Rohstoffe gegen Sicherheit. Mit diesem Kalkül unterzeichnet Präsident Selenskyj heute in Washington wohl ein Rohstoffabkommen mit den USA. Doch welche Tragweite es am Ende hat, bleibt offen.
Mit dem persönlichen Treffen zwischen Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump hat die Ukraine diplomatisch bereits ein kleines Etappenziel erreicht. Letztendlich, so hört man es aus Kiewer Regierungskreisen, sei es der US-Präsident allein, der über die Außenpolitik der USA entscheide.
Der ukrainische Präsident wird das heutige Treffen in Washington vermutlich nutzen, um noch einmal die ukrainische Perspektive auf den Krieg gegen sein Land zu erklären. Zentral sind hierbei für die Ukrainer Sicherheitsgarantien, bevor es zu möglichen Verhandlungen mit Russland kommt. Die US-Amerikaner hingegen zielen zuerst auf einen schnellen Waffenstillstand.
Die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts
Rohstoffe gegen Waffen - das war ursprünglich die Überlegung der ukrainischen Führung. Denn die Ukraine hat eines der größten Mineralienvorkommen Europas, erklärt der ukrainische Geologe Oleksij Falkowytsch.
Laut ukrainischen Angaben verfüge das Land über 21 der 34 von der EU als kritisch eingestuften Rohstoffe. Diese Bodenschätze gelten als Wirtschaftsgrundlage des 21. Jahrhunderts. Sie sind unverzichtbar für Hightech-Produkte der Luft- und Raumfahrtindustrie, sowie für die Nuklear- und Waffenindustrie.
Weltmarktführer in diesem Bereich ist China. Ein Großteil der Mineralien aber bleibt in China. Außerdem kontrolliere China einen erheblichen Teil dieser Rohstoffe in Afrika. Die ukrainischen Vorkommen von Seltenen Erden könnten also helfen, Abhängigkeiten zu verringern.
Viele Details noch unklar
Die USA sind ein führender Importeur kritischer Rohstoffe wie etwa Titan, für die es wenige erschwingliche Ersatzprodukte gibt. Zukünftig könnte Washington Titan aus der Ukraine beziehen, wo es mehr als 30 Vorkommen geben soll, vor allem im Zentrum und Nordwesten des Landes.
Die Erträge aus dem Rohstoffsektor sollen dann in einen Fonds fließen, der für den Wiederaufbau der Ukraine genutzt werden soll. So zumindest ist die Überlegung hinter dem nun diskutierten Rohstoff-Vertrag. Viele Details sind allerdings unklar, auch über die Qualität und Förderbarkeit der ukrainischen Rohstoffe - wichtige Details, die sich auf die Profitabilität des Abbaus auswirkten, sagt Geologe Falkowytsch.
Das jetzige Abkommen sei lediglich ein Rahmenvertrag, sagt Selenskyj. Konkrete bilaterale Verträge würden benötigt, um tatsächlich gemeinsam ukrainische Bodenschätze auszubeuten. Bei Selenskyjs Besuch gehe es nun um die Details des Vertrages. Denn für die Ukraine sei klar, dass man die Rohstoffe gemeinsam mit den USA nutzen und dafür Sicherheitsgarantien bekommen wolle, meint der Sicherheitsexperte Nico Lange.
Ungenaue Datengrundlage
Hanna Liwentsewa, Vorsitzende des ukrainischen Geologenverbandes, schätzt, dass etwa fünf Prozent der weltweiten Mineralressourcen in der Ukraine liegen. Dazu gehörten auch etwa 19 Millionen Tonnen Graphit, das wichtig für die Herstellung von Batterien für Elektrofahrzeuge, Elektroden und Solarzellen ist. Sie machen etwa 20 Prozent der weltweiten Ressourcen aus.
Allerdings ist nicht nur das Papier, das Selenskyj und Trump unterzeichnen wollen, vage formuliert. Auch die Schätzungen über kritische Rohstoffe und Seltene Erden in der Ukraine sind ungenau. Denn sie basieren in vielen Fällen auf Daten aus der Sowjetzeit.
Um sich ein genaues Bild über das Rohstoffvorkommen und entsprechende Fördermöglichkeiten zu machen, müssten zunächst einmal Millionen investiert werden, so Experten. Denn viele der Lagerstätten in der Ukraine - also die Orte, an denen Bodenschätze gefunden wurden - sind noch nicht abschließend untersucht, sagt Falkowytsch.
Eine Investition in die Zukunft
Viele ukrainische Wirtschaftsvertreter sind von der Idee hinter dem Abkommen dennoch überzeugt. Ausländische Investoren könnten helfen, die Bodenschätze zu erschließen, argumentieren sie.
Ksenia Orynchak, Direktorin der Nationalen Vereinigung der Rohstoffindustrie der Ukraine, ist zudem überzeugt, dass mit US-amerikanischen Investitionen auch ein gewisser Schutz für die Ukraine kommen könnte. Daraus könne sich zukünftig ein geopolitisches Bündnis entwickeln.
Die Hoffnung der Ukraine
Konkrete Sicherheitsgarantien von Seiten der USA sind vom heutigen Treffen jedoch nicht zu erwarten. Immer wieder hatte Trump öffentlich klargestellt, dass er die Europäer in der Verantwortung sieht.
Der ukrainische Präsident befindet sich in einer schwierigen Verhandlungsposition. Und doch zeigt das heute zu unterzeichnende Papier auch: Bisher hat die Ukraine dem Druck aus Washington offenbar standgehalten. Die jetzige Absichtserklärung beinhaltet bessere Konditionen als die Entwürfe zuvor.