Die Zahl der Messerattacken in Deutschland steigt. Innenministerin Nancy Faeser will deswegen das Waffenrecht verschärfen. Aber kann die Polizei ein Messerverbot überhaupt durchsetzen?
In Deutschland gab es 2023 exakt 8951 Fälle von gefährlicher und schwerer Körperverletzung, bei denen Messer zum Einsatz kamen – entweder um jemanden zu verletzen oder um damit zu drohen. Zumindest ist das die Anzahl der Taten, die in die Polizeistatistik eingeflossen sind. Das ist ein Anstieg um 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Bundespolizei registrierte laut einem Bericht der "Bild am Sonntag" im ersten Halbjahr 2024 erneut mehr Messerangriffe – vor allem an Bahnhöfen.
Daher will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun gegensteuern und das Waffenrecht verschärfen: Sie werde "den Umgang mit Messern im öffentlichen Raum weiter einschränken", kündigte Faeser in der "Bild am Sonntag" an. In der Öffentlichkeit sollen Messer demnach nur noch bis zu einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. "Für gefährliche Springmesser wollen wir ein generelles Umgangsverbot schaffen. Entsprechende Waffenrechtsänderungen werden wir in Kürze vorlegen", so Faeser.
Polizist Messerattacke 0850Aber ist das überhaupt realistisch? Kann die Polizei angesichts von Unterbesetzung und Überstunden diese Kontrollen zusätzlich leisten? "Die Polizei wird ganz sicher mit der vorhandenen Personaldecke ein generelles Messertrageverbot in der Öffentlichkeit nicht durchsetzen können", sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), dem stern. "Gesetzliche Bestimmungen dieser Art verfolgen einen generalpräventiven Zweck, nämlich über die publizierte Strafandrohung zu erreichen, dass potenzielle Täter ihr Verhalten ändern und ihr Messer zu Hause lassen. Es gibt allerdings erhebliche Zweifel daran, dass dies gelingen wird."
Kontrollen des Messerverbots
Wie die Kontrollen ablaufen, schildert Wendt so: "In der Praxis werden Personen angehalten, kontrolliert und gegebenenfalls mitgeführte Taschen, Rucksäcke oder auch die Oberbekleidung durchsucht." Die Polizei würde aufgrund von Erfahrung entscheiden, wer kontrolliert wird. "Dass dabei die erkennbar ältere Dame weniger ins Visier der Kräfte gerät, als möglicherweise auffällige, aggressive, lautstarke Gruppen junger Männer, liegt auf der Hand", so Wendt zum stern.
Zudem rief Faeser die Kommunen dazu auf, mehr Waffen- und Messerverbotszonen einzurichten. Das hat die Hansestadt Hamburg schon getan: Rund um die Reeperbahn auf St. Pauli sowie am Hansaplatz auf St. Georg und seit einigen Monaten auch am Hauptbahnhof gilt ein Waffenverbot. Ein Pressesprecher der Polizei Hamburg zieht auf stern-Anfrage eine positive Bilanz: Die Polizei sei dadurch "in der Lage, Waffen und gefährliche Gegenstände aus dem Verkehr zu ziehen. Jeder einzelne dieser Gegenstände ist einer zu viel". Es sei davon auszugehen, dass weitere Straftaten, die mit dem Einsatz von Waffen oder gefährlichen Gegenständen verbunden gewesen wären, dadurch verhindert werden konnten, so der Sprecher. Allein am Hamburger Hauptbahnhof seien seit Oktober 2023 "350 Messer und über 150 sonstige verbotene Gegenstände sichergestellt worden".
Polizei fehlt Personal für Kontrollen
Auch Gewerkschafter Wendt bewertet Messerverbotszonen grundsätzlich positiv: "Es hat sich gezeigt, dass die erleichterte Möglichkeit, derartige Kontrollen durchzuführen, den Kontrolldruck erhöht und schon nach kurzer Zeit dazu führt, dass die 'Erfolgsquote' sinkt, also weniger Messer in diesen Zonen mitgeführt werden." Kritisch merkt er jedoch an: "Allein im Bereich der Bahnhöfe fehlen der Bundespolizei rund 3500 Einsatzkräfte, auch die jeweilige Länderpolizei kann nur in Schwerpunktaktionen an bekannten kriminalitätsbelasteten Orten wirken."
Messerangriff auf der A7 16.50Zugleich übt Wendt Kritik an Kommunen, Ordnungsämtern und Justiz: "Kommunen müssen Kontrollkräfte aufstellen und ihre Ordnungsämter verstärken, Staatsanwaltschaften in die Lage versetzt werden, nach Messerattacken auch rasch Anklagen zu erheben; die Einstellung darf nur der Ausnahmefall sein. Außerdem müssen die Gerichte zu nachvollziehbaren Urteilen finden, die dem Grad des kriminellen Unrechts einer solchen Tat gerecht werden."
Sein Fazit: "Die Polizei allein wird auch mit noch so viel Personal das Problem der 'Messerkriminalität' nicht alleine lösen. Wenn die anderen Akteure so weitermachen wie bisher, wird ein solches Gesetz nicht das Papier wert sein, auf dem es steht."