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Finanzpaket: Ökonomen sehen Staat auf Bewährungsprobe



analyse

Stand: 19.03.2025 15:14 Uhr

Das schwarz-rote Finanzpaket ist die umfangreichste Lizenz zum Schuldenmachen, die die Bundesrepublik je gesehen hat. Wirtschaftsexperten sagen, es beginnt eine gefährliche Bewährungsprobe für die Politik.

Heidi Radvilas

500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaschutz, im Grunde unbegrenzte Summen für Verteidigung - all das finanziert über Schulden. Das ist die Hypothek, die die Bundesregierung in spe aufnehmen will, bevor sie überhaupt im Amt ist. Es fallen Begriffe wie "historisch", "astronomisch" - aber auch: "wahnsinnig".

Union und SPD als wahrscheinliche Koalitionspartner der neuen Bundesregierung feiern sich dafür, dass sie das Paket inklusive Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse gegen Widerstände mit Hilfe der künftigen Oppositionspartei, den Grünen, durch den Bundestag geboxt hat.

Der Ökonom Clemens Fuest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ifo in München, kommentiert dagegen trocken: "Die Schulden zu beschließen, das ist der leichte Teil. Das kann jeder." Der schwere Teil komme erst noch. Nämlich, was man aus den Schulden mache. Und da sehen Ökonomen einerseits große Chancen, aber auch ganz erhebliche Risiken. Sehr viel hänge von der Politik ab. Das Potenzial, zu scheitern, sei riesig.

Chance auf Trendwende in der Wirtschaft

Erst mal das Positive: Die viele Hundert Milliarden Euro schweren Investitionsprogramme könnten das bringen, wovon Deutschland nun das dritte Jahr in Folge nur träumen kann - nämlich nennenswertes Wachstum für die Wirtschaft. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW spricht von einem "Gamechanger": "Wir wissen alle um die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, die schleichende Deindustrialisierung. Dieses finanzpolitische Paket hätte das Potenzial, diesen Trend umzudrehen."

Laut DIW könnte die deutsche Wirtschaft 2026 ohne die Mehrausgaben für Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung 1,1 Prozent wachsen. Mit den Ausgaben wären dagegen 2,1 Prozent möglich. Auch in den Folgejahren rechnen Ökonomen aufgrund der Investitionsprogramme mit höheren Wachstumschancen. Führt man sich vor Augen, dass die deutsche Wirtschaft in den vergangenen beiden Jahren sogar geschrumpft ist, macht das vielen Mut.

Dazu kommt die Hoffnung, dass zum Beispiel mit einer ertüchtigten Infrastruktur - etwa einem funktionstüchtigen Bahn- und Autobahnnetz, sicheren Brücken, einem modernen Kommunikationsnetz - über Jahrzehnte ein lukrativeres Wirtschaften möglich wird.

Renditen für Staatsanleihen bereits gestiegen

Aber: Es entsteht eben auch ein riesiger Schuldenberg, der den Staat teuer zu stehen kommen kann - in mehrfacher Hinsicht. Zunächst einmal wird es deutlich teurer, sich am Kapitalmarkt Geld zu leihen. Weil viele Schulden das Risiko der Investoren erhöhen, wollen die mehr Zinsen sehen, also höhere Renditen auf Staatsanleihen.

Bei der ersten Auktion von Bundesanleihen nach Reform der Schuldenbremse durch den Bundestag musste die Finanzagentur des Bundes Investoren mit höheren Zinsen locken: Bei der Aufstockung zweier Anleihen mit jeweils 30-jähriger Laufzeit lag der Durchschnittszins, im Fachjargon Durchschnittsrendite, bei 3,04 und 3,08 Prozent. Bei Auktionen im Januar und Februar waren es noch deutlich weniger gewesen, 2,65 und 2,84 Prozent.

"Der Bund bekommt die Folgen der vom Bundestag abgesegneten Schuldenpläne der künftigen schwarz-roten Koalition bereits jetzt am Kapitalmarkt zu spüren", kommentiert Analyst Elmar Völker von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Erdrückt die Schuldenlast künftige Generationen?

Weiterer wichtiger Punkt: Der schier unvorstellbare Schuldenberg könnte die Handlungsfähigkeit künftiger Generationen und Regierungen quasi erdrücken, warnen Experten. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, erklärt die Dimension: "Der Schuldenstand Deutschlands - also die Staatsschulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt - liegt jetzt bei ungefähr 63 Prozent. Das dürfte in den kommenden zehn Jahren Richtung 90 Prozent steigen."

Alles scheint damit zu stehen beziehungsweise zu fallen, dass der Plan vom zusätzlichen Wachstum in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch tatsächlich funktioniert. Und das ist alles andere als sicher. Marcel Fratzscher vom DIW sagt: "Geld ist eine notwendige Voraussetzung, aber keine hinreichende. Die weiteren Reformen bei Kapazitätsausbau, Deregulierung, schnellerer Umsetzung - all das muss folgen, damit das möglich ist."

Geld allein reicht nicht

Unternehmen müssten mehr Produktionskapazitäten aufbauen. Es brauche mehr qualifiziertes Personal - in Zeiten des Fachkräftemangels nicht einfach. Außerdem meint ifo-Chef Fuest: "Es geht jetzt darum, die Menschen dazu zu bewegen, tatsächlich auch mehr zu arbeiten. Ohne zusätzliche Leistung gehe es nicht, glaubt der Ökonom.

Zusätzliche Leistung müsse jetzt aber vor allem auch die Politik bringen, da sind sich Wirtschaftsvertreter und Ökonomen einig. Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags bringt es auf den Punkt: "Dieses Verschuldungspaket kann nur funktionieren, wenn die neue Regierung die strukturellen Probleme in unserem Land konsequent angeht und dringend notwendige Reformen umsetzt."

Die Liste der Dinge, die besonders dringend angegangen werden müssen, ist bekannt: Der Staat muss nach Ansicht der Wirtschaft zuvorderst Genehmigungs- und Planungsprozesse verschlanken und beschleunigen, Bürokratie abbauen, Verwaltungsprozesse schlank, modern und digital aufstellen. Und den Standort Deutschland durch wettbewerbsfähige Energiepreise und ein faires Steuermodell attraktiver machen.

Wachstumsimpuls könnte verpuffen

Gelinge all das nicht, warnt Jörg Krämer von der Commerzbank: "Dann besteht die Gefahr, dass ein Teil der Mehrausgaben nicht tatsächlich zu mehr Investitionen führt, sondern einfach nur verpufft in mehr Inflation."

Schnell wird klar: Das Mega-Schuldenpaket kann nur der Anfang sein. Die eigentliche Arbeit nicht nur der Wirtschaft, sondern vor allem die des Staates kommt noch. Neben der Reform des Staatsapparats und der Standortbedingungen muss dazu auch eine weitere Aufgabe gehören, betont Fuest: "Der Staat muss Ausgaben kürzen und Ausgaben umschichten aus anderen Bereichen." Es müssten Prioritäten gesetzt werden, damit die Ausgaben des Staates langfristig aus dem regulären Haushalt bestritten werden könnten.

Heißt unter dem Strich: Ohne massive zusätzliche Reformen kann die Wende nicht gelingen. Dann hätte die Politik dem Land mit dem riesigen Schuldenberg einen Bärendienst erwiesen. 

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