Vor der Landtagswahl in Thüringen ist die SPD in einer schwierigen Lage. Deren Spitzenkandidat Georg Maier erklärt im Interview, wie er die Menschen in der letzten Woche vor dem 1. September noch überzeugen will. Und er sagt, warum er bereit wäre, mit dem BSW und der CDU zu koalieren. Von der alten Minderheitsregierung mit Linken und Grünen hat er offenbar die Nase voll.
ntv.de: Herr Maier, Sie kämpfen in Thüringen für ein starkes SPD-Ergebnis am 1. September. In Umfragen sind Sie einstellig. Was läuft falsch bei der SPD?
2019 haben wir acht Prozent erreicht, jetzt stehen wir in Umfragen bei sieben Prozent. Das ist kein Dammbruch nach unten. Natürlich sind wir mit solchen Werten nicht zufrieden. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir ein deutlich besseres Ergebnis erreichen. Sehr viele Menschen sind noch unentschlossen. Ich setze darauf, dass sich die Menschen auf das konzentrieren, was wir hier entscheiden können und was wichtig ist für das Land.
Reden Sie denn im Wahlkampf mehr über den Ukraine-Krieg als über die Landesthemen?
Ich komme gerade von einem Infostand in der Fußgängerzone von Sonneberg. Dort haben die Menschen einen AfD-Politiker zum Landrat gewählt. Aber es ist nicht so, dass die Menschen nur über Krieg und Frieden reden wollen. Ganz im Gegenteil. Ich hatte sehr viele Gespräche über Pflege, Rente, Löhne.
Was sagen die Menschen?
Sie fragen: Warum bekommen hier in Sonneberg 40 Prozent der Menschen nur den Mindestlohn und wenige Kilometer weiter im bayerischen Coburg ist das Lohnniveau viel höher? Eine Frau sagte mir: Ich habe 45 Jahre gearbeitet. Jetzt bekomme ich einen Rentenbescheid, darauf steht: 895 Euro. Davon kann man nicht leben. Mir liegt es sehr am Herzen, dass Thüringen gerechter wird.
In Ihrem Programm versprechen Sie auch einiges in diese Richtung, zum Beispiel 500 Euro Weihnachtsgeld für Rentner, kostenlose Mittagessen in Schulen, Geld für pflegende Angehörige und 15 Euro Mindestlohn. Sind das Wahlgeschenke, um die SPD zu retten?
Unsere Mitbewerber versuchen uns in diese Ecke zu schieben, weil sie selbst keine konkreten Angebote haben. Wissen Sie, ich war als Politiker nie ideologisch unterwegs. Ich will ganz pragmatisch Lösungen finden. So sind auch unsere Vorschläge. Die sind durchdacht, die sind durchgerechnet, die sind realisierbar.
Aber man muss dann auch sagen, was nicht mehr geht.
Ich kann Ihnen sagen, was das kosten würde. Wenn wir das Weihnachtsgeld für Grundrentner einführen, kostet das 27 Millionen Euro. Der Gesamthaushalt umfasst aber 14 Milliarden Euro. Das ist also ein Betrag im Promille-Bereich. Es ist aber ein wichtiges Signal. Zum Vergleich: Die Senkung der Grunderwerbsteuer, die CDU, FDP und AfD durchgesetzt haben, kostet jedes Jahr 45 Millionen Euro.
Ein Mindestlohn von 15 Euro mag vielen gefallen, aber darüber entscheidet auch nicht die Thüringer Landesregierung, sondern eine Kommission auf Bundesebene.
In Thüringen sind Löhne und Gehälter im Durchschnitt bis zu 20 Prozent niedriger als im Westen der Republik. Das kann so nicht weitergehen. Die Unternehmer suchen dringend Nachwuchs. Natürlich ist dafür auch eine gute Bezahlung ausschlaggebend. Wenn es uns nicht gelingt, Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, wird die Thüringer Wirtschaft keine Zukunft haben. Deshalb ist auch die Politik der AfD so extrem schädlich. Das sagen mir gerade auch die Unternehmer. Auf keinen Fall können wir es uns leisten, Menschen die hier sind, im großen Stil zu remigrieren, wie die AfD ihre großangelegten Abschiebungsfantasien nennt. Unser Gesundheitssystem würde zusammenbrechen und auch die Tourismus-Branche käme zum Erliegen.
Trotzdem ist die Höhe des Mindestlohns keine Landeszuständigkeit.
Das nicht, aber die Landesregierung kann ihn für die Vergabe von Aufträgen zur Bedingung machen. Also nur Aufträge an Unternehmen geben, die mindestens 15 Euro pro Stunde bezahlen. Das ist unser Ziel.
Sie stammen aus Baden-Württemberg und haben lange in Frankfurt am Main gearbeitet. Wenn Sie Ihre alten Freunde und Familie fragen: Was ist da los in Thüringen? Was antworten Sie dann? Wie rechts und demokratiefeindlich sind die Thüringer?
Ich werde nicht mit dem Finger auf die Wählerinnen und Wähler der AfD zeigen. Ich versuche, ihre Motive zu verstehen. Gerechtigkeit ist ein ganz wichtiger Punkt, um Menschen davon abzuhalten, autoritäre oder populistische Parteien zu wählen. Das sage ich meinen Freunden: Es gibt eine große Unzufriedenheit, weil es nach so langer Zeit noch immer diese sozialen Unterschiede zwischen West und Ost gibt.
Woran machen Sie das fest, abgesehen von den Löhnen?
Schauen Sie sich die privaten Vermögen an. Die sind hier im Schnitt nicht einmal halb so hoch wie im Westen. Man braucht aber Reserven. Das heißt, die Preissteigerungen der vergangenen Jahre, bei Lebensmitteln bis zu 30 Prozent, schlagen voll durch. Das bedeutet hier für viele Menschen Verzicht. Keinen Urlaub mehr.
Gibt es für die Menschen keine Grenze nach rechtsextrem? Man kann ja sehr unzufrieden sein, aber deswegen muss man keinen Rechtsextremisten wie AfD-Kandidat Björn Höcke wählen.
Nochmal zurück zu Sonneberg. Die haben hier ja einen AfD-Landrat. Aber die Menschen merken gerade, dass der nichts zustande bringt. Gerade im Bereich der Migration. Er schafft es beispielsweise nicht, die Bezahlkarte für Asylbewerber durchzusetzen. Die von der AfD haben es einfach nicht drauf. Stattdessen machen sie massiv Werbung mit dem Euro-Austritt und EU-Austritt. Das wäre aber eine Katastrophe für Thüringen. Zugleich schüren sie Ängste vor Migranten. Jeder mit Migrationshintergrund ist bei denen ein potenzieller Messermann oder Straftäter. Dann bieten sie ganz einfache Lösungen an, die aber nicht funktionieren. Es verfängt trotzdem, weil die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien da ist.
Zu denen auch die SPD gehört, die auch im Bund regiert.
Da ist die Ampelkoalition nicht ganz unschuldig. Der andauernde Streit ist für die Kommunikation fatal. Dabei hat die Ampel viel erreicht. Sie hat uns gut durch die Krisen gebracht. Wir haben hier jetzt einen Industriestrompreis, der niedriger ist als vor der Krise. Aber es gelingt nicht, diese Erfolge sichtbar zu machen. Das macht es den Populisten einfach.
Am Dienstag treten Sie mit Olaf Scholz in Jena auf. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke verzichtet auf solchen Beistand. Hätten Sie es ohne Kanzler-Besuch einfacher gehabt?
Ich freue mich, dass er kommt. Er ist unser Bundeskanzler. Wir können Unterstützung immer gebrauchen. Was wir nicht gebrauchen können, ist das, was in der Ampel stattfindet. Aber dafür ist nicht die SPD verantwortlich, sondern unsere Koalitionspartner.
Die Unzufriedenheit hat aber auch reale Ursachen. Die Kriminalität ist ja tatsächlich gestiegen, wie aus der Polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht. Und das fällt in Ihren Verantwortungsbereich.
Thüringen ist und bleibt eines der sichersten Bundesländer. Dass es mal Abweichungen gibt, ist normal. Schusswaffengebrauch, Mord- und Totschlag: Das ist alles zurückgegangen. Wir haben einen Zuwachs bei Eigentumsdelikten. Ich möchte aber nicht kleinreden, dass wir auch im Bereich der Zuwanderer einen gewissen Zuwachs an Kriminalität haben. Das habe ich nie verschwiegen. Da spielt sich aber auch vieles in den Aufnahmeeinrichtungen ab. Wir haben auch Straftaten im Zusammenhang mit Messern. In Thüringen schaffen wir gerade die rechtlichen Grundlagen für Waffenverbotszonen, um der Polizei mehr Möglichkeiten zu geben. Wer sich nicht daran hält, dem drohen massive Konsequenzen, bis hin zu einer schnellen Abschiebung in die Heimatländer.
Aber genau das funktioniert ja nicht. Kanzler Scholz hat einst versprochen, im großen Stil abzuschieben. Passiert ist nicht allzu viel.
Ich bin seit Dezember für das Thema Migration zuständig. Vorher war das Thema im Justizministerium beim grünen Koalitionspartner angesiedelt. Das hatte enorme Defizite zur Folge. Bei der Erstaufnahme ging es teils chaotisch zu. Wir haben Ordnung ins Chaos gebracht und auch deutlich mehr abgeschoben - 60 Prozent mehr. Wir schieben Mehrfach- und Intensivstraftäter ab. Es hat sich einiges getan.
Wenn Sie Innenminister bleiben wollen, muss die SPD der nächsten Regierung angehören. Sie haben der bisherigen Koalition aus Rot-Rot-Grün eine Absage erteilt. Verlassen Sie das sinkende Schiff?
Rot-Rot-Grün hat keine Zukunft. Das ist ein einfaches Rechenexempel. Die Umfragen sind eindeutig. Dieses Bündnis wird einfach nicht mehr gewünscht.
Waren die vergangenen fünf Jahre mit Minderheitsregierung Stillstand, wie Kritiker meinen?
Die Minderheitsregierung war von Anfang an schwierig, weil es keinen verlässlichen Duldungspartner gab. Anfangs hat die CDU noch mitgespielt. Als es dann keine Neuwahlen gab, weil die CDU das nicht mehr wollte, mussten wir ohne Mehrheit versuchen, Politik zu gestalten. Davon kann ich nur abraten. Das hat sich in keinster Weise bewährt. Wir haben zwar die wichtigen Entscheidungen irgendwie getroffen, zum Beispiel Haushalte aufgestellt, aber es war immer langwierig und mühsam. Teilweise kamen erratische Beschlüsse dabei heraus. Wir raten dringend davon ab.
Ihre Absage an Rot-Rot-Grün wurde auch als Bewerbung für ein Bündnis mit CDU, SPD und BSW verstanden. War das so gemeint?
Thüringen braucht dringend eine Mehrheitsregierung. Dafür stehen wir natürlich zur Verfügung. In einer solchen Regierung stellen wir die sozialen Themen in den Vordergrund.
Die einzige realistische Option ist ein Bündnis aus CDU, SPD und BSW.
So sieht es aus. Eine Zweierkoalition wird es nicht, also muss man eine Dreierkoalition formen. Das wird nur mit der SPD gehen.
CDU und SPD haben schon oft koaliert. Aber haben Sie beim BSW keine Bedenken, wenn Sahra Wagenknecht aus Berlin oder dem Saarland hereinregiert?
Das BSW ist immer noch eine Blackbox. Man weiß beim BSW wirklich nicht genau, was sie wollen. Ihr Programm gibt nicht viel her. Da sind linke Bestandteile, aber auch nationalistische. Ich habe aber eine Handvoll Personen durchaus als pragmatisch kennengelernt. Zum Beispiel die Spitzenkandidatin Katja Wolf. Eine Grundlage wäre für mich damit gegeben.
Die Frage ist nur, ob Frau Wagenknecht den Daumen hebt.
Frau Wagenknecht versucht, von außen Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung zu diktieren. Insbesondere geht es ihr um Dinge, die wir in Thüringen gar nicht entscheiden können. Wie Waffenlieferungen an die Ukraine oder Stationierung von US-Raketen in Deutschland. So wird das nichts. Weder CDU noch SPD können diesen Forderungen entsprechen. Wenn sich das BSW darauf besinnt, was für Thüringen wichtig ist, wäre eine Koalition durchaus denkbar.
Das wäre dann das Motto: Alle gegen die AfD und genau das, was Höcke vermutlich will. Dann können die wieder sagen: Wir stehen allein gegen den Rest. Lässt sich das auflösen?
Wissen Sie, bei der AfD wissen wir im Gegensatz zum BSW ganz genau, was die sind: eine völkische, rechtsextreme Partei. Sie teilen Menschen in Kategorien ein, in gute und schlechte. Das widerspricht dem Grundgesetz. Damit schließt sich eine Zusammenarbeit per se aus. Die AfD versucht uns als "Altpartei" zu diskreditieren. Wir sind tatsächlich die älteste demokratische Partei Deutschlands. Da sind wir auch stolz drauf.
Mit Georg Maier sprach Volker Petersen