Knapp zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen stellen sich am Montagabend im MDR-Fernsehen die sächsischen Spitzenkandidaten den Fragen der Zuschauer. Die erleben einen ruhigen Meinungsaustausch, an dessen Ende es keinen Sieger gibt.
Es ist selten leicht, sieben Spitzenkandidaten für eine Landtagswahl unter einen Hut zu bringen. Da kommt es auch mal zu heftigen Auseinandersetzungen, wie am Donnerstagabend in der MDR-Wahlarena vor den Landtagswahlen in Thüringen zu erleben war. Am Montagabend trafen sich die sächsischen Spitzenkandidaten zu einer Diskussion. Die beiden Wahlarenen konnten unterschiedlicher kaum sein. Während am Donnerstagabend die beiden Moderatoren die Fragen stellten, hielten sich die beiden Moderatoren am Montag deutlich zurück. Da hatte das Publikum das Sagen. Auch was die Spitzenkandidaten angeht, gibt es zwischen Thüringen und Sachsen deutliche Unterschiede.
In beiden Sendungen kamen sieben Gäste zu Wort. Während in Thüringen jedoch die sieben großen Parteien nur eine einzige Spitzenkandidatin aufbieten, ist das Panel in Sachsen deutlich weiblicher: Vier Spitzenkandidatinnen treffen auf drei Spitzenkandidaten. Auch die Diskussionen über vier Themen laufen am Montagabend wesentlich friedlicher.
Nur einmal kommt es zu einer kleinen Auseinandersetzung. Dabei geht es um die Frage, ob sich die sächsischen Universitäten an militärischen Forschungen beteiligen sollen. Im Wahlomat zur Sachsen-Wahl hatte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Frage mit "ja" beantwortet. Dessen Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann korrigiert die Stellungnahme am Montagabend: Das BSW wolle, dass sich die Universitäten freiwillig dazu entschließen können, empfehlen jedoch, dass sie militärische Forschungen ablehnen. Linken-Spitzenkandidatin Susanne Schaper, die sich gegen die Möglichkeit zu militärischen Forschungen ausspricht, verweist auf die BSW-Aussage im Wahlomat und hält Zimmermanns Klarstellung für unglaubwürdig.
Zu einer Auseinandersetzung kommt es aber nicht wirklich, dafür sorgt das Moderatorenpaar Julia Krittian und Andreas Rook, die ruhig und souverän durch die Sendung führen. Die dominierenden Themen in Sachsen wie in Thüringen sind die Asylpolitik und der Fachkräftemangel. Hier zeigen sich auch deutliche Unterschiede in den Aussagen der beiden AfD-Spitzenkandidaten: Der sächsische AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban verzichtet auf provokante Ankündigungen im Stile Björn Höckes, der Thüringen "möglichst unattraktiv" für Flüchtlinge machen und den Fachkräftemangel vor allem durch einen Anstieg der Geburtenrate in Deutschland bekämpfen will. Die Förderung von Vielkind-Familien ist Urbans Thema nicht.
Sachsens Spitzenkandidaten und die Asylpolitik
Am Beispiel der Bezahlkarte für geflüchtete Menschen, deren Asylverfahren noch läuft, wurde ein breites Meinungsspektrum deutlich. Justizministerin Katja Meier, die Spitzenkandidatin der Grünen, lehnt diese Karten ab. Sie hält sie für gesetzwidrig. Jörg Urban von der AfD sieht das anders. "Die Bezahlkarte ist nur ein Instrument von vielen", sagt er, nennt deren Einführung eine "Hau-Ruck-Aktion, die unmittelbar vor der Wahl" stattfindet. Urban: "Die Menschen vertrauen einfach nicht mehr, dass eine Regierung, die erst kurz vor der Wahl anfängt, Probleme zu lösen, diese tatsächlich lösen will."
Die Bezahlkarte müsse der Freistaat Sachsen erst einmal einführen, fordert Sabine Zimmermann vom BSW. Und sie müsse "so ausgestaltet werden, dass man möglichst wenig Bargeld damit empfangen kann", fordert Urban. Urban und Zimmermann sprechen sich zudem dafür aus, dass auch abgelehnte Asylbewerber die Bezahlkarte bekommen. Nach Plänen der Landesregierung soll sie nur für Migrantinnen und Migranten gelten, deren Asylverfahren läuft. Zimmermann fordert zudem: "Man muss die Asylverfahren viel schneller machen, dass die Menschen wissen, woran sie sind. Eine Hängepartie für diese Menschen geht nicht."
Während der AfD-Spitzenkandidat fordert, dass Asylbewerber mit der Bezahlkarte möglichst wenig Geld abheben können, geht Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU einen Schritt weiter: Er wolle eine Bezahlkarte "mit der Einschränkung, dass man kein Geld abheben oder überweisen kann." Und er fordert: "Das Zielbild müssen wenige Zehntausend Flüchtlinge maximal sein, nicht 300.000, dann werden wir das schon hinkriegen." Die Zahl 300.000 bezieht sich hier nicht auf Sachsen. Tatsächlich haben im vergangenen Jahr laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gut 350.000 Menschen einen Asylantrag gestellt - in ganz Deutschland.
Kretschmer kritisiert: "Diesen unhaltbaren Zustand, dass Menschen, die hier Schutz suchen, zurück in ihre Heimatländer fahren und da Urlaub machen. Wo kommen wir denn da hin? Solche Dinge müssen beseitigt werden!" Kretschmer fordert ferner die Abschiebung straffällig gewordener Migranten. "Die müssen wir kriegen und denen müssen wir den Schutzstatus entziehen." Und wenn Bundeskanzler Scholz könnte, wie er wollte, würde der das auch machen, und die FDP auch, sagt Kretschmer. Aber die Grünen, die hätten im Bundestag die Bezahlkarte verhindert, und die Koalition in Berlin, die könne sich nicht einigen. Applaus im Publikum. Der Ministerpräsident keilt in seinem Wahlkampf fast genauso oft gegen seinen Koalitionspartner von den Grünen wie gegen die AfD - ohne diese gleichzusetzen.
Am Ende der Sendung wird Kretschmer den Stolz der Sachsen hervorheben, die sich nichts sagen ließen aus Berlin oder Brüssel. Und damit das so bleibt, solle man die CDU wählen. Mit beiden Stimmen. Susanne Schaper von den Linken widerspricht Kretschmer: Sie sei dagegen, Migration zu dämonisieren und mit Floskeln um sich zu schmeißen. Sie will Migranten schneller in Arbeit bringen und sie so in die Gesellschaft integrieren. "Das Asylrecht ist ein Menschenrecht, und dazu steht die Linke."
Was tun gegen Fachkräftemangel?
Die Spitzenkandidaten diskutieren auch ein seit vielen Jahren in Sachsen virulentes Problem: Die Bevölkerung wird immer älter, junge Menschen wandern ab, weil sie vor allem im ländlichen Raum keine Perspektive für sich sehen. Später werden sich die Spitzenkandidaten für einen schnellen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs aussprechen, für mehr Ärzte und schnelle Digitalisierung. FDP-Spitzenkandidat Robert Malorny wird die Förderung von Unternehmen verlangen, die sich im ländlichen Bereich niederlassen. Doch das wichtigste Problem: der Fachkräftemangel, vor allem in den Pflegeberufen. AfD-Spitzenkandidat Urban will Fachkräfte aus Polen und Tschechien anwerben. SPD-Spitzenkandidatin Petra Köpping berichtet von einer Agentur, die Pflegekräfte aus Brasilien nach Deutschland geholt hat.
Urban kann sich aber auch vorstellen, den Fachkräftemangel mit Menschen aus Deutschland zu bekämpfen. Dazu müsse das "desaströse Schulsystem" in Sachsen reformiert werden, "wo die Ausbildung mittlerweile so schlecht ist, dass 80 Prozent der Ausbildungsbetriebe sagen, wir müssen Mathe- und Deutschnachhilfe machen." Dabei führt Sachsen seit Jahren alle deutschen Bildungsrankings ab. Die Ausbildungsbetriebe dürften vor allem nachschulen müssen, weil sie bei den wenigen Bewerbern deutlich tiefer ins Regal greifen müssen als noch vor einigen Jahren.
Einen Grund für den Fachkräftemangel sieht Sozialdemokratin Köpping in der "Politik, die gerade von der AfD gemacht wird, weil die Menschen sich hier nicht wohl- und willkommen fühlen." Deswegen verließen viele Migranten und junge Menschen Ostdeutschland. Auch Köpping fordert mehr Bildungschancen, aber vor allem eine bessere Willkommenskultur.
Am Ende ist vor allem interessant, wie sich Ministerpräsident Kretschmer und sein AfD-Herausforderer Urban geschlagen haben. Schließlich sagen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Politiker voraus. Die Bewertung ist nicht so einfach, denn die Moderatoren schaffen es, allen sieben Kandidaten in 90 Minuten ungefähr die gleiche Redezeit zuzugestehen. Was auffällt: In vielen Punkten will Kretschmer ein "weiter so", denn man sei ja schon gut und habe viel erreicht, während Urban ein "alles anders" fordert, ohne die Unterschiede seiner Politik so recht herausarbeiten zu können.
Einen Sieger kann es bei so einem Format nicht geben. Fraglich ist, ob es viel zur Meinungsbildung beitragen wird. Dazu hätte es mehr Diskussionen bedurft. Zumindest wurden unterschiedliche Ansichten ausgetauscht. Für den einen oder anderen Denkanstoß dürfte das reichen.