Russland erobert weiter Gebiete in der Ukraine, derweil stehen Immobilien des Kreml in Deutschland leer. Die sogenannten "Geisterhäuser" im Osten Berlins liegen seit Jahren brach. Eine ukrainisch-stämmige CDU-Abgeordnete schlägt eine Versteigerung vor. Doch der Senat zuckt mit den Schultern.
Der Stadtteil Karlshorst ist eine der schöneren Wohngegenden im Osten Berlins. Viel Altbauten, viel Grün. Doch inmitten der Idylle stehen Putins "Geisterhäuser" und sorgen nicht nur bei den Anwohnern für Verdruss. Wohnraum ist knapp in der Hauptstadt. Die rund 66 ungenutzten Wohneinheiten könnten längst saniert und bewohnt sein. Stattdessen rotten sie seit 30 Jahren vor sich hin. Die Berliner CDU-Politikerin Lilia Usik will das nicht länger hinnehmen und schlägt Russlands Enteignung vor.
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine 2022 verhängte die EU Sanktionen gegen den Aggressor. Usik möchte prüfen lassen, ob und wie diese Sanktionen es erlauben könnten, die Immobilien in Karlshorst nutzbar zu machen. Konkret möchte die Politikerin prüfen lassen, ob die Häuser zugunsten der Ukraine beschlagnahmt und danach an Deutschland zurückgegeben werden könnten. Auf diese Weise könnten die Wohnungen wieder dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt zugeführt werden.
"Mit meiner Initiative möchte ich zeigen, dass der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine konkrete negative Konsequenzen für den Aggressor haben muss. Russland ist in die Ukraine einmarschiert. Russische Soldaten verüben grausame Gräueltaten, sie zerstören die Infrastruktur der Ukraine und Schicksale vieler Ukrainer. Deshalb wird die Beschlagnahmung dieser Vermögenswerte im Rahmen der Sanktionen gegen Russland einen Präzedenzfall schaffen, der die Notwendigkeit unterstreicht, dass Russland die Verantwortung für seine Taten übernehmen muss. Ein brutaler Angriffskrieg darf nicht unbestraft bleiben", sagt Usik im Gespräch mit ntv.de. Sie stammt selbst aus dem von Russland besetzten Donezk und ist für die CDU im Berliner Abgeordnetenhaus.
Unweit der "Geisterhäuser" hatte Nazi-Deutschland 1945 seine bedingungslose Kapitulation unterschrieben. Das Gebäude mit dem "Kapitulationssaal", der heute Herzstück des Museums Karlshorst ist, wurde ab 1945 Hauptsitz der sowjetischen Militärverwaltung. Aus zahlreichen umliegenden Wohnhäusern mussten die deutschen Bewohner 1945 binnen 24 Stunden ausziehen. Fast 50 Jahre später zog die russische Armee 1994 aus Deutschland ab. Die Häuser in Karlshorst wurden den Deutschen zurückgegeben. Alle, bis auf drei Gebäude in der Andernacher Straße / Königswinterstraße und Ehrenfelsstraße / Loreleystraße. Warum das so ist, weiß niemand, auch nicht die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Museums Berlin-Karlshorst.
Die Frage bleibt offen
Usik hat sich wegen der "Geisthäuser" an den Berliner Senat gewandt. Der antwortete, dass es keine rechtliche Handhabe gebe, Häuser zu beschlagnahmen. Der Senat wies darauf hin, dass der damalige Chef des Senatsstabes, Christian Gebler, 2020 ein Schreiben an die Botschaft der Russischen Föderation gesandt habe. Darin habe Berlin sein Interesse am Kauf der Grundstücke bekundet, jedoch noch keine Antwort erhalten.
Weil sie im für Karlshorst zuständigen Bezirk Lichtenberg und beim Senat erstmal nicht weiterkam, versuchte es Usik einige Ebenen höher: im Bundestag und im Europaparlament. Die kontaktierten Abgeordneten aber konnten ebenfalls nicht weiterhelfen. Das Thema aber bekommt viel Aufmerksamkeit, sowohl medial als auch vor Ort: "Viele Menschen in meinem Wahlkreis würden sich freuen, wenn in die Frage eine neue Dynamik kommt", so Usik.
Reaktion auf die Initiative
Während die Russische Föderation zur Zukunft der "Geisterhäuser" schweigt, sind sie den russischen Medien durchaus eine Erwähnung wert. Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung über Usiks Initiative berichteten russische Zeitungen und Sender - und verdrehten schlicht Tatsachen. Doch trotz der bösen Zuschriften, die sie seither von Russland-Sympathisanten erhalten hat, sieht sich Usik durch die Reaktionen der Menschen in ihrem Wahlkreis bestätigt.
Nicht nur die CDU interessiert sich für das Thema. Auch die Grünen im Bezirk Lichtenberg haben nun vorgeschlagen, dass der Bezirk prüfen solle, ob die "Geisterhäuser" gekauft oder auf andere Weise nutzbar gemacht werden können. "Ich freue mich, wenn dieses Thema einen überparteilichen Zuspruch und Unterstützung findet", sagt Usik.
Die "Geisterhäuser" beschäftigten Berlin schon lange, bevor Russland die großangelegte Invasion der Ukraine startete. Sie locken auch dubiose Gestalten an: So wendete sich nach der Invasion ein Zahnarzt an einen Immobilienunternehmer mit gefälschten Besitzurkunden und bot die drei Häuser zum Kauf an. Der Betrug flog auf, wie der "Spiegel" berichtete.
Künstler haben auch diesen Ort nicht außer Acht gelassen
Parallel zu Usiks politischer Initiative hat der britische Künstler Jeremy Knowles zusammen mit zwei anderen Mitstreitern aus den USA und Russland ein kreatives Projekt ins Leben gerufen. Es heißt "AND LET NO ONE BE FORGOTTEN!" – "Und lasse niemanden vergessen sein". Die Künstler richteten einen Kiosk ein, befragten Anwohner und luden Historiker der Museen Lichtenberg und Karlshorst zum Gespräch. So gingen die Künstler der Frage nach: "Was hinterlassen Imperien nach ihrem Untergang?" Die Anwohner teilten ihre Erinnerungen, Anekdoten, Emotionen und Fotos, die mit den "Geisterhäusern" verbunden sind.
Es könnten noch weitere Anekdoten hinzukommen, solange die "Geisterhäuser" in russischer Hand verbleiben. Ohne entsprechende Entscheidungen auf EU- oder Bundesebene bleibt eine Enteignung Russlands schwierig. Dabei geht es längst nicht nur um Karlshorst: In Köln-Sülz stehen 80 Wohnungen in bester Lage leer. Auch für diese Wohnungen gilt: Bislang gibt es keine Möglichkeit, sie von Russland zurückzukaufen oder zu beschlagnahmen.