Mit Brandenburg endet am Sonntag der große Ostlandtagswahlen-Sommer. Und wie in Sachsen und Thüringen sind komplizierte Mehrheitsverhältnisse absehbar. Amtsinhaber Woidke setzt alles auf eine Karte. Drei Parteien bangen um ihre Zukunft, während BSW und AfD ihr Ergebnis vorfreudig erwarten.
Mehr Fallhöhe geht kaum: Die oder ich, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Sollten die Wählerinnen und Wähler am Sonntag die AfD zur stärksten Kraft machen, will der populäre Regierungschef nach elf Jahren im Amt nicht weitermachen. Auch wenn die SPD als zweitplatzierte Partei immer noch eine Regierung bilden könnte: Dann sollen es andere machen, findet Woidke. "Wenn ich fünf Jahre weitermachen soll, möchte ich auch das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler ausgesprochen bekommen", sagte der seit 2013 amtierende Regierungschef im ausführlichen Interview mit ntv.de. Kurz vor der Wahl liegt die AfD in Umfragen knapp vor der SPD. Scheidet Woidke tatsächlich aus dem Amt, droht seiner mutmaßlichen Nachfolgerin, SPD-Finanzministerin Katrin Lange, eine noch kompliziertere Regierungsbildung, als es Woidke mit seinem regierenden Dreierbündnis aus SPD, CDU und Grünen erlebt hat.
Doch auch als stärkste Partei hätten es Woidke und die SPD nicht leicht. Der Landtag in Potsdam könnte mächtig durchgewirbelt werden: Linken und Grünen droht der Rausschmiss, das BSW dürfte auf Anhieb mit einem zweistelligen Stimmenanteil einziehen. Sollten Linke und Grüne unter 5 Prozent der Stimmen bleiben, aber in einem der 44 Wahlkreise ein Direktmandat gewinnen, könnte die Partei entsprechend ihres Anteils an den Stimmen aller einziehenden Parteien mehrere Mandate besetzen. Auf gleichem Wege könnten auch die Freien Wähler das Brandenburger Parlament erneut erobern.
AfD kann nicht regieren, aber blockieren
Eine Regierungsübernahme durch die AfD ist hingegen ausgeschlossen. Der Landesverband fällt durch personelle Querverbindungen in die Neonazi-Szene auf. Ihr Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt ist selbst nach AfD-Maßstäben rechtslastig. Niemand im Land will mit dieser AfD regieren. CDU und BSW haben eine Kooperation ausgeschlossen, SPD, Grüne und Linke sowieso. So frohlockt Berndt inzwischen vom Szenario einer Unregierbarkeit des Landes, sollten sich SPD und CDU nicht mit dem BSW einigen können. Das Kalkül der Rechtsextremen: Je weiter es politisch mit dem Land bergab geht, desto greifbarer wird eine Machtübernahme.
In den Umfragen steht die AfD derzeit bei 27 bis 29 Prozent. Sie könnte zumindest eine sogenannte Sperrminorität erzielen, also die Möglichkeit, mit mindestens einem Drittel der Mandate wichtige Entscheidungen im Landtag zu blockieren. Es ist offen, ob Woidkes "die oder ich"-Ultimatum aufgeht. Schließlich gibt Woidke so seinen Gegnern einen Hebel, ihn mit der Stimme für die AfD loswerden zu können. Ferner frohlocken AfD und CDU unisono: Wird Woidke abgewählt, könnte auch die ungeliebte Ampelkoalition im Bund vorzeitig das Feld räumen. Das Kalkül: Ein Verlust der Regierungsführung in Brandenburg nach 34 Jahren unter den Sozialdemokraten Manfred Stolpe, Matthias Platzeck und Woidke würde auch in der Bundes-SPD für Unruhe sorgen.
Doch die laut Umfragen 25 bis 26 Prozent für die SPD wären nun wirklich kein Desaster für eine Partei, die nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen schon über den einigermaßen knappen Wiedereinzug in die jeweiligen Landtage jubelte. Und: Die Staatskanzlei bleibt aller Wahrscheinlichkeit nach in SPD-Hand. Weder die AfD noch die in Umfragen bei 14 bis 16 Prozent liegenden Christdemokraten und Wagenknecht'ler haben Aussicht auf den Posten des Ministerpräsidenten.
Will das BSW regieren?
Beim BSW ist nicht einmal klar, wie groß das Interesse an einer Regierungsbeteiligung ist. Spitzenkandidat Robert Crumbach ist ein ehemaliger Sozialdemokrat, der sich von der SPD scharf abgrenzt. Regierungserfahrung hat der für den Wahlkampf beurlaubte Arbeitsrichter nicht. Aber Crumbach begründet seine Kandidatur durchaus selbstbewusst: "Weil ich die gesellschaftliche Verantwortung anerkenne und sehe, dass ich sie tragen muss, weil andere es nicht können." Der frühere Linke-Politiker und Bürgermeister der Stadt Templin, Detlef Tabbert, ist ein weiterer BSW-Kandidat. Tabbert pflegt ein gutes persönliches Verhältnis zu Woidke.
Doch Zünglein an der Waage für eine mögliche Koalitionsbildung ist Partei-Patronin Sahra Wagenknecht. Die hatte schon nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen eine Verantwortungsübernahme ihrer Partei davon abhängig gemacht, ob eine künftige Landesregierung beim Bund auf ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine drängt. Das ist mit SPD und CDU eigentlich nicht zu machen, doch schon um der Regierbarkeit der drei Ostländer willen könnten beide Parteien zu weitgehenden Zugeständnissen an das BSW bereit sein.
Beobachter sind aber unsicher, ob das reicht: Wagenknecht hat womöglich gar kein Interesse daran, das BSW durch eine Regierungsbeteiligung als mehr oder weniger normale Partei zu entzaubern. Hinzukommt, dass ihre eigene Position in der neu gegründeten Partei geschwächt würde, sollten künftig BSW-Landesminister das Gesicht jener Partei prägen, die so stramm auf ihre Namensgeberin zugeschnitten ist.
CDU droht Klatsche
Mit Schwächungen kennt sich Jan Redman aus. Die sind im Fall des CDU-Spitzenkandidaten aber selbst zugefügter Natur: Seine Aussichten, die SPD zu schlagen, schrumpften seit einer Trunkenheitsfahrt auf einem E-Scooter rapide. Dass Woidke die Wahl auf einen Zweikampf zwischen ihm und der AfD zugespitzt hat, machte Redmans Ambitionen endgültig den Garaus. Die Christdemokraten könnten gar auf Platz vier hinter das BSW abrutschen. Inzwischen drückt selbst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer offiziell Woidke die Daumen.
Und die Union klärte rechtzeitig die Frage der Kanzlerkandidatur, sodass auch das CDU-Wahlergebnis in Brandenburg nicht mehr an der Merz-Mission rütteln kann. Dass ein Landesverband der CDU am Ende nicht einmal halb so viele Stimmen einfährt, wie der Partei im Bundestrend zufliegen, wird niemand im Konrad-Adenauer-Haus auf die eigene Kappe nehmen. Der obligatorische Blumenstrauß vom Bundesvorstand an den Spitzenkandidaten droht sehr bescheiden auszufallen.
Grüne leiden unter Elefanten-Rennen
Auf Vereinsversammlungen kommt an dieser Stelle die Trauerminute für jene, die im vorangegangenen Jahr aus dem Leben geschieden sind. Grüne und Linke wären hierfür Kandidaten, doch noch wurde ja gar nicht gewählt. Beide Parteien könnten sich noch über die 5-Prozent-Hürde retten oder aber den Einzug über das erwähnte Direktmandat schaffen.
Die Grünen setzen dabei große Hoffnungen auf Potsdam. Außerhalb der Städte genießt die Partei, die mit dem Heizungsgesetz und dem Ruf nach mehr Waffen für die Ukraine verbunden wird, kaum noch Zustimmung. Dass ausgerechnet die Erneuerbaren Energien sowie das Tesla-Werk Brandenburgs Zukunftsversprechen auf eine weiter wachsende Wirtschaft sind, ändert wenig am Bild vieler Brandenburger von den Grünen. Gleiches gilt für Außenministerin Annalena Baerbock, die zwar aus Niedersachsen stammt, aber in Potsdam wohnt. Der Zweikampf zwischen AfD und SPD geht ebenfalls zulasten der Grünen. "Wenn Elefanten kämpfen, wird das Grün zertrampelt", heißt es frei übersetzt im Englischen.
Ein Abschied, ein Aufstieg
Der Rauswurf aber wäre für die Grünen weniger existenziell als für die Linken. Sie saßen - damals noch als PDS - seit der Wiedervereinigung durchweg im Landtag. Zwei Legislaturperioden lang regierten sie als kleiner Koalitionspartner der SPD das Land Brandenburg mit. In mehreren Städten stellten sie über Jahre Bürgermeister. Ein weiterer Rauswurf aus einem Ostlandtag deutete auf einen nicht mehr zu leugnenden Bedeutungsverlust.
An Bedeutung gewinnen könnten dagegen die Freien Wähler. Ihr Bundesvorsitzender, Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, will die Partei 2025 in den Bundestag führen. In Brandenburgs Landtag könnte die Partei zumindest vertreten bleiben, sollte Péter Vida in Bernau das Direktmandat gewinnen. Ihm zugutekommt, dass Vida gegen den dortigen AfD-Kandidaten Steffen John ins Duell geht. Die übrigen Kandidaten gelten als abgeschlagen. Das könnte Vida Stimmen von Wählern anderer Parteien einbringen, die John als Wahlkreisabgeordneten verhindern wollen. Und: Möglich, dass Vidas Partei BVB/Frei Wähler nach der Wahl SPD und CDU zur Mehrheit verhilft und die Freien Wähler in die Regierung gehen.
Und was waren die Wahlkampfthemen?
Wenn Sie bis hierhin gelesen haben und sich fragen, was die landespolitischen Themen dieser Wahl sind: Sie sind beinahe nachrangig. Der Wahlkampf wurde von AfD und SPD verengt auf die Frage, wie stark die AfD am Ende wird. AfD und BSW haben vor allem den Krieg in der Ukraine, die Migration und die allgemeine Performance der Bundesregierung im Wahlkampf thematisiert. Die SPD verweist auf die Erfolge ihrer Regierung, darunter das stärkste Wirtschaftswachstum aller Bundesländer im vergangenen Jahr. Dass Brandenburg einmal ein Problem mit zu wenig Arbeitskräften haben könnte, hätte sich vor 15 Jahren auch kaum jemand vorstellen können.
Woidkes Konkurrenten haben vor allem beim Thema Bildung leichtes Spiel: Brandenburg belegt in Bildungsrankings regelmäßig hintere Plätze, obwohl es kaum große Städte mit den daraus resultierenden sozialen Herausforderungen im Land gibt. Es fehlt an Lehrkräften, vor allem an ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Die Wirtschaft klagt über zu viel Bürokratie, fehlende Fachkräfte und den Wettbewerb mit großen Unternehmen wie Tesla, die im Ringen um Arbeitnehmer die Lohnkosten treiben.
Auch die Gesundheitsversorgung und die Abdeckung mit öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) sind Streitthemen. Wobei der ÖPNV vor allem die Bewohner vom Speckgürtel Berlins beschäftigt. In den abgelegeneren Regionen geht ohnehin nichts ohne eigenen Pkw. Zumindest die Wahlbüros sind auch auf dem Land für die meisten Menschen fußläufig erreichbar. Dennoch haben mehr als 17 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen beantragt, 70 Prozent mehr als noch 2019. Landeswahlleiter Josef Nußbaum erwartet eine hohe Wahlbeteiligung. Darauf deuten auch die Zahlen aus Sachsen und Thüringen hin, wo sich viele Menschen am Wahlgang beteiligt haben - was aber komplizierte Mehrheitsverhältnisse in den Landesparlamenten dortigen nicht verhindert hat.