1 month ago

Rüstung bei Maischberger: Claudia Major: "Der Krieg ist schon da"



Wie muss sich Deutschland in den nächsten Jahren militärisch aufstellen? Die Militärexpertin Claudia Major gibt bei Sandra Maischberger eine klare Antwort: Spätestens 2029 müsse die Bundeswehr in der Lage sein, einen russischen Angriff abzuschrecken - und sich notfalls auch dagegen zu verteidigen.

Die militärische Situation in Deutschland und Europa muss sich in den nächsten Jahren deutlich verändern. Darin sind sich Militärexpertin Claudia Major und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, einig. Und auch in den meisten anderen Punkten, über die sie am Dienstagabend bei Sandra Maischberger in der ARD sprechen.

Dabei ist auch kurz der Absturz einer DHL-Maschine in Vilnius Thema. Breuer schließt einen Sabotageakt nicht aus. Der russische Präsident habe einen hybriden Zustand erzeugt, der nicht mehr ganz Frieden sei, aber auch noch nicht Krieg. "Dabei gehört dazu, dass man austestet, wie weit man gehen kann", so Breuer.

Ukrainekrieg: Die Frage nach dem Ziel

Krieg herrscht dagegen in der Ukraine. Und die Situation für die ukrainische Armee sei enorm schwierig, erklärt Claudia Major. Die russische Armee verzeichne enorme Geländegewinne. Russland versuche gerade, sich in die bestmögliche Position zu bringen, falls es im Januar zu Verhandlungen kommen werde, sagt die Expertin. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist tatsächlich groß, denn am 20. Januar wird in den Vereinigten Staaten der gewählte Präsident Donald Trump in sein Amt eingeführt. Gleichzeitig zerstört Russland weiter die zivile Infrastruktur der Ukraine, mit fatalen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung. Zwar gelänge es der Ukraine immer wieder, mit westlichen Waffen russische Gefechtsstände oder Logistikknotenpunkte zu zerstören. An der Gesamtlage ändere das jedoch nichts. Die Ukraine habe im Moment die Wahl zwischen Abnutzung und Niederlage. "Es läuft gerade extrem schlecht für sie", so das Fazit von Claudia Major.

"Was wir gerade in der Ukraine sehen, ist ein Spiel auf Zeit", fügt Carsten Breuer hinzu. "Und diese Zeit wird uns im Westen gerade gekauft." Nun müssten sich die westlichen Staaten die Frage stellen, welches Ziel sie für die Ukraine verfolgen, sagt Major. "Wenn das Ziel sein soll, dass die Ukraine in Frieden und Freiheit leben kann, dass sie den Krieg zu ihren Bedingungen beenden kann und dass sie keinen russischen Diktatfrieden akzeptieren muss, dann ist ja die Frage: Rüsten wir sie dafür aus, geben wir ihr alles, was sie dafür braucht?" Zwar könne eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern kein Gamechanger in diesem Krieg sein, aber ein Zusammenspiel mehrerer westlicher Waffensysteme schon, sagt Major. Ob sich die Ukraine mit dem Einsatz dieser Waffensysteme jedoch in den nächsten zwei Monaten einen Vorteil verschaffen kann, sagt sie nicht. Und auch Breuer hält sich mit derartigen Prognosen zurück

Der Einsatz von Interkontinentalraketen

Russland hat vor einigen Tagen zum ersten Mal eine Interkontinentalrakete auf die Ukraine abgefeuert. "Was Russlands Präsident Putin dort gemacht hat, ist eine nächste Stufe auf der Eskalationsleiter, die er erklommen hat", analysiert Breuer. Auf den Einsatz westlicher Waffensysteme habe Putin damit nicht reagieren wollen. Der russische Präsident habe klarmachen wollen, dass er eine solche Rakete auch atomar bestücken könne und damit Ziele in ganz Europa erreichen wolle. "Er hat es als Möglichkeit mitklingen lassen bei diesem Einsatz", so Breuer. "Das ist schon sehr sehr zynisch, was er dort mit diesem Einsatz der Waffe gemacht hat", fügt Breuer hinzu. Russland sehe sich in einem Krieg mit dem Westen, ergänzt Claudia Major. Putin sende immer wieder das Signal aus, dass sich der Westen aus dem Krieg heraushalten solle. "Die Frage ist: Wie gut funktioniert das, und wie sehr lassen wir uns von Russland dadurch einschüchtern?" Jeder Krieg mit einer Atommacht wie Russland sei extrem gefährlich. Darum sei Besonnenheit richtig. "Aber die Frage ist, wann diese Besonnenheit kippt, man sich einschüchtern lässt und vielleicht aus dieser Sorge heraus noch schlimmere Folgen in Kauf nimmt", kritisiert Major indirekt die Politik von Bundeskanzler Scholz.

"Es geht nicht um die Ukraine, es geht nicht um Russland, es geht um Europa, es geht um den Westen", sagt Breuer. Putin wolle das westliche Gesellschaftssystem diskreditieren und verhindern, dass es nach Russland überschwappe. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten müsse sich Europa nun um seine eigene Verteidigung kümmern. Dabei komme Deutschland eine besondere Rolle zu. Glaubt man Claudia Major, muss sich Deutschland beeilen. Sie verweist auf Studien, nach denen die russische Armee in fünf bis acht Jahren wieder komplett einsatzfähig sei. "Wir haben eine Deadline für unsere Verteidigungsfähigkeit: Bis 2029 müssen wir in der Lage sein, einen russischen Angriff abschrecken zu können, also Russland zu signalisieren, es lohnt sich nicht, weil die Kosten höher wären als der Gewinn. Und wenn Abschreckung nicht funktioniert, müssen wir verteidigungsfähig sein. Und das sind zwei Sachen, die wir in der öffentlichen Debatte nicht genug ansprechen." Es gebe eine klare Bedrohung: Russland rüste auf, sagt Major. "Und der Krieg ist schon da. Er ist in einem Graubereich, aber hybrid ist er da."

Was Deutschland jetzt tun muss

"Wir müssen kriegstüchtig sein", ist das Fazit, das Carsten Breuer aus dieser Entwicklung zieht. Sandra Maischberger fragt noch einmal nach: "Nicht verteidigungsfähig?" "Wenn Sie so wollen, ist das Semantik", antwortet Breuer - und übersieht dabei das deutsche Grundgesetz, das die Bundeswehr als eine Verteidigungsarmee definiert. "Aber ich glaube, gerade mit dem Wort kriegstüchtig hat man eine Diskussion angeregt, eine Diskussion, die uns auch in der Gesellschaft weitergebracht hat", sagt Breuer. So habe die Gesellschaft die Möglichkeit gehabt, sich darüber klar zu werden, was auf uns zukommen könne.

Ein Problem dabei: Viele Menschen in Deutschland identifizieren sich nicht mehr mit dem Staat. Um das zu ändern, sei eine Dienstpflicht der richtige Weg, sagt Claudia Major. "Und aus militärischer Sicht würde ich ergänzen: Wir brauchen eine Aufwuchspflicht", sagt Breuer. In den nächsten Jahren werde die Bundeswehr personell mit den Aufgaben nicht klarkommen, die auf sie zukämen. "Zusätzlich brauchen wir 100.000 Reservisten", so Breuer.

Am Ende ist es vielleicht gut, dass sich hier zwei Wehrexperten getroffen haben, die über die Zukunft Deutschlands ohne politische Scheuklappen diskutieren konnten - und ohne auf den Wahlkampf Rücksicht nehmen zu müssen.

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