer Forsa-Umfrage hielten 68 Prozent der CDU-Mitglieder im Osten eine Zusammenarbeit mit der AfD von Fall zu Fall für möglich. Der Druck wird anhalten. Merz räumte schon "erhebliches Unbehagen mit Blick auf das, was jetzt in Thüringen und in Sachsen diskutiert wird", in der westdeutschen CDU ein. "Aber das müssen wir als CDU aushalten. Und wir sollten aus der westdeutschen Komfortzone nicht unerbetene öffentliche Ratschläge geben."

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