3 months ago

Wieduwilts Woche: Große Sorge um Söders Halswirbel



Die Grünen haben alle überrascht, nun rücken sie vielleicht nach rechts. Sie könnten Wunschpartner der CDU sein - aber der CSU-Chef müsste sich dafür verbiegen.

Im Herbst 2024 ist das politische Berlin so orientierungslos wie selten. Als auf den Smartphones die Eilmeldung einschlug, dass der Parteivorstand der Grünen zurücktrete, hat das viele Beobachter komplett überrascht. Alle waren damit beschäftigt, Bundeskanzler Olaf Scholz beim Wanken zuzuschauen, hofften auf die Einwechselung von Boris Pistorius oder fragten sich, wann genau die FDP denn nun die Ampel sprengt. Jetzt schauen alle auf Robert Habeck und fragen sich: Was sollte das denn?

Für Unverständnis sorgte der Grünen-Rücktritt nicht zuletzt, weil das Problem der Partei nicht gerade im Vorstand verortet wurde. Im Gegenteil: Ricarda Lang ging mit den Härten der Politik und Herrenwitzen aus dem Internet oft in bewundernswerter Weise um, weil sie über etwas verfügte, das bei den Grünen selten ist: Humor. Der wiederum ist ja ein Ausweis großer Selbstdistanz und so sieht man Lang häufiger selbstironische Bilder verschicken, auf dem man sie etwa beim Biersaufen aus der Flasche sieht oder eben jetzt beim Eingeständnis: "An allem sind die Grünen schuld", darunter ein Witz über Hasskommentatoren auf Facebook.

Lang hätte identitätspolitische Sirene werden können, sie hätte sich den häufig auf sie zugeschnitzten Grünen- und Frauenhass um den Hals hängen können wie eine Trophäe, all das hat sie aber schön bleiben lassen. Sie hätte mit ihrem Auftreten eigentlich das Gesicht pragmatischer, der CDU zugewandter Grüner sein können - wenn sie nicht politisch zu links stünde.

Die Falschen sind gegangen

Omid Nouripour wiederum passte sogar politisch gut zur CDU: Er machte zuletzt zwar eine lustlose Figur, sprach von der Ampel als Übergangsregierung, lag aber außenpolitisch in Bezug auf Nahost und Ukraine viel näher bei der Union als die teils Friedens-beseelte SPD. Sind da nicht die falschen von der Bühne getreten?

Jetzt konzentriert sich die Macht ausgerechnet auf Habeck, den Bundeswirtschaftsminister, der mit einem schlecht gestrickten Heizungsgesetz großen Anteil am derzeit gepflegten Grünen-Hass und den verlorenen drei Landtagswahlen leistete.

Nun bereitet sich die Partei offenbar auf ein großes Coaching auf dem Parteitag im November vor. "Wir werden auf dem Parteitag, der ist Mitte November, wenn es nach mir geht, eine sehr ehrliche Debatte führen, wer wir sein wollen", sagte Habeck im ZDF. Man darf vermuten, dass Habeck da gewisse Vorstellungen hat.

Von Nixon lernen

Habeck lässt sich nicht in die Karten schauen, aber es steht nicht zu erwarten, dass er die Partei auf identitätspolitische und öko-marxistische Pfade lenken will. Es dürfte ein hartes Gefecht werde: Die linke Hälfte der Grünen zürnt der Ampel, weil sie in der Migrationspolitik die Zügel strafft. Und der Vorstand der Grünen Jugend ist sogar komplett zurückgetreten und hat sogar den Parteiaustritt verkündet, weil er das Glück noch weiter links vermutet.

Wie soll man als linker Grüner auch mit einem wie Cem Özdemir in einer Partei sein, der in der FAZ Richard Nixon zitiert und meint, ein progressives Bündnis könnten das Migrations- und Asylrecht verschärfen, weil es "das glaubhaft ohne den Anschein falscher Beweggründe tun kann". Das klingt nach "Abschieben mit menschlichem Antlitz" - und falls die Grünen mit dem Slogan plakatieren wollen, bitte ich um ein angemessenes (also hohes) Honorar.

Schwarz-Grün scheinen die Träume zu sein. Die CDU scheint eigentlich eine schöne Braut für die Grünen zu sein, sie wirkt stabil und verlässlich wie lange nicht. Sie bekommt sogar einen gemeinsamen Auftritt mit der früheren Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel hin. Merkel wurde anlässlich ihres 70. Wiegenfestes in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften geladen, es gab Leipziger Lerchen und Plinsen-Röllchen und andere Spezialitäten aus Lieblingsorten der Altkanzlerin.

Die CDU und ihre explosive Schwester

Harmonisch war's: Merkel lobte Friedrich Merz, wünschte ihm "alles Gute und viel Erfolg für die demokratische Union, die Union insgesamt und für unser Land". Hm, Moment - Gutes und Erfolg für Merz selbst ist aber nicht umfasst, oder? Grammatisch nicht leicht zu entschlüsseln, aber so ist sie halt, die Merkel. Ähnlich schillernd kommunizierte Markus Söder, der seine Krawatte farblich mit dem Blazer der Kanzlerin abstimmte, was freilich "Zufall" gewesen sei.

Wenn Politik nur so einfach wie das Binden einer Krawatte wäre! So stabil die CDU scheint, so volatil und explosiv wirkt die Schwester CSU - und sie steht auch schwarz-grünen Träumen im Wege. Markus Söders öffentliche Äußerungen sind da keineswegs Ton in Ton mit der Unionsspitze: Für Merz ist ein Bündnis mit den Grünen nämlich "aus heutiger Sicht" nicht möglich, das Türchen für das Jahr 2025 steht also offen. Söder klingt dagegen kategorisch: Ein Bündnis mit den Grünen dürfe es "unter keinen Umständen" geben, das sei "ein No-Go, und die CSU wird das verhindern".

Hm, wie soll das denn nun aufgehen? Eine Lesart lautet: Mit seiner harten Grünen-Opposition flankiert Söder im Grunde den Kanzlerkandidaten Merz. Merz dürfe nämlich schon aus taktischen Gründen nichts ausschließen, sonst würde er sich in möglichen Koalitionsverhandlungen komplett über den Tisch ziehen lassen. Indem Söder aber ein pauschales Grünen-Veto verkündet, ermöglicht er den Grünen-hassenden Wählern, ihre Stimme auch einem Merz zu geben. Söder selbst wiederum profilierte sich mit seinem Anti-Grünen-Kurs in Bayern, wo die Freien Wähler ihm in den Nacken atmen. Win-Win!

Dreht Söder bei?

Was macht Söder, wenn die CDU die Bundestagswahl gewinnt und mit den Grünen koalieren will? Vielleicht pokern Merz und Söder darauf, dass sich dieses Problem nicht stellt - wenn sich die Grünen nämlich bis dahin vollständig zerbröselt haben.

Vielleicht hoffen beide auch darauf, dass die Grünen sich wirklich verwandeln - in Nixon-Grüne, mit harter Hand gegen Migration, Waffen für Ukraine und Israel und ohne Öko-Marxisten. Selbst dann müsste Markus Söder den Hals um 180-Grad drehen, eine orthopädisch wie politisch gefährliche Übung.

Überraschend wäre das allerdings nicht.

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