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Prozess in Deutschland: Haftet RWE für Klimaschäden in den Anden?



Stand: 19.03.2025 19:18 Uhr

Seit Jahren kämpft ein Kleinbauer aus Peru dafür, den Konzern RWE an Klimaschutzmaßnahmen in seiner Heimat zu beteiligen. Zwei Tage lang verhandelte das OLG Hamm nun den Fall. Am 14. April soll das Urteil fallen.

Von Charly Neyens, WDR

Saúl Luciano Lliuya bewirtschaftet in der 55.000-Einwohnerstadt Huaraz in Peru einen kleinen Bauernhof. Sein Leben dort sei durch den Klimawandel gefährdet, denn es drohten Überschwemmungen - so zumindest der Vorwurf des Bergführers.

Gletscher in der Nähe könnten Flutwellen oder Schlammlawinen auslösen, sollte das Eis durch steigende Temperaturen noch weiter abschmelzen. Insbesondere der Gletschersee Palcacocha liegt nur wenige Kilometer oberhalb von Huaraz. "Wenn es zu viel Wasser gibt, läuft das über die Ufer und könnte die ganze Stadt überschwemmen", so der Landwirt. "Das würde eine Katastrophe bedeuten."

Er fordert eine finanzielle Entschädigung für mögliche Folgen vom Energiekonzern RWE, der wegen seiner Schadstoffemissionen für die Klimaerwärmung in seinem Ort mitverantwortlich sei. Die Umweltorganisation Germanwatch unterstützt Lliuyas Klage - die Stiftung Zukunftsfähigkeit zahlt das Verfahren in Hamm.

Saúl Luciano Lliuya nimmt es mit den Großen auf

Bereits 1941 gab es in Huaraz nördlich der Hauptstadt Lima eine Überschwemmung, Tausende Menschen kamen dabei ums Leben. Lliuya hat selbst bereits Schutzmaßnahmen rund um sein Haus getroffen. Wenn es nach ihm ginge, sei dafür aber eigentlich der Energiekonzern zuständig. "Ich denke nicht nur an mich, sondern auch an meine Familie. Ich denke an die anderen Menschen, die in der Stadt wohnen", so Saúl Luciano Lliuya. Dem Kleinbauer zufolge müsse künftig auch der Wasserpegel des Sees künstlich abgesenkt werden. Geschätzte Kosten: 3,5 Millionen Euro.

Um sich für die Menschen in seiner Heimat und sein Haus einzusetzen, verlangte der 44-Jährige rund 17.000 Euro von RWE - das sind 0,47 Prozent der Gesamtkosten für Schutzmaßnahmen. Laut Anklageschrift sei das der Anteil des Essener Unternehmens an den weltweiten Treibhausgasemissionen. Inzwischen liegt der Wert etwas niedriger bei 0,38 Prozent, hieß es in der Verhandlung, weil RWE mittlerweile weniger CO2 ausstößt.

Erfolgsaussichten des Prozesses sind gering

Das Landgericht Essen hat Lliuyas erste Klage 2016 abgewiesen. Die Begründung damals: Treibhausgase könnten einem Unternehmen nicht anteilig oder individuell zugeordnet werden. RWE sieht das bis heute auch so und verweist außerdem darauf, sich stets an staatliche Vorgaben gehalten zu haben. Vom Energieunternehmen gibt es nur eine schriftliche Stellungnahme - darin heißt es: "Wenn es einen solchen Anspruch nach deutschem Recht geben sollte, könnte man auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen. Wir halten das für rechtlich unzulässig und auch gesellschaftspolitisch für den falschen Weg."

Der peruanische Kleinbauer und seine deutsche Anwältin Roda Verheyen legten 2016 nach der abgelehnten Klage Berufung ein. Ein Jahr später hielt das OLG Hamm die Klage für schlüssig und ordnete eine Beweisaufnahme an. 2022 reiste eine Gruppe aus Richtern, Anwälten und Gutachtern nach Peru, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Klimaklage könnte wichtigen Präzedenzfall schaffen

Am zweiten Tag der mündlichen Verhandlung stand erneut das Gutachten im Mittelpunkt, das ein Geowissenschaftler sowie ein Lawinenschutzexperte am Montag vorgestellt hatten. Heute wurden sie dazu befragt.

Der Sachverständige des Gerichts, Rolf Katzenbach, schätzt die Wahrscheinlichkeit einer Flutwelle in Huaraz in den kommenden 30 Jahren auf nur ein Prozent. Sollte der Fall doch eintreten, wäre Lliuyas Grundstück höchstens 20 Zentimeter überschwemmt, was der Bausubstanz nichts ausmache. Der Gutachter der Klägerseite, Lukas Arenson, sieht jedoch eine höhere Gefahr aufgrund möglicher Felsstürze, er sieht die Wahrscheinlichkeit bei bis zu 30 Prozent.

Im laufenden Prozess stehen aber nicht die Entschädigungssummen im Vordergrund. Vielmehr geht es um ein Grundsatzurteil. Zum ersten Mal versucht ein Gericht ganz genau die Frage zu beantworten, wer die Schuld an der Klimakrise und den daraus entstehenden Konsequenzen trägt. Gletscherseen bedrohen laut Forschern weltweit rund 15 Millionen Menschen - besonders in den Anden.

Urteil soll Mitte April gesprochen werden

Auch wenn sich das Gericht sehr umfassend mit dem Fall beschäftigt hat, rechnet ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam nicht mit einer Niederlage für RWE: "Die rechtlichen Hürden für einen Erfolg der Klage sind sehr hoch. Die Knackpunkte dabei sind: Ist das Haus des Bauern durch schmelzende Gletscher stark genug bedroht und kann man das alles dem Konzern RWE auch zurechnen?"

Ähnliche Klimaklagen gibt es immer wieder, haben bislang aber keinen Erfolg. Lliuyas Anwältin Verheyen ist trotzdem optimistisch, die Mitverantwortung von RWE beweisen zu können. Vor der Verhandlung sagte sie: "Wir sind der Auffassung weiterhin und werden mit unseren Gutachtern versuchen, das zu belegen."

Sollten die Ergebnisse der Gutachten nicht reichen, ist der peruanische Kleinbauer seinem Ziel trotzdem einen Schritt nähergekommen: "Ein deutsches Gericht hat meine Stadt besucht und sich angeschaut, was da passiert. Für mich ist das schon ein Erfolg".

Am 14. April will das Oberlandesgericht Hamm nun das Urteil verkünden.

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