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Wie deutsche Autos trotz EU-Sanktionen nach Russland kommen



Stand: 14.08.2024 14:22 Uhr

Die EU-Sanktionen verbieten Pkw-Exporte nach Russland. Trotzdem gibt es im dortigen Handel nach Plusminus-Recherchen zuhauf Neuwagen deutscher Marken wie BMW, Mercedes und Volkswagen.

Von Andreas Wolter, MDR

Stolz präsentiert ein Autohändler aus St. Petersburg seine VW-Modelle: Neuwagen, Baujahr 2024, Herkunft: China. Und schließt mit der Aufforderung: "Wenn Sie sich das selbst ansehen möchten, kommen Sie zu Sigma Motors nach St. Petersburg." Sigma Motors ist nicht das einzige Autohaus in Russland, in dem Neuwagen von Volkswagen wie selbstverständlich angeboten werden - den Russland-Sanktionen zum Trotz. Egal ob in Moskau, im Westen oder ganz weit im Osten Russlands: VW-Modelle wie Talagon, Tavendor oder das E-Auto ID.6 - alles erhältlich.

Die Händler bieten ihre aktuellen Modelle des VW-Konzerns ganz offen im Internet auf ihren jeweiligen Homepages an. Und auch auf diversen Portalen wie auto.drom.ru ist die Auswahl an VW-Modellen groß. Das SUV-Modell Tavendor kostet zum Beispiel 7,3 Millionen Rubel, umgerechnet etwa 78.000 Euro. Und den Volkswagen-SUV Tayron gibt es preisreduziert für 5,14 Millionen Rubel, rund 55.000 Euro. Auch die Premiummarke Audi ist nach wie vor in Russland präsent. Die A6-Limousine wird für 6,6 Millionen Rubel angeboten, umgerechnet etwa 70.600 Euro. Alle Autos sind Neuwagen.

Kritik von Transparency International

Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Jurist Heribert Hirte, seit 2022 Mitglied im Vorstand von Transparency International Deutschland, ist überrascht und spricht von einem Skandal. "Das haut einen schon irgendwie um, wenn man sieht, mit welcher Selbstverständlichkeit hier deutsche Autos in Russland weiterverkauft werden, während wir gesagt bekommen, dass der Export von deutschen Autos verboten ist. Und sie werden hier ganz normal angeboten, als ob sie in den Supermarkt gehen könnten und nichts wäre passiert, als gäbe es keinen Krieg."

Angeboten werden in Russland vor allem VW-Modelle, die es in der EU und generell in Europa eigentlich gar nicht geben soll. Es sind nämlich SUV-Modelle, die laut Volkswagen nur für den chinesischen Markt bestimmt sind: ID.6, Talagon, Tavendor oder Tayron - in Russland sind sie jedoch alle erhältlich.

Und ein kurzer Blick auf die Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) bestätigt: Diese Neuwagen-Modelle kommen aus China. Denn die erste Ziffer der FIN ist ein "L", dieser Buchstabe steht für China. Es folgen die Buchstaben FV für das chinesisch-deutsche Joint-Venture-Unternehmen FAW-Volkswagen oder SV für das ebenfalls chinesisch-deutsche Joint-Venture SAIC-Volkswagen.

Brisanter Vorwurf

Über diese Joint-Venture-Unternehmen erfolge gezielt der Export von VW-Modellen aus China nach Russland, lautet der brisante Vorwurf. Er wird von einem Insider erhoben, der selbst seit Jahren im China-Export-Geschäft mit Pkw-Neuwagen tätig ist und bereits Hunderte Neuwagen-Modelle des Volkswagen-Konzerns aus China nach Europa exportiert hat. Volkswagen exportiere über die chinesischen Partner "Tausende und Abertausende Autos nach Russland", so der Insider.

"Die aktuellen Informationen sind so, dass SAIC und FAW eigene oder nahestehende Unternehmen in Russland haben, die sie mit diesen Fahrzeugen beliefern. Und die verteilen die Fahrzeuge dann an die russischen Händler." FAW und SAIC unterhalten in Russland Tochterunternehmen.

Eine "inoffizielle Geschäftspraktik"?

Ein Export von in chinesischen Werken der Joint-Venture-Unternehmen mit Volkswagen produzierten Autos ist offenbar prinzipiell möglich. Das geht aus einem Joint-Venture-Vertrag zu technischen Parametern hervor, der dem ARD-Magazin Plusminus vorliegt. In Artikel 12 steht dazu: "FAW-VW hat das Recht, das vertragsgegenständliche Fahrzeug in die internationalen Märkte (…) zu exportieren, vorbehaltlich der vorherigen schriftlichen Zustimmung von Volkswagen, die nicht unbegründet verweigert werden darf."

Ein angefragter Export nach Russland müsste angesichts der EU-Sanktionen auf ein klares Nein vom Volkswagen-Konzern stoßen. Trotzdem landen VW-Modelle aus China in russischen Autohäusern. Der Insider glaubt, "dass Volkswagen Deutschland sehr wohl darüber Bescheid weiß, was in China passiert, und einfach eine offizielle Stellungnahme hat und eine inoffizielle Geschäftspraktik."

VW-Konzern widerspricht: Kein Export nach Russland

Volkswagen widerspricht vehement; der Konzern halte sich mit all seinen Marken an die verhängten EU-Sanktionen. "Volkswagen Group China und die Joint-Venture-Unternehmen exportieren keine Autos nach Russland. Jegliche anderslautende Berichte haben keine Grundlage und sind schlichtweg falsch." Für den Export von Neuwagen aus China nach Russland sei der unautorisierte Handel verantwortlich.

Das hält der Insider jedoch für unglaubwürdig. Unautorisierte Händler könnten in China einen Export von Neuwagen in solchen Größenordnungen gar nicht handhaben. "Das kann in China nur über die Global Player laufen. Und die Global Player sind eben die staatlichen Unternehmen und die staatlichen Joint-Venture-Partner von Volkswagen."

Mangelt es an Kontrollen?

Doch nicht nur VW- und Audi-Neuwagen sind in Russland problemlos erhältlich, sondern auch Modelle von Skoda und Jetta. Jetta ist in China seit Jahren eine Submarke des Volkswagen-Konzerns. In einem brisanten Chat vom Oktober 2023 antwortet der Manager aus einem Joint-Venture-Unternehmen von Volkswagen in China auf die Frage zu Exporten des Jetta nach Europa, in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 habe "FAW schon mehr als 11.000 Jettas nach Russland exportiert". Und im Jahr 2024 sollen es noch mehr werden.

"Aus meiner Sicht das klare Indiz dafür", so Heribert Hirte von Transparency International Deutschland, "dass alles, was hier passiert, ein vorsätzliches Unterlaufen der Sanktionen ist".

Ein russischer Skoda-Händler spricht hingegen mit einem Anflug von Sarkasmus vom Inbegriff der Völkerfreundschaft, als er in einem aktuellen Video den neuen Skoda Kodiaq vorstellt: Das Auto sei "ein tschechischer Deutscher, der aus China kommt". Auch hier macht Volkswagen unautorisierte Händler verantwortlich. Heribert Hirte kritisiert, "dass die Kontrolle bei den Sanktionen, die offensichtlich unterlaufen werden, nicht in der Weise stattfindet wie sie eigentlich stattfinden müsste."

EU-Sanktionen verbieten auch Export über Zwischenhändler

Die Europäische Kommission hatte bereits im März 2022 kurz nach Kriegsausbruch per Verordnung den Export zahlreicher Luxusgüter nach Russland verboten. Dazu zählen seit Juni 2023 nicht nur teure Autos, sondern alle Pkw. Und zwar unmittelbar und mittelbar. Diese beiden Begriffe tauchen zusammen über 100 mal in den EU-Sanktionsverordnungen auf. Das heißt: Auch der Export über Zwischenhändler oder Drittländer ist verboten.

Die Um- und Durchsetzung dieser Sanktionen obliegt jedoch den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU. In Deutschland ist dafür unter anderem die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung bei der Generalzolldirektion zuständig. Detaillierte Auskünfte will sie mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht erteilen. Die Behörde betont aber: "Tatsächlichen Anhaltspunkten für mögliche Sanktionsverstöße geht der Zoll im Rahmen seiner Zuständigkeit konsequent nach."

Auch neue Mercedes und BMW in Russland erhältlich

Nicht nur Neuwagen der Marken aus dem Volkswagen-Konzern sind in Russland erhältlich, sondern auch von Mercedes und BMW. Beide Unternehmen haben sich offiziell eigentlich wie Volkswagen längst vom russischen Markt zurückgezogen. Trotzdem bieten Händler in Russland weiterhin Neuwagen an. Hier kommen die Autos sogar direkt aus deutschen Werken. Mercedes-Benz betont, man nehme potenzielle Verstöße gegen Sanktionsvorschriften ernst und gehe diesen nach. Die BMW Group wiederum macht sogenannte Graumarktimporte dafür verantwortlich, dass auch deren Neuwagen in Russland weiterhin verfügbar sind.

Auffällig: Während Neuwagen von Mercedes, BMW und den Marken des Volkswagen-Konzerns zahlreich in Russland angeboten werden, sind die russischen Offerten für Neuwagen anderer europäischer Hersteller sehr überschaubar. Renault, Fiat oder Alfa Romeo gibt es so gut wie gar nicht, lediglich Peugeot-Neuwagen sind in größerer Stückzahl im Angebot. Tesla spielt in Russland auch keine Rolle. Eine mögliche Erklärung ist auch, dass deutsche Fahrzeuge der Premium-Marken in Russland sehr beliebt sind.

Der Handel mit Neuwagen deutscher Hersteller floriert also in Russland - trotz der EU-Sanktionen. Heribert Hirte von Transparency International Deutschland fordert ein energisches Handeln in Europa und Deutschland: "Wir müssen zusehen, dass die Sanktionen wirken und auch durchgesetzt werden." Sonst entstehe der Eindruck, dass die Sanktionen ein zahnloser Tiger sind.

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