Die Welt der Freien Software besteht aus Geben und Nehmen. Dummerweise gibt es ein Ungleichgewicht zwischen dem Geben und dem Nehmen. Ich gehe davon aus, dass mehr genommen als gegeben wird. Bezüglich des Nehmens, also des Wertes, den Freie Software zu den Bruttoinlandsprodukten beiträgt, gibt es eine Studie von Hoffmann, Nagle und Zhou von der Harvard Business School vom 16. Januar 2024: "The Value of Open Source Software".
Den wirtschaftlichen Wert von Open-Source-Software (OSS) zu messen ist eine Herausforderung, da es sich um ein kostenloses, global verfügbares Gut handelt. Die Autoren der Studie nutzen globale Daten, um sowohl den angebotsseitigen als auch den nachfrageseitigen Wert von OSS zu schätzen:
- Angebotsseitiger Wert: Geschätzt auf 4,15 Milliarden Dollar, basierend auf den Kosten für die einmalige Erstellung der am häufigsten genutzten OSS.
- Nachfrageseitiger Wert: Deutlich höher mit 8,8 Billionen Dollar, berechnet anhand des Ersatzwertes für Unternehmen, die die Software selbst erstellen müssten.
Wichtige Erkenntnisse:
- Unternehmen müssten 3,5 Mal mehr für Software ausgeben, gäbe es keine OSS.
- Sechs Hauptprogrammiersprachen machen 84% des nachfrageseitigen Wertes aus.
- 96% des nachfrageseitigen Wertes werden von nur 5% der OSS-Entwickler geschaffen.
Diese Studie unterstreicht den enormen, oft unterschätzten wirtschaftlichen Wert von Open-Source-Software in der globalen Wirtschaft.
Hinweis: der letzte Absatz stammt aus dem übersetzten Abstract der Studie, welcher mit Perplexity zusammengefasst und von mir kontrolliert und überarbeitet wurde.
Für die EU gibt es eine weitere Quelle, die bereits im Dezember 2021 erschienen ist. Sie stammt von der Open Source Business Alliance und titelt: "EU-Studie: Open Source stärkt die Wirtschaft und die technologische Unabhängigkeit". Die Kernaussage dieser Studie lautet:
Rund 1 Mrd. €, die Unternehmen in der EU 2018 in Open Source investiert haben, führten zu einem wirtschaftlichen Mehrwert von 65 bis 95 Mrd. €. Berücksichtigt man die Hardware- und sonstigen Kapitalkosten der ca. 260.000 EU-Beitragenden zu Open-Source-Software, so liegt das Kosten-Nutzen-Verhältnis immer noch bei etwas über 1:4. Der so geschaffene Pool an Open-Source-Software steht der Allgemeinheit zur Verfügung, muss also von Unternehmen, Organisationen oder staatlichen Institutionen nicht erneut entwickelt werden.
So viel zur Nehmen-Seite, doch sieht es beim Geben aus? Bei meiner Recherche habe ich keine landesweiten oder globalen Zahlen gefunden. Die Free Software Foundation Europe führt die Spender pro Jahr auf einer eigenen Seite auf. Rechnet man die Zahlen zusammen, ergibt sich ein Spendenaufkommen von mindestens 143'400 Euro pro Jahr. Das Linux Mint Projekt hat im letzten Jahr 136'880 USD erhalten. Auf den ersten Blick erscheinen diese Zahlen hoch; sind sie aber nicht, wenn man bedenkt, wie viele Mitarbeitende davon bezahlt werden müssen.
Bei GNU/Linux.ch haben wir im vergangenen Jahr 2023 5'684 CHF (6'030 EUR) durch Spenden und Sponsoren eingenommen. Dabei entfällt der Grossteil auf Sponsoren. Von privaten Spendern erhalten wir ca. 1'800 CHF im Jahr. Um den Wert der Leistung zu benennen, habe ich (für 2023) so gerechnet: 847 Artikel x 1 Stunde Aufwand pro Artikel x (Durchschnittsgehalt eines Redakteurs: 38'086 EUR geteilt durch 2008 Arbeitsstunden im Jahr 2023 ergibt einen Stundenlohn von 19 EUR) = 16'065 EUR. Hinzukommen die Leistungen für Administration, Betrieb, Wettbewerbe und Moderation, die ich auf 4'000 EUR schätze. Somit beträgt die Gesamtleistung pro Jahr ca. 20'000 EUR. Das bedeutet, dass der Aufwand zu einem guten Viertel durch die Einnahmen durch Spenden und Sponsoring gedeckt ist.
Aus einer wirtschaftlichen Perspektive ist der Betrieb von GNU/Linux.ch völlig unrentabel. Zum Glück geht es uns nicht darum. Ich habe diese Rechnung nur für diesen Artikel erstellt, um das Missverhältnis aufzuzeigen.
Der Anwendungsfall
Ja, es gab wieder viel Vorgeplänkel, bevor ich zum eigentlichen Punkt komme: "Gesucht wird der FOSS-Spenden-Verteiler". Der Anwendungsfall lautet so:
- Du nutzt Freie Software oder die Dienste von Freien Projekten.
- Du möchtest an bestimmte Projekte spenden und hast dafür ein monatliches Budget.
- Du willst die Projekte auswählen, an die deine Spenden gehen sollen.
- Du möchtest den Verteilungsschlüssel selbst bestimmen oder einem Algorithmus überlassen.
- Dir ist es wichtig, dass möglichst viel von deinen Spenden bei den unterstützten Projekten ankommt.
Anstatt die einzelnen Überweisungen selbst einzurichten, suchst du einen Service, der die Verteilung für dich übernimmt: "Hier sind meine 30 Euro; verteile meine Spende nach meinen Wünschen an die FOSS-Projekte". Gibt es solche Services?
Open Collective
Open Collective ist ein rechtlicher und finanzieller Werkzeugkoffer für Bürgerinitiativen. Es ist eine Plattform auf der du für deine Interessengemeinschaft Spendensammlungen + Recht + Geld verwalten kannst. Was wirst du damit tun?
Klingt diese Einleitung von der Webseite von Open Collective, als hätte sie der Prinz aus Nigeria geschrieben? Auf den ersten Blick bietet der Service das oben Gewünschte. Open Collective ist ein mit Risikokapital finanziertes Tech-Startup, das sich im Besitz von Gründern, Investoren und Mitarbeitern befindet und verpflichtet ist, Renditen zu erwirtschaften. Aus den Erläuterungen wird man nicht wirklich schlau. Es gibt zu viel Marketing-Geschwurbel und man weiss nicht genau, mit wem man es zu tun hat.
- Ist es die in Delaware registrierte US-Firma?
- Ist es ein Fiscal Host?
- Oder ist es die Open Collective Foundation, die per Ende 2024 aufgelöst wird.
- Ist es vielleicht die Open Collective Europe in Brüssel?
Na ja, ich weiss es nicht und empfehle, die Finger davonzulassen.
Software in the Public Interest (SPI)
Software in the Public Interest (SPI) ist eine im Staat New York eingetragene gemeinnützige Gesellschaft, die gegründet wurde, um als steuerlicher Sponsor für Organisationen zu fungieren, die Open-Source-Software und -Hardware entwickeln. Ihre Aufgabe ist es, große und bedeutende Open-Source-Projekte zu unterstützen, indem sie ihre nicht-technischen Verwaltungsaufgaben übernehmen, damit diese keine eigene juristische Person stellen müssen.
Die Gesellschaft bietet u. a. diese Dienstleistungen an:
- Annahme von Spenden und Verwahrung von Geldern
- Bezahlen von Projektkosten
- Verwahren von erheblichen Vermögenswerten
- Verwahren von immateriellen Vermögenswerten
- Unterzeichnung von Verträgen
- Buchhaltung und Rechnungsprüfung
- Rechtliche Unterstützung
In der Liste der von SPI unterstützten Projekten findet man grosse FOSS-Projekte wie: Arch Linux, Debian, FFmpeg, LibreOffice, PostgreSQL, Systemd, X.Org und weitere bekannte Projekte. Das Angebot von SPI macht Sinn und richtet sich an grosse Projekte, die ihren Verwaltungsaufwand auslagern möchten. Für den oben beschriebenen Anwendungsfall ist die Gesellschaft nicht geeignet.
RaiseNow
Die RaiseNow AG wurde 2015 in Zürich gegründet. Die Firma bietet Lösungen für nationale und internationale NGOs und Vereine. Spendenformulare, Integrationen und Zahlungsabwicklungen. Unter deren Kunden findet man Schwergewichte aus dem NGO-Umfeld, wie z. B.: Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen, WikiMedia, Caritas, das Schweizerische Rote Kreuz und den WWF. Das Kerngeschäft von RaiseNow ist die Unterstützung beim Fundraising für NGOs.
Wir selbst verwenden RaiseNow, wenn ihr uns in der Schweiz über Twint Spenden zukommen lasst. Sie bieten ein kostenloses Angebot für Vereine an. Auch diese Firma deckt den Anwendungsfall nur einseitig ab. Bei Gelegenheit werde ich Kontakt aufnehmen, um weitere Möglichkeiten im Sinne dieses Artikels abzuklopfen.
LiberaPay
Liberapay ist eine Plattform für wiederkehrende Spenden. Dahinter steht die Association Liberapay in Frankreich. Die Organisation beschreibt ihre Dienstleistung wie folgt:
Menschen, die zum Allgemeinwohl beitragen, brauchen Unterstützung bei ihrer Arbeit. Freie Software zu entwickeln oder Wissen zu vermitteln kostet Zeit und Geld. Dies betrifft nicht nur die anfängliche Arbeit, sondern auch die Pflege und Bereitstellung über längere Zeit.
Das periodische Spendensystem von Liberapay wurde entwickelt, um Erstellenden regelmäßige Einnahmen zu gewährleisten. Das erlaubt ihnen weiter an großartigen Dingen zu arbeiten, von denen alle profitieren.
Diesen Dienstleister verwenden wir bei GNU/Linux.ch ebenfalls. Wenn ihr uns über LiberaPay Spenden schenkt, werden diese von LiberayPay entgegengenommen und über den Zahlungsdienstleister Stripe an uns überwiesen. Leider bietet LiberaPay ebenfalls keine Lösung im Sinne des Anwendungsfalls.
Flattr (pro memoria)
Flattr war ein Projekt, das 2010 in Schweden als Social-Payment-Service gestartet wurde. Nutzer spendeten einen monatlichen Betrag, der auf Webseiten und Plattformen aufgeteilt wird, die durch Flattrs Browser-Erweiterung „geflattrd“ wurden. „Es ging darum, es Menschen zu erleichtern, nicht nur Inhalte zu teilen, sondern auch Geld dafür zu zahlen – jeweils mit Bezug auf die Inhalte.“, erklärte einer der Gründer. In der ersten Version von Flattr war es nötig, dass Nutzer auf Websites auf einen Flattr-Button klicken, wenn ihnen der Inhalt gefällt.
In der Version 2.0 aus dem Jahr 2017 funktioniert Flattr als Zero-Click-Service für das automatische "flattrn" von Inhalten im Web und auf verschiedenen Plattformen. Um Spenden durch "flattrs" erhalten zu können, mussten Ersteller von Inhalten ihre Webseiten oder unterstützte Plattformen verlinken.
Der Flattr-Service wurde Anfang 2024 ohne Angabe von Gründen eingestellt.
Diese Dienstleistung kam dem oben erwähnten Anwendungsfall am nächsten.
Fazit
Unterzieht man Freie Software einer volkswirtschaftlichen Betrachtung, ergibt sich ein Ungleichgewicht zwischen der erbrachten Leistung für die Gesellschaft und der Wertschätzung durch die Gesellschaft. Mit "Wertschätzung" ist nicht der Applaus gemeint (wie wir ihn während der Corona-Jahre für Pflegekräfte gesehen haben), sondern der Geldfluss für erbrachte und in Anspruch genommene Leistungen.
Dieser Artikel stellt mehrere Fragen, bzw. gibt Anregungen. Anwender:innen von Freier Software dürfen sich Gedanken darüber machen, ob sie ein Budget für genutzte freie Dienste aufstellen möchten. Dieses Budget hängt von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Nutzer:innen ab.
Wer für sich ein Budget aufgestellt hat, möchte dieses entweder selbst den Projekten zukommen lassen, oder diese Aufgabe einer Organisation überlassen. Ein solcher FOSS-Spenden-Verteiler könnte der Anwender:in eine Auswahl an Spenden-empfangenden Projekten bieten. Nun könnte man dort eine Auswahl treffen oder die Verteilung einem Algorithmus überlassen.
Meine Recherche hat keinen Dienstleister gefunden, der eine faire Spendenverteilung anbietet, die sowohl den Bedürfnissen der Spendenden als auch Empfangenden gerecht wird. Ein wesentlicher Grund scheint mir die Rückständigkeit bei den Finanztransaktionen zu sein. Diese sind nicht flexibel genug und zu teuer.
Falls ihr Lösungen kennt, die den Anwendungsfall besser abdecken, freue ich mich über eure Kommentare.
Quellen:
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4693148
https://fsfe.org/donate/thankgnus-2024.de.html
https://www.linuxmint.com/donors.php
https://www.lohnanalyse.ch/de/loehne/details/redakteurin.html
https://www.arbeitstage.ch/arbeitsstunden_jahr_2023.htm
https://de.wikipedia.org/wiki/Flattr
GNU/Linux.ch ist ein Community-Projekt. Bei uns kannst du nicht nur mitlesen, sondern auch selbst aktiv werden. Wir freuen uns, wenn du mit uns über die Artikel in unseren Chat-Gruppen oder im Fediverse diskutierst. Auch du selbst kannst Autor werden. Reiche uns deinen Artikelvorschlag über das Formular auf unserer Webseite ein.