Neun Jahre lang hat die Uni Potsdam mit dem Refugee Teachers Program gefüchtete und zugewanderte Lehrkräfte fit für deutsche Schulen gemacht. Die Bilanz ist positiv, aber es gibt noch einiges zu verbessern.
"Die Schulkinder in Deutschland sind viel freier als in Syrien, sie haben viel mehr Rechte." Das fällt G. Dawud als erstes ein, wenn er beschreiben soll, was am deutschen Schulsystem anders ist als in seiner Heimat.
Auch der Einfluss der Eltern sei hier deutlich größer, sagt der 37-Jährige, der als Grundschullehrer in Rathenow bei Berlin arbeitet. Er ist einer der 116 Absolventen und Absolventinnen des Refugee Teachers Program der Universität Potsdam, und sein Werdegang ist typisch für viele von ihnen.
2016 floh G. Dawud aus den kurdischen Gebieten Syriens nach Deutschland, so wie viele tausend andere Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan seit 2015. "Da sind doch bestimmt jede Menge ausgebildete und erfahrene Lehrerinnen und Lehrer dabei“, dachten sich ein paar Wissenschaftlerinnen der Universität Potsdam. "Die könnten wir doch hier sehr gut gebrauchen."
Denn in Brandenburg - wie in ganz Deutschland - fehlten und fehlen jede Menge Lehrkräfte. Also entwarfen Miriam Vock und Anna Alexandra Wojciechowicz ein Programm, das geflüchtete Lehrkräfte für das deutsche Schulsystem fit machen soll. Das Refugee Teacher Program war geboren, damals das erste und einzige deutschlandweit.
Die Nachfrage war sofort groß
Auch das Brandenburgische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur fand die Idee überzeugend und stellte Geld dafür bereit. Gleich 2016 schrieb die Uni Potsdam einen ersten Kurs aus - für zehn Teilnehmer.
Voraussetzung: der Nachweis eines Abschlusses als Lehrkraft im Herkunftsland und zwei Jahre Berufserfahrung. Beworben haben sich über 600 Menschen.
Diese riesige Nachfrage überraschte auch die Wissenschaftlerinnen. Sie mussten viele Bewerber enttäuschen. Auch G. Dawud gehörte zunächst dazu. Er bekam erst 2018 einen Platz für die Ausbildung.
Hohe Anforderungen
Die Ausbildung dauerte zwei Jahre. Zunächst mussten die Studierenden einen Intensivsprachkurs machen. Mindestens das Sprachlevel C1 musste erreicht werden, inzwischen sogar C2. Das gilt als Muttersprachniveau und ist sehr anspruchsvoll für Menschen, die nicht schon lange die Sprache lernen oder im Land leben.
Nebenher wurde Pädagogik und Didaktik unterrichtet, und es wurden Praktika an Schulen gemacht. Seit 2020 studieren die meisten Teilnehmer des Programms auch noch ein zweites Lehrfach.
Miriam Vock betont, wie hoch die Anforderungen an die Studierenden sind: "Wer das Programm erfolgreich durchläuft, ist hoch motiviert und leistungsbereit." Von 200 Frauen und Männern, die in den vergangenen neun Jahren die Ausbildung begonnen haben, machten 116 einen Abschluss.
Ein langer Weg zum Erfolg
Herausforderungen gibt es viele. Eine der zahlreichen Erfahrungen, die die Uni mit den Jahren gemacht hat: Ihre Absolventinnen und Absolventen bekommen im deutschen Schulsystem nur dann die vollständige Anerkennung als Lehrkraft, wenn sie die Unterrichtsbefähigung für zwei Fächer mitbringen. Deshalb bietet das Programm jetzt die Ausbildung in einem Zweitfach an.
International ist das meist anders. Auch G. Dawud hatte nur einen Abschluss als Mathematiklehrer. Zu seinem Glück hat er in Syrien Angewandte Mathematik studiert, so dass er jetzt auf Grundschulniveau auch das Fach Medien und Informatik anbieten kann. Aber er hat - wie viele der zugewanderten Lehrkräfte - nur einen Bachelor.
In Deutschland aber ist ein Diplom oder ein Masterabschluss notwendig, um eine entsprechende Einstufung auch in der Bezahlung zu bekommen. Für G. Dawud heißt das, er muss weiter studieren.
Auch das trifft auf die meisten der Absolventinnen und Absolventen des Refugee Teachers Program zu. Nach den zwei Jahren an der Uni müssen sie noch weitermachen.
Praktikum oder "Anpassungslehrgang"
Das Programm lässt den Studierenden die Wahl. Sie können entweder ein Jahr lang ein bezahltes Praktikum absolvieren, das die Uni eng begleitet, oder sie können einen sogenannten Anpassungslehrgang machen.
Dabei unterrichten sie mit Begleitung an Schulen und besuchen zusammen mit Referendaren weitere Seminare. Dieser Lehrgang dauert zwischen sechs Monaten und drei Jahren, je nach der individuellen Vorqualifikation. "Nach Abschuss aller Qualifizierungsbausteine sind die Lehrkräfte mit den in Deutschland ausgebildeten gleichgestellt", sagt Wojciechowicz.
Denn wer an diesem Programm teilnimmt, hat ja schon ein Studium in seinem Heimatland durchlaufen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind durchschnittlich Mitte 30, viele haben Familie. Die meisten leben in der Zeit des Programms weiter von Sozialleistungen. Es gibt nur sehr wenige Stipendien.
Unterricht geben in einer fremden Sprache
Zudem bleibt es für die meisten sehr anspruchsvoll, nach Abschluss des Programms tatsächlich als Lehrerin oder Lehrer zu arbeiten. Unterricht in einer Fremdsprache zu geben, ist eine Herausforderung. Vor allem, wenn sie sich das Ziel setzen, auf muttersprachlichem Niveau zu arbeiten.
Auch G. Dawud will das. Er spricht sehr gut deutsch, ist aber selbstkritisch und wäre gerne besser. Schließlich ist er jetzt Klassenlehrer einer vierten Klasse, da möchte er alles richtig machen.
Ende März nun endet das Refugee Teachers Program der Uni Potsdam nach neun Jahren. Eigentlich ist ein Anschlussprogramm geplant, aber dafür fehlt noch die Finanzierung, weil Brandenburg nach der Landtagswahl noch keinen neuen Haushalt verabschiedet hat.
Aber die Potsdamer haben viele Nachahmer gefunden. 18 Hochschulen bieten deutschlandweit jetzt entsprechende Kurse für eingewanderte Lehrkräfte an.
Anforderungen senken?
Um die alle erfolgreich zu machen, wünschen sich Vock und Wojciechowicz ein bisschen mehr Flexibilität im deutschen Schulsystem. Vor allem die Forderung, dass Lehrkräfte für zwei Unterrichtsfächer ausgebildet sein müssen, sollte ihrer Meinung nach überdacht werden.
Auch sogenannte Quereinsteiger hätten da oft noch ein Problem. Angesichts des Lehrermangels hierzulande sei es doch wichtiger, gute Lehrkräfte an die Schulen zu bringen, statt sie mit zu hohen Forderungen abzuschrecken.
G. Dawud steht jetzt vor der Frage, ob er ein zweites Fach studieren oder lieber den Master nachholen soll. Beides müsste er neben seiner Arbeit berufsbegleitend tun.
Er hofft, dass ihm das Schulamt einen guten Rat dazu gibt. Denn er möchte auf jeden Fall vollständig als Lehrer hier anerkannt werden. Er liebt seinen Beruf, und er findet es auch schön, dass die Kinder in Deutschland so selbstbewusst und frei sind, auch wenn es für Lehrer dann manchmal ein bisschen anstrengend ist.