CDU-Chef Merz fordert, dass kriminellen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen wird. Es dauert nicht lange, bis sich andere Politiker erinnern, dass es so etwas schon zu NS-Zeiten gab. Sie sprechen von einer "Zweiklassengesellschaft" und dem "Deutschsein auf Bewährung".
Die Aussagen von CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz über einen Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft bei kriminellen Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten sorgen für heftige Kritik. Manch ein Politiker stellt sogar Zusammenhänge zu NS-Zeiten her, sie seien daher "ein Tabubruch". So schreibt es etwa die SPD-Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori auf ihrem X-Profil. "Es offenbart eine Denke, bei der es 'echte' Deutsche gibt, die bedingungslos Deutsch sein dürfen, und die unechten Deutschen mit doppelter Staatsbürgerschaft und gegebenfalls anderem ethnischen Hintergrund, deren Deutschsein an Bedingungen geknüpft ist", erklärt die Mannheimerin.
Für den Grünen-Abgeordneten Kassem Taher Saleh, der selbst im Kindesalter nach Sachsen immigrierte, sind die Äußerungen Merz' ebenfalls unnachvollziehbar: "Für ihn sind wir lebenslang Deutsche auf Bewährung", schreibt Taher Saleh. "Und dieser Mann will Bundeskanzler werden. Unsere Gesellschaft wird Jahrzehnte brauchen, die Gräben, die Herr Merz gräbt, wieder zuzuschütten."
SPD-Chefin Saskia Esken macht im "Stern" deutlich, dass "Friedrich Merz mit dem bricht, was uns als Gesellschaft zusammenhält". Er spiele "bewusst mit dem rechtspopulistischen Feuer und ist als Kanzler aller Deutschen nicht geeignet", sagt sie weiter. Eingewanderte seien nur noch "Bürger zweiter Klasse".
"Das ist rechte Symbolpolitik, rechtlich höchst fragwürdig - und brandgefährlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt", stimmt Clara Bünger, Bundestagsabgeordnete der Linken, zu. "Für immer 'Deutsch auf Bewährung'?", fragt sie in diesem Zusammenhang. "Das Staatsangehörigkeitsrecht ist keine Strafecke." Sie erinnert an die NS-Zeit, in der unliebsamen Ausländern die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. Das Grundgesetz verhindere dies jetzt. Artikel 16 "schützt vor Willkür, Staatenlosigkeit und Diskriminierung, eine Lehre aus der NS-Zeit. Die Staatsangehörigkeit ist ein Grundrecht und darf nicht zu politischem Spielball werden."
Ökonom Marcel Fratzscher hält die Forderung des Kanzlerkandidaten für einen "Dammbruch, der unsere offene Gesellschaft weiter aushöhlt und die Polarisierung weiter verschärft". "Es würde zu einer Zweiklassengesellschaft bei der Staatsbürgerschaft führen", schreibt Fratzscher auf X. Es sei nur "ein kleiner Schritt von der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft hin zu Remigration".
"Deutsche 1. & 2. Klasse. Das ist völkisch."
Linken-Politikerin Susanne Ferschl schreibt zu den Abschiebewünschen des CDU-Chefs: "Ein 'Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit' hatten wir schon mal. Ein Gesetz der Nazis. Shame on you, Friedrich Merz." Für Historiker Jürgen Zimmerer ist "die Aberkennung der Staatsbürgerschaft ein Bruch mit der historischen Verantwortung". Er erklärt auf X, dass das "aus guten Gründen im Grundgesetz nicht möglich" ist. Merz schüre mit seinem Vorhaben "nicht nur - rassistische - Vorurteile von 'Migranten' als besonders gewalttätig, sondern schafft auch Deutsche 1. & 2. Klasse. Das ist völkisch!"
Die Aufregung entstand nach Merz' Aussagen in einem Interview mit der "Welt am Sonntag". "Um Anschläge oder weitere Straftaten zu vermeiden, müssen ausländische Straftäter spätestens nach der zweiten Straftat ausgewiesen werden", sagte er der Zeitung. "Es müsste wenigstens eine Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft möglich sein, wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben." Die doppelte Staatsbürgerschaft werde "zum Regelfall", sagte der CDU-Kanzlerkandidat weiter. "Wir holen uns damit zusätzliche Probleme ins Land."
Eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft bei kriminellen Migranten ist dabei gar keine neue Forderung. Die AfD warb damit schon im Bundestagswahlkampf 2017 um die Gunst der Wähler. Die Partei wollte damals sogar hinnehmen, dass Menschen damit zu Staatenlosen werden. Das Grundgesetz hätte entsprechend angepasst werden sollen, wäre die Partei an die Macht gekommen.
1933 wurde das "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" eingeführt, bevor es 1945 wieder als aufgehoben galt. In dieser Zeit wurden viele Eingewanderte staatenlos, darunter Tausende Juden und politische Gegner. Auch Exildeutschen konnte zu NS-Zeiten die deutsche Staatsbürgerschaft wegen ihres politischen Verhaltens aberkannt werden.