"Am Berge unbesiegt": Wie die Nazis ihre Niederlage am Monte Cassino umdeuteten

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Im Frühjahr 1944 tobt in Italien eine der längsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges. Vier Monate lang halten Hitlers Truppen die Alliierten am Monte Cassino auf. Die Niederlage der Wehrmacht verklärt die NS-Propaganda zu einem Sieg. Im Zentrum der Erzählung stehen die Fallschirmjäger.

In der Nacht zum 18. Mai 1944 erreicht ein Melder den Gefechtsstand der deutschen Fallschirmjäger am italienischen Klosterberg Monte Cassino. Er übergibt den anwesenden Offizieren einen zerknüllten Zettel mit einer knappen Anweisung: "Der Feind steht in unserem Rücken. Die Höhe 593 und die angrenzenden Höhenzüge sind sofort zu räumen." Wenige Stunden später verlassen die Deutschen im Schutze der Dunkelheit ihre Stellungen rund um die zerstörte Benediktinerabtei. Als der Morgen anbricht, zieht ein polnischer Spähtrupp kampflos in die Ruinen ein. Damit ist das blutige Ringen um den Berg nach vier Monaten beendet. Den Alliierten steht der Weg nach Rom offen.

Das zerstörte Kloster Montecassino nach der Einnahme durch die Alliierten. Das zerstörte Kloster Montecassino nach der Einnahme durch die Alliierten.

Das zerstörte Kloster Montecassino nach der Einnahme durch die Alliierten.

(Foto: picture alliance / SZ Photo)

Der Kampf um den Monte Cassino gehört zu den längsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges, die wie kaum eine andere durch das NS-Regime vereinnahmt wurde. "Die Instrumentalisierung der Schlacht war für die Nationalsozialisten enorm wichtig", sagt der Historiker Magnus Pahl ntv.de. "Denn Anfang 1944 stand die Wehrmacht an der Ostfront massiv unter Druck und positive Nachrichten waren selten."

Dagegen habe die Wehrmacht an der Italienfront kurzweilige Erfolge vorweisen können. "Die Propaganda zeichnete das Bild fanatisch kämpfender Fallschirmjäger, die mit wenigen Kräften die Materialüberlegenheit der Alliierten brechen", so der Wissenschaftler am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.

Dabei steht die intensiv betriebene Mythenbildung im Gegensatz zur strategischen Bedeutung der Schlacht. Denn Italien ist nur ein Nebenkriegsschauplatz. "Sowohl die Deutschen als auch die Alliierten verfolgten dasselbe Ziel", sagt Pahl. "Mit Blick auf die geplante Landung der Alliierten in Frankreich wollten beide Seiten möglichst viele gegnerische Kräfte binden, die der Gegenseite dann an der Westfront fehlen würden."

Deutsche Pioniere errichten Verteidigungslinie

Bereits im Sommer 1943 spitzt sich die Lage der Achsenmächte in Italien zu. Nach der Befreiung Siziliens und dem Sturz von Diktator Benito Mussolini landen US-Truppen Anfang September bei Neapel. Daraufhin ordnet Adolf Hitler an, den Vormarsch der Alliierten an der schmalsten Stelle des italienischen Stiefels aufzuhalten.

Zwischen Rom und Neapel errichten deutsche Pioniere einen gut 150 Kilometer langen Abwehrriegel im Gebirge: die sogenannte "Gustav-Linie". Der Monte Cassino spielt dabei eine Schlüsselrolle. Der über 500 Meter hohe Berg beherrscht den Eingang des Liritals, durch das wichtige Straßen nach Rom verlaufen. Mit dem "Wellenbrecher Cassino" will Hitler den Westmächten so hohe Verluste zufügen, dass sie von einer Invasion in Frankreich Abstand nehmen.

Mitte Januar 1944 setzen die Alliierten mit gut 240.000 Soldaten zum Sturm auf die "Gustav-Linie" an. In dem multinationalen Heer dienen neben Amerikanern, Briten, Kanadiern, Neuseeländern, Polen und Franzosen auch Kolonialsoldaten aus Indien, Marokko und Algerien. Ihnen gegenüber steht die 10. deutsche Armee mit etwa 140.000 Mann. Der Großverband verfügt mehrheitlich über Divisionen, die in Nordafrika und Stalingrad aufgerieben und neu aufgestellt worden waren.

Stellungskrieg im Gebirge

Aufgrund des unwegsamen Geländes und des Winterwetters können die Alliierten ihre Übermacht zunächst nicht ausspielen. Die Front bewegt sich kaum, der Stellungskrieg fordert Tausende Opfer. "Die Kämpfe um das Städtchen Cassino und den Berg erinnern an die Abnutzungsschlachten des Ersten Weltkrieges", sagt Pahl. "Artillerie-Bombardements und Infanteriegefechte dominierten das Geschehen."

Auch das Kloster Montecassino bleibt nicht verschont. Wegen seiner kulturellen Bedeutung haben die Deutschen die Anlage aus dem Frühmittelalter zur neutralen Zone erklärt. Dennoch vermuten die Alliierten dort irrtümlich feindliche Truppen. Am 15. Februar legen mehr als 200 US-Bomber das Kloster in Schutt und Asche. Etwa 400 Mönche und Zivilisten sterben. Die Zerstörung Montecassinos ist der schwerste Angriff auf ein einzelnes Gebäude in der Kriegsgeschichte und löst weltweit Protest aus.

Die Bombardierung der Abtei bringt den Alliierten keinen Vorteil - im Gegenteil. Angehörige der 1. deutschen Fallschirmjägerdivision besetzen im Anschluss die Ruine und bauen sie zur Festung aus. Der NS-Vorzeige-Verband ist für den Kampf im Gebirge besonders geeignet, da er über viele leichte Waffen wie Maschinengewehre und Mörser verfügt. Zudem gibt das Heer Raketenwerfer und Sturmgeschütze an die Einheit ab.

Die 6000 Mann starke Division meldet den vorgesetzten Stäben eine geringere Mannschaftsstärke und erhält dadurch einen vergleichsweise kleinen Frontabschnitt. Die Vorzugsbehandlung kommt nicht von ungefähr. Die Truppe hat prominente Fürsprecher: Als Luftwaffen-Chef hält Hermann Göring seine schützende Hand über die Fallschirmjäger. Auch Propagandaminister Joseph Goebbels fördert die Truppe. Sein Stiefsohn Harald Quandt dient als Offizier in der Division.

Durchbruch im Süden

Erst im Mai gelingt den Alliierten die entscheidende Wende. Während Briten und Polen Cassino und die umliegenden Gebirgszüge frontal angreifen, durchbricht das französische Expeditionskorps weiter südlich die "Gustav-Linie". Damit ist die Schlacht entschieden. Um nicht abgeschnitten zu werden, räumen die Fallschirmjäger den Monte Cassino. Die erschöpften Deutschen ziehen sich auf neue Stellungen bei Bologna zurück.

Am 4. Juni rollen US-Panzer unter dem Jubel der Bevölkerung in Rom ein. Zwei Tage nach der Befreiung der Ewigen Stadt landen die Alliierten in der Normandie. Hitlers Kalkül, die Alliierten von einer Landung in Frankreich abzuschrecken, ist nicht aufgegangen. Mehr noch: Die Kämpfe am Monte Cassino haben deutsche Reserven gebunden.

Die Verluste sind immens: Von Januar bis Mai 1944 werden 55.000 alliierte Soldaten bei den Kämpfen verwundet oder getötet. Die Wehrmacht verliert 20.000 Mann. Noch bevor sich der Rauch über dem Klosterberg verzieht, setzt der Kampf um die Deutungshoheit ein. In Anlehnung an die Dolchstoßlegende verbreitet das NS-Regime den Leitspruch "Am Berge unbesiegt". Die Fallschirmjäger werden als Helden gefeiert. Für sie etabliert sich der Spitzname "grüne Teufel"- in Anlehnung an die Tarnfarben ihrer Uniform. Passend dazu erhält die Division ein neues Truppensymbol: einen Teufel mit Dreizack. Der Einsatz anderer Wehrmachtsverbände am Monte Cassino rückt in den Hintergrund.

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"Der Mythos von wenigen unüberwindlichen Fallschirmjägern, die der feindlichen Übermacht trotzten, findet sich bis heute in der Fachliteratur", sagt Pahl. "Die Fallschirmjäger sowie die ihnen zugeteilten Grenadiere, Gebirgsjäger und Panzerbesatzungen haben den Alliierten einen harten Kampf geliefert." Dabei werde aber außer Acht gelassen, dass die Fallschirmjäger aus propagandistischen Gründen massiv bevorzugt und protegiert worden seien.

"Die Division gab wahrheitswidrig eine niedrigere Truppenstärke an und erhielt überproportional viele Ressourcen auf Kosten jener Frontabschnitte, an denen die Alliierten schließlich durchbrachen", führt der Historiker aus. "Sie konnten sich daher selbst nach Aufgabe des Monte Cassino als 'am Berge unbesiegt' fühlen." In diesem Sinne habe die NS-Propaganda die Niederlage am Monte Cassino am Ende zu einem vermeintlichen Abwehrerfolg umgedeutet.

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