Die positiven Reaktionen auf die beiden Umsteiger-Artikel (eins und zwei) habe ich nicht erwartet. Die Community schreibt schon seit Jahren viele Anleitungen für Windows-zu-Linux-Umsteiger. Es gibt auch unzählige Videos, an denen man sich orientieren kann. Daher dachte ich, dass dieses Informationsbedürfnis ausreichend abgedeckt ist.
Vielen Dank für eure Kommentare zu den beiden Artikeln. Es gab einige, die ich für Anfänger:innen für zu kompliziert halte, z. B. die Erläuterung der verschiedenen Paket-Formate, oder alle Installationsmethoden, oder die Verwendung des Terminals. Diese Themen sind zwar wichtig, sollten aber nicht die erste Priorität von blutigen Anfängern sein.
Was viele Umsteiger interessiert, sind die alternativen Anwendungen. Auch dieses Thema wurde in den Kommentaren vorgeschlagen, und ich greife es gerne auf. Wer von Windows oder macOS auf Linux umsteigt, hat ein paar Fragezeichen auf der Stirn:
- Wie funktioniert das System überhaupt? Das habe ich in den ersten beiden Beiträgen knapp erklärt.
- Welche Anwendungen gibt es, um meine Anwendungsfälle abzudecken?
Um die zweite Frage soll es in diesem Artikel gehen.
Bevor ich damit beginne, möchte ich erneut ein Missverständnis klären, welches bereits in den vorherigen Beiträgen angesprochen wurde. In einem Kommentar schreibt S3NNET:
Ich hatte geschrieben: "Vergleicht Linux nicht mit Windows"
S3NNET schlägt vor: "Vergleicht Linux mit Windows, aber erwartet nicht, dass Linux Windows gleicht."
Mir fällt es schwer, eine passende Analogie dafür zu finden. Wie wäre es damit:
- Wenn du vom Auto auf die Bahn umsteigst, frage nicht nach dem Schaltknüppel.
- Wenn du von Fleisch auf Gemüse umsteigst, frage nicht nach der Leberwurst.
- Wenn du vom Mercedes auf den BMW umsteigst, frage nicht nach dem Stern auf der Motorhaube.
Ja, es sind blöde Vergleiche, aber ihr versteht, worum es geht. Linux ist nicht Windows, Linux-Anwendungen sind keine Windows-Anwendungen. Freie Software ist ein eigenes Software-Universum, das sich nicht mit anderen (geschlossenen) Gärten vergleichen lassen will und muss. In der Welt der Freien Software gibt es für alle Anwendungsfälle gute Lösungen, die sich nicht verstecken müssen. Im Gegenteil; in vielen Bereichen stellen freie Anwendungen das Non-plus-ultra dar. Ein paar Beispiele:
- Webbrowser: Firefox ist einer der wenigen Browser, der werbefreies Surfen im Internet sichert. Stichwort: Manifest V3
- Video Recording und Live Streaming: OBS Studio verwenden fast alle Medienschaffende.
- Gaming: Steam ist die Spiele-Plattform; nicht nur unter Linux.
- 3D-Rendering: Blender ist das Profi-Werkzeug in der Film-Industrie.
- Office: LibreOffice funktioniert selbst dann, wenn Microsoft-Office seine eigenen Dokumente nicht mehr öffnen kann.
- ... diese Liste ist noch sehr viel länger.
Welche Anwendungen gibt es für mich?
Um diese Frage zu beantworten, schlage ich drei Stufen vor:
- Was habe ich bereits?
- Was bietet mir meine Anwendungsverwaltung?
- Was gibt es sonst noch?
Welche Anwendungen werden mitgeliefert?
Bei deiner Linux-Distributionen (z. B. Linux Mint) werden die Batterien mitgeliefert. Das siehst du im Start-Menü:
Bei den Büroanwendungen ist LibreOffice vorinstalliert. Dort gibt es die Tabellenkalkulation (Calc), ein Zeichenprogramm (Draw), die Präsentations-Anwendung (Impress) und die Textverarbeitung (Writer). Ausserdem findest du dort eine Kalender-App und in der Bibliothek die zuletzt bearbeiteten Dokumente.
Unter der Kategorie "Grafik" gibt es drei Anwendungen:
Diese Auswahl halte ich für nicht gut gelungen. Dort findet ihr einen Scanner, den Bildbetrachter "Pix" und das einfache Zeichenprogramm "Zeichnung". Bessere Anwendungen im Grafik-Bereich sind z. B. Gimp oder Krita für die Fotobearbeitung, Inkscape für Vektorgrafiken und gThumb als Bildbetrachter und -verwalter.
Bei den Internet-Anwendungen sieht es viel besser aus:
Firefox als Webbrowser ist selbstverständlich, ebenso wie Thunderbird als E-Mail-Programm. Transmission ist State-of-the-Art für das Herunterladen von Inhalten über das BitTorrent-Protokoll, und die Möglichkeit, Webapps zu installieren, gefällt auch. Überraschend positiv ist die Entscheidung des Mint-Teams, Matrix als Messenger aufzunehmen. Das ist die bessere Alternative zu WhatsApp und Co. Ja, ich weiss, das ist ein eigenes Thema.
Im Bereich "Multimedia" kommt Linux Mint schlank daher:
Es wird die Anwendung Celluloid geboten, mit der man Videos abspielen kann. Mit Hypnotix kann man Fernsehsender anschauen, und Rhythmbox ist ein ausgezeichneter Musik-Player und eignet sich hervorragend, um auch grosse Musiksammlungen zu verwalten.
Die übrigen Menü-Kategorien Zubehör, Einstellungen und Systemverwaltung möchte ich hier nicht ausführlich beschreiben, weil es den Rahmen sprengen würde. Dort findet ihr sehr viele Anwendungen, die für tägliche Aufgaben nötig sind, wie zum Beispiel:
- Dateien komprimieren
- Bildbetrachter
- Screenshots
- Verwaltung der Laufwerke
- Notizen
- Passwörter
- Taschenrechner
- Text-Editor
- Sonderzeichen
- zig Einstellmöglichkeiten
- Drucker
- Treiberverwaltung
- Backup
- und vieles mehr
Falls etwas fehlt
Wem die mitgelieferten Anwendungen nicht genügen, kann in der Anwendungsverwaltung nach weiteren Programmen suchen und diese installieren. Wie das geht, habe ich bereits im zweiten Teil dieser Artikelserie beschrieben. Ein konkretes Beispiel seht ihr hier:
Ich habe nach "Einrichtung" gesucht und finde als erstes Ergebnis die Anwendung Sweethome3d. Damit kann man seine Inneneinrichtung planen. Das Beispiel zeigt, dass man auch mit allgemeinen Begriffen gute Vorschläge für Anwendungen erhält.
Wo finde ich noch mehr?
Eigentlich müsste ich darüber gar nicht schreiben, weil es eine Webseite gibt, die sich exakt mit diesem Thema beschäftigt. Sie heisst AlternativeTo und bietet, was der Name verspricht, nämlich alternative Anwendungen zu finden. Die Seite ist "crowd-sourced" und umfasst mehr als 125'000 Apps. Hier ist ein Beispiel, in dem ich nach einer Alternative zu Microsoft Office suche:
In der Zusammenfassung erhält man eine Beschreibung der Anwendung, sowie die Anzahl der verfügbaren Alternativen. Ausserdem sind die Populärsten verlinkt: LibreOffice, ONLYOFFICE, ... Weiter unten auf der Seite findet man detaillierte Informationen zu den alternativen Vorschlägen, sortiert nach ihrer Beliebtheit:
Fazit
Die Auswahl an freien Anwendungen ist riesig. Das stabile Debian-Repository, auf dem Linux-Mint basiert, enthält knapp 82'000 Pakete (Anwendungen). Hinzukommen ca. 2500 Anwendungen aus dem Flathub-Repository. Linux-Mint kann aus den Debian- und den Flathub-Quellen installieren. Werft doch mal einen Blick auf Flathub.
Es gibt keinen Anwendungsbereich, in dem es keine adäquaten freien Programme gibt. Selbstverständlich sind diese Anwendungen anders als die gewohnten Windows-Apps. Das ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil, weil diese Programme euch nicht verfolgen und euch kein Abonnement aufdrücken. Ausserdem sind sie meistens auf die wesentlichen Funktionen reduziert, wodurch die Eingewöhnung einfacher gelingt.
Wenn euch Programme für bestimmte Anwendungsfälle fehlen, fragt die Community.
Titelbild: KI-generiert (ChatGPT: "Tux am Arbeitsplatz")
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