Erstmals muss sich der Bundestag mit einem möglichen AfD-Verbot beschäftigen: Eine Gruppe von Abgeordneten wirbt in den Fraktionen um Zustimmung zu ihrem Antragstext. Die Erfolgsaussichten sind dünn, doch ausweichen kann der Diskussion niemand mehr.
Manche fürchten ihn, andere warten schon ewig darauf: Der AfD-Verbotsantrag ist da. Ausgearbeitet haben ihn mehrere Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD, Grünen und Linkspartei, darunter der sächsische Christdemokrat Marco Wanderwitz und die Berliner Sozialdemokratin Carmen Wegge. Mehr als 37 Unterschriften von Abgeordneten hat die Gruppe zusammen und kann damit den Antrag im Bundestag einbringen. Dieser ist neben Bundesrat und Bundesregierung als einziges befugt, beim Bundesverfassungsgericht das Verbot einer Partei zu beantragen. Am Dienstag wollen die Abgeordneten in ihren Fraktionen um Zustimmung für den Text werben, damit dieser mehrheitlich verabschiedet werden kann. Voraussichtlich am Mittwoch wird der Antrag der Öffentlichkeit vorgestellt.
Der Vorgang hat Wucht, macht er doch gleich einem Prisma die unterschiedlichen Meinungen im Bundestag zur Frage eines AfD-Verbots deutlich. Grob gesagt gibt es vier Haltungen dazu im Parlament: Die AfD-Abgeordneten und die der AfD zugeneigten fraktionslosen Mandatsträger wollen logischerweise kein AfD-Verbot. Die Querelen um das Verfahren aber kommen ihnen aus strategischen Gründen womöglich gelegen. Zweitens die Gruppen derjenigen, die von einem Verbotsverfahren aus strategischen Gründen nichts halten, weil sie an den Erfolgsaussichten zweifeln und eine Stärkung der AfD fürchten. Diese Stimmen finden sich vor allem in den Fraktionen von Union, FDP und SPD.
Drittens gibt es Abgeordnete, die zwar einen Verbotsantrag für richtig halten, aber das Vorgehen der Gruppe um Wanderwitz und Wegge für taktisch unklug oder gar gefährlich halten. Viertens schließlich die Antragsteller selbst. Eine Mehrheit für ihren Antrag zu bekommen, werde "nicht einfach", heißt es aus der Gruppe. Versuchen wollen sie es dennoch. Dahinter steht die Erkenntnis, dass weder die Regierung im Bund noch die Regierungen der Länder absehbar etwas in der Richtung unternehmen werden; etwa eine koordinierte Sammlung aller für ein Verbot sprechender Beweise, die den Behörden in Bund und Ländern durch die Innenministerkonferenz vorliegen.
Scholz ebenfalls skeptisch
Die 17 Innenminister täten "überhaupt nichts", um ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen, heißt es von den Autoren des Antrags. Nicht einmal die Innenminister von Brandenburg, Sachsen (je CDU) und Thüringen (SPD), obwohl deren Verfassungsschutzämter den jeweiligen AfD-Landesverband als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft haben. Zu Wochenbeginn hat zudem Bundeskanzler Olaf Scholz bei RTL seine Skepsis zu einem Verbotsverfahren bekundet. Den vielen Skeptikern gelten die Erfolgsaussichten als schlicht zu unsicher. Hinzu kommen gerade in der Union Abgeordnete, die manche Warnung vor der Gefahr durch die AfD für überzogen halten.
Was genau der Verbotsantrag vorschlägt? Noch sind nicht alle Details bekannt. Im Kern soll ein von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas benannter Verfahrensbevollmächtigter die für ein AfD-Verbot sprechenden Beweise sammeln und diese in einem Antrag zusammenfassen. Über den befindet in jedem Fall das Bundesverfassungsgericht. Nur die Richter in Karlsruhe können entscheiden, ob eine Partei samt und sonders verboten oder sie - wie im Fall der NPD-Nachfolgepartei Die Heimat - von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen wird.
NPD-Urteile schrecken ab
Die Hürden sind im jeden Fall hoch: Eine Partei müsse "planvoll das Funktionieren der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beseitigen" wollen, fasst das Bundesinnenministerium die Voraussetzung für ein Verbot zusammen. Mit dem Ausschluss von Die Heimat von der Parteienfinanzierung führte Karlsruhe zudem das Kriterium der Potenzialität ein: Ob eine Partei überhaupt zur Umsetzung ihrer Ziele in der Lage ist, also das Potenzial dazu hat. Das sahen die Richter bei der Nischenpartei Die Heimat nicht gegeben. Daher wählten sie ein milderes Mittel als ein Verbot und drehten den staatlichen Geldhahn ab.
Als die NPD noch groß war und Abgeordnete in mehreren Landesparlamenten sowie in Straßburg stellte, war schon einmal ein NPD-Verbot gescheitert. Damals aber an der Durchsetzung der militant rechtsextremen Partei mit sogenannten V-Leuten. Diese von den Verfassungsschutzämtern bezahlten NPD-Mitglieder waren zahlreich - und auch in hohen Ämtern - in der Partei vertreten. Die Verfassungsrichter konnten daher nicht ausschließen, dass der Staat indirekt auf die Partei eingewirkt oder Wissen über ihre Verteidigungsstrategie in Karlsruhe erlangt hatte.
Die Autoren des AfD-Verbotsantrags sehen daher eine Frist von zwei Monaten vor, die zwischen der Verabschiedung des Antrags durch den Bundestag und der Einreichung des Antrags beim Bundesverfassungsgericht verstreichen soll. In dieser Zeit könnte eine "Staatsfreiheit" der AfD hergestellt werden. Sprich, die Verfassungsschutzämter und etwaige andere Behörden von Bund und Ländern sollen mögliche V-Leute aus der AfD abziehen. Im Bundestag ist aber umstritten, ob die Behörden dieser Aufforderung nachkommen müssen und werden.
"Wir dürfen nicht scheitern"
Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagt, sie kenne niemanden in ihrer Fraktion, der gegen ein AfD-Verbot sei: "Aber wir dürfen nicht scheitern." Groß ist die Angst vor dem Signal, das ein Urteil zugunsten der AfD aussenden könnte, oder schon ein Scheitern des Antrags im Bundestag. Beides würde als eine Art Persilschein für die AfD verstanden. Bis zu einem Urteil könne die AfD sich zudem mehr denn je als verfolgte Unschuld präsentieren.
Die Bundestagswahl 2025 könnte die AfD zu "letzten freien Wahl" ausrufen, heißt es von Gegnern des Verbotsantrags. Dessen Autoren halten entgegen, die AfD sei ausmobilisiert. Im Falle eines laufenden Verbotsantrags würde die AfD keine zusätzlichen Stimmen gewinnen, so die Überzeugung.
Die Skeptiker bei SPD und Grünen kritisieren ferner, dass der Antrag keine ergebnisoffene Beweissammlung vorsieht. Der Verbotsantrag soll am Ende der Beweissammlung in jedem Fall in Karlsruhe gestellt werden. Was beide Fraktionen trennt: Den Grünen gehe es nicht um das Ob, sondern um das Wie eines Verbotsantrags, sagt Mihalic. Die Grünen fordern daher, dass die Bundesregierung eine Beweissammlung vorantreibt und der Bundestag das Ergebnis durch unabhängige Verfassungsrechtler prüfen lässt. Auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken fordert von den Innenministern schon länger eine ernsthafte Prüfung eines AfD-Verbots.
Verbot "kein Mittel der politischen Auseinandersetzung"
Damit läge der Ball bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die Sozialdemokratin öffentlich zu kritisieren oder sie zum Handeln aufzufordern, damit tut sich die SPD-Fraktion schwer. Die Bundesinnenministerin zeigte sich bislang ebenfalls skeptisch, wollte ein Verbotsverfahren aber auch nicht ausschließen. Faeser wirbt wie andere Sozialdemokraten dafür, die AfD inhatlich zu stellen - trotz bislang überschaubarem Erfolg. Ein Parteienverbot sei kein "Mittel der politischen Auseinandersetzung", so Faeser, sondern letztes Mittel des freiheitlichen Rechtsstaats. Faktisch würden sich SPD-Abgeordnete mit einer Stimme für den Verbotsantrag gegen Faeser und Scholz stellen.
Wie viele Abgeordnete dieses letzte Mittel inzwischen für geboten halten, werden die kommenden Wochen zeigen. Im achtseitigen Antragstext zählen die Autoren über mehrere Seiten auf, was alles über die verfassungsfeindliche Haltung der AfD in den vergangenen Jahren bekannt geworden ist. Und sie verweisen auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das die Einstufung der gesamten Partei als rechtsextremen Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt hat. Die AfD hat Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt. Scheitert sie, könnte das Bundesamt womöglich auch die gesamte AfD als gesichert rechtsextrem einstufen.
Den Autoren des Verbotsantrags kommt es im Zweifel gar nicht auf ein vollständiges Verbot an. Ein Verbot einzelner Landesverbände oder der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) seien genauso denkbar wie ein teilweiser oder vollständiger Ausschluss der AfD von der Parteienfinanzierung, heißt es. Der Zeitpunkt herauszufinden, wie das Bundesverfassungsgericht die AfD einschätzt, der sei jetzt - oder komme womöglich nie wieder.