Er kann es nicht lassen: Obwohl seine Parteifreunde ihm davon abraten, attackiert Trump seine Kontrahentin Harris sexistisch. Solche Angriffe sind bereits aus dem Wahlkampf gegen Clinton bekannt. Trumps Gebaren schrecke einige Wähler ab, aber bei weitem nicht alle, sagt Dennis Steffan, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin.
ntv.de: Donald Trump greift Kamala Harris auch sexistisch an. Könnte ihn das den Wahlsieg kosten?
Dennis Steffan: Persönliche Attacken auf den politischen Gegner gehören zur üblichen Wahlkampfstrategie in den USA. Das wird auch negative campaigning genannt. Negativität ist ein wichtiger Nachrichtenwert. Soziale Netzwerke bieten sich besonders für negative campaigning an, denn man kann an Journalistinnen und Journalisten vorbeikommunizieren. Solche Attacken schrecken die eigenen Anhängerinnen und Anhänger nicht ab. Im Gegenteil: Negative campaigning mobilisiert die eigenen Anhängerinnen und Anhänger in Form von Likes, Shares und Kommentaren, wie an dem Post zu sehen ist, den Trump jetzt geteilt hat. Damit sendet er eine klare Botschaft an die eigenen Leute: Sie kann es nicht, ich hingegen schon. Aber wenn man sich die Wahlergebnisse von 2016 und 2020 anguckt, schneidet Trump im Vergleich zu Clinton und Biden schlechter bei Frauen ab. Also ist davon auszugehen, dass er bei Wählerinnen mit dieser Strategie nicht punkten kann.
Weiße gemäßigte Frauen in den Suburbs, den amerikanischen Vorstädten, könnten die Wahl mitentscheiden. Geht Trump da nicht ein hohes Risiko ein?
Trump ist der Meinung, dass er jede Menge für die Sicherheit der suburban women getan hat. Aber auch hier zeigen die aktuellen Umfragen, dass diese wichtige Gruppe eher mit Harris als mit ihm sympathisiert. Zudem dürften die jüngsten Aussagen seines Running Mate J.D. Vance über suburban women und Reproduktionsrechte alles andere hilfreich für Trump gewesen sein. Insofern hat Trump zurzeit tatsächlich ein Frauen-Problem.
Das Harris-Wahlkampfteam versucht, Trumps Angriffe abzutun und mit Humor zu reagieren. Ist das die richtige Strategie?
Die Umfragen deuten bislang darauf hin, dass diese Strategie erfolgreich zu sein scheint. Harris macht hier nicht die gleichen Fehler wie Clinton, die sich zum Beispiel auf einen Schlagabtausch mit Trump in einem TV-Duell eingelassen hat. Harris‘ Wahlkampf begibt sich nicht auf das Niveau von Trump. Aber die heiße Wahlkampfphase startet erst mit dem Labor Day am 2. September. Es folgt das TV-Duell am 10. September, wo sie einer Konfrontation mit Trump nicht aus dem Weg gehen kann.
Starke und intelligente Frauen, die ihn angreifen, scheinen Trump besonders unter die Haut zu gehen, sagt Stephanie Grisham, ehemals Trumps Pressesprecherin im Weißen Haus. Stimmt das?
Trump fällt es schwer, gegen starke und intelligente Frauen Wahlkampf zu machen, weil er das Selbstverständnis eines Alpha-Mannes hat. Trump geht davon aus, dass keine Frau stärker oder überlegener sein kann als er. Wenn das doch der Fall ist, kann er nicht gut damit umgehen. Trump und sein Team hatten sich auf Biden als einen dankbaren Gegner eingestellt. Ihn hätte man auf vielen Ebenen attackieren können, sowohl inhaltlich als auch personell. Gegen Harris scheint Trump noch die passende Strategie zu fehlen.
Trump bedient also die Sehnsucht nach dem starken Mann bei Wählerinnen und Wählern?
Aus der Wahlkampfforschung wissen wir, dass ein politischer Kandidat beziehungsweise eine politische Kandidatin eine Reihe von Eigenschaften mitbringen muss, damit diese Person gewählt wird. Wichtige Eigenschaften sind Führungsqualitäten und Kompetenz. Wichtig sind auch Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Empathie und Sympathie.
Solche Zuschreibungen sind immer subjektiv, es gibt aber sicher Leute, die Trump keine der von Ihnen genannten Eigenschaften zuschreiben. Was macht denn die Faszination bei Trump aus?
Trump spricht Dinge aus, die offenbar einige seine Anhänger denken. Sie trauen sich aber nicht, diese Dinge selbst zu sagen. Trump hat kein Problem damit, Grenzen zu überschreiten. Ein Beispiel ist die Szene aus dem Wahlkampf 2016. Trump war damals im Bus unterwegs, ein Gespräch mit einem TV-Moderator wurde aufgenommen und er sagte, was man sich als berühmte Persönlichkeit bei Frauen herausnehmen könne. Anschließend hat er das Ganze als ein Männergespräch im Umkleideraum abgetan. Diese Verharmlosung ist ihm bei seinen Anhängern gelungen.
Hat Trump den Wahlkampf gegen Clinton trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Frauenfeindlichkeit gewonnen?
Eine Wahlentscheidung kann viele Gründe haben, ist multifaktoriell und nicht auf einen Aspekt zurückzuführen. Trotz seiner Frauenfeindlichkeit hat er zumindest bei weißen Frauen 2016 mehr Stimmen bekommen als Clinton, aber nicht bei Schwarzen und bei Latinos. Bei Clinton ist das spezifische Problem, dass ihr Narrativ, sie stehe für Fortschritt und gleichzeitig für Stabilität, nicht funktioniert hat. Das haben ihr viele Wählerinnen und Wähler nicht abgekauft, weil sie Clinton mit der politischen Elite assoziiert haben. Es gab auch 2016, zumindest was die Wirtschaft anging, eine etwas schlechtere Stimmungslage im Land. Aktuell wächst die US-Wirtschaft. Die US-Notenbank FED überlegt sich, ob sie die Zinsen senken könnte, was wiederum die Aktienmärkte freuen dürfte. Da haben wir einen anderen Wahlkontext.
Was hat sich seit dem Wahlkampf gegen Clinton noch geändert?
Trump selbst hat sich zumindest kaum verändert. Der ist sich selbst treu. Man weiß, was man mit Trump bekommt und was man haben möchte oder nicht haben möchte. Nur seine Gegenkandidatinnen und -kandidaten haben sich geändert und damit die Wahlkämpfe 2016 und 2020. Im Wahlkampf gegen Biden haben wir die Polarisierung des Landes beobachten können, zum Beispiel während der Corona-Pandemie. Biden war der, der in seinem Keller saß, über soziale Netzwerke Wahlkampf gemacht und die ganzen Regeln bezüglich Corona eingehalten hat. Trump hielt ohne Rücksicht auf die Regeln Massenveranstaltungen ab. Jetzt hat Trump es mit Harris und damit wieder mit einer starken und intelligenten Frau zu tun, wie damals mit Clinton. Aber Harris hat vielleicht aus den Fehlern Clintons gelernt. Das wird man im Wahlkampf sehen.
Bei ihrer Rede in Chicago ist Harris ausführlich auf ihre Mutter eingegangen. Wie sehr ist es Teil ihrer Strategie, besonders Frauen anzusprechen?
Familie und Familienfreundlichkeit sind sehr wichtige Werte in der US-amerikanischen Kultur. Wenn Harris über ihre Mutter spricht, zeigt sie sowohl den Wählerinnen als auch Wählern damit, dass sie sehr emphatisch ist. Empathie ist ein relevantes Kriterium für die Beurteilung und Wahl von Politikerinnen und Politikern.
Mit Dennis Steffan sprach Lea Verstl