Kanzler Scholz empfängt Industrie-Bosse, vorher trifft Finanzminister Lindner Arbeitgeber aus Handwerk und Mittelstand. Die Episode zeigt den desolaten Zustand der Ampel-Koalition. Für die Wirtschaft ist damit nichts gewonnen. Für die Ampel erst recht nicht.
Es ist immer gut, miteinander zu reden. Politiker müssen einen Draht zu den Menschen im Land haben, um von ihren Problemen zu erfahren. Besonders gilt das für die Wirtschaft, denn die Unternehmen erwirtschaften unseren Wohlstand. Insofern erscheint es sinnvoll, Vertreter der Wirtschaft zu treffen, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner heute getan haben.
Doch, und das ist die Pointe, die beiden taten das nicht gemeinsam, sondern getrennt. Scholz traf die Industrie, Lindner den Mittelstand und das Handwerk. Angekündigt hatte Lindner dies erst, nachdem Scholz seinen Termin publik gemacht hatte. Was wie eine Posse im üblichen Ampel-Theater wirkt, ist tatsächlich der Tiefpunkt der Regierungszeit der Ampel-Koalition. Denn die Episode um die Gipfel zeigt: SPD, FDP und Grüne versuchen nicht einmal mehr, an einem Strang zu ziehen. Das macht es schwer, noch immer auf entscheidende Impulse für die Wirtschaft zu hoffen. Geschweige denn, überhaupt eine Zukunft für dieses Bündnis zu sehen.
Streit zwischen den Ampel-Vertretern ist wahrlich nichts Neues. Streit ist die Konstante, das Wesensmerkmal dieser Regierung. Was wurde da nicht alles öffentlich durchgekaut: Da ging es mal um den Atomausstieg, mal um das Verbrennerverbot in der EU und natürlich auch um das Heizungsgesetz. Lange sagten Ampel-Politiker dann: Gut, wir streiten viel, aber am Ende kommt auch etwas dabei heraus. Und falsch war das auch nicht. Doch wie ist es jetzt, ein knappes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl am 28. September 2025?
Lindner nicht eingeladen
Da zeigt der heutige Tag: Scholz, Lindner und Habeck reden offenbar nicht mehr miteinander. Denn auch Habeck hat seinen Teil zum desolaten Erscheinungsbild beigetragen. Vergangene Woche stellte er einen Plan für ein neues Subventionsprogramm im dreistelligen Milliardenbereich vor. Das sieht Zuschüsse vor, wenn Unternehmen investieren. Abgestimmt war das mit niemandem. Auch Scholz stimmte seinen heutigen Industriegipfel im Kanzleramt nicht mit seinen beiden wichtigsten Ministern ab. Sie erfuhren erst an dem Tag davon, an dem Scholz den Gipfel im Bundestag ankündigte.
Eingeladen wurden sie nicht. Dabei sind sie nicht nur Finanz- und Wirtschaftsminister. Sondern auch FDP-Chef und Vizekanzler der Grünen. Sprich: Ohne die Stimmen der beiden Koalitionspartner kann Scholz nichts beschließen. "Ich hätte gern eine Einladung bekommen", sagte Lindner am Montagabend bei RTL Direkt. Er bekam aber keine mehr. Stattdessen verteidigte er den FDP-Gipfel. Sinngemäß sagte er, die meisten Jobs gebe es in Mittelstand und Handwerk, daher müsse man auch deren Vertreter treffen. Sauber argumentiert, wie meistens. Nur, wie meistens, drängt sich die Frage auf: Warum klärt man das nicht gemeinsam mit den Herren Scholz und Habeck?
Vielleicht, weil es keine Gesprächsgrundlage mehr gibt? Offenbar haben sie sich nichts mehr zu sagen. Nichts deutet mehr darauf hin, dass die drei Koalitionspartner noch gemeinsame Ziele verfolgen. Die internen Widersprüche sind oft beschrieben worden. Schuldenbremse lockern, um Klimaschutz, Infrastruktur und Verteidigung voranzubringen? Oder die Schuldenbremse so lassen, wie sie ist, und Schulden klein halten? Um sich Spielräume für die Zukunft zu erhalten - als Stabilitätsanker in Europa? Oder eine Nummer kleiner: Der Industrie mit subventioniertem Strompreis helfen? Oder die gesamte Wirtschaft entlasten, etwa durch vollständige Abschaffung des Solis?
Beide, SPD und Grüne auf der einen und FDP auf der anderen Seite, hatten gute Argumente für ihre Positionen. Eine Einigung gab es nicht. Bis vor Kurzem wurde nach außen zumindest noch einigermaßen der Schein von Ampel-Solidarität gewahrt. Mit dem getrennten Gipfeltreffen ist das vorbei. Jeder kann sehen: Eigentlich machen alle nur noch ihr eigenes Ding.
Was ist mit den 49 Maßnahmen?
Wenn die Drei aber nicht mehr an einem Strang ziehen, dann kann es keine klare Richtung geben. Dann sind keine mutigen Entscheidungen mehr zu erwarten. Dass die notwendig wären, wissen alle. Auch die Ampel-Koalitionäre. Scholz, Lindner und Habeck hatten im Sommer ja bereits eine Wachstumsinitiative vorgestellt. 49 Maßnahmen hatten sie sich überlegt, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Doch das Projekt wird seit Wochen zerredet. Beschlossen ist das Paket noch nicht. Eigentlich weiß die Regierung also, was sie will. Aber sie ist nicht mehr in der Lage, das auch umzusetzen. Zumindest steht der Nachweis noch aus.
Die deutsche Wirtschaft erlebt währenddessen das zweite Jahr mit einer Rezession. Bei Volkswagen drohen Werksschließungen. Kapital fließt in rauen Mengen aus Deutschland ab. Der Vater des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, sagte einst: Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie. Es ist auch der Job der Regierung, Vertrauen zu schaffen und Optimismus zu ermöglichen. Glaubt irgendjemand, dass sie das noch hinbekommt?
Durchblicker und Sich-Auskenner mögen nun einwerfen: "Leute, das ist Wahlkampf! Der hat längst angefangen! Scholz, Lindner und Habeck kochen längst ihr eigenes Süppchen!" Das mag stimmen. Aber wenn die Parteien jetzt schon den Wahlkampf beginnen, sollten sie dem Land nicht zumuten, ihnen noch elf Monate dabei zuzusehen. Wer nicht mehr miteinander redet, sich nicht mehr einigen kann und nicht mehr in der Lage ist, etwas umzusetzen, der hat fertig. Wenn jetzt schon Wahlkampf ist, sollte es auch bald Neuwahlen geben.