1 month ago

Präsident eskaliert Machtkampf: Was über die Ausrufung des Kriegsrechts in Südkorea bekannt ist



In Südkorea kommt es völlig überraschend zur Ausrufung des Kriegsrechts. Doch hinter der Maßnahme steckt offenbar kein Angriff oder Feindseligkeiten des Nachbarn im Norden. Allerdings sind die genauen Hintergründe unklar. Eine Übersicht:

Was ist passiert?

Der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol hat am Abend (Ortszeit) in einer TV-Ansprache das Kriegsrecht in seinem Land ausgerufen. Er begründete dies mit dem aus seiner Sicht notwendigen Schutz der demokratischen Ordnung des Landes. Er erkläre das Kriegsrecht, um Südkorea "vor der Bedrohung durch nordkoreanische kommunistische Kräfte zu schützen und die verabscheuungswürdigen pronordkoreanischen antistaatlichen Kräfte auszurotten", so Yoon in seiner Ansprache. Der Präsident warf der Opposition vor, Gelder für die Kernaufgaben des Staates wie etwa die Bekämpfung der Drogenkriminalität und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zusammenzustreichen und damit einen "Zustand des Chaos bei der öffentlichen Sicherheit" zu schaffen.

Was bedeutet die Ausrufung des Kriegsrechts?

Das Kriegsrecht wurde in Südkorea seit Jahrzehnten nicht mehr ausgerufen. Letztmalig wurde es 1979 erklärt. Nach Angaben der südkoranischen Nachrichtenagentur Yonhap kann der Präsident dies im Fall eines Kriegs, eines nationalen Notstands oder wenn es die öffentliche Sicherheit verlangt, tun. Durch das Kriegsrecht werden alle politischen Aktivitäten, Versammlungen und Kundgebungen verboten, wie aus einem vom Militär veröffentlichten Dokument hervorgeht. Auch alle Medien und Publikationen würden der Kontrolle des Kriegsrechtskommandos unterliegen, hieß es. Außerdem wurde allen angehenden Ärzten, die aus Protest gegen die Gesundheitsreform der Regierung gekündigt hatten, die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz befohlen.

Wie reagiert das Parlament?

Sowohl Oppositionsführer Lee Jae Myung von der Partei DP als auch der Chef von Yoons eigener Partei, Han Dong Hoon, erklärten das Kriegsrecht für verfassungswidrig. Dong-hoon bezeichnete die Verhängung laut BBC als "falsch" und versprach, diese zu blockieren. Teile des insgesamt 300 Sitze fassenden Parlaments kamen am Abend zusammen. Alle der 190 anwesenden Abgeordneten stimmten überparteilich für die Aufhebung des Kriegsrechts. Yoons Vorgänger von der Demokratischen Partei, Moon Jae In, warnte vor einer Gefahr für die Demokratie. Er setze auf schnelles Handeln des Parlaments, um die Demokratie vor dem Zerfall zu bewahren. "Ich fordere das Volk auf, seine Kräfte zu bündeln, um die Demokratie zu schützen und zu retten und dazu beizutragen, dass die Nationalversammlung normal funktionieren kann", schrieb der frühere Staatschef auf X.

Wie reagiert das Militär?

Der Generalstabschef der Armee, General Park An-su, wurde zum Anführer des Kriegsrechtskommandos ernannt. Sicherheitskräfte riegelten das Parlament in Seoul am späten Abend ab, Soldaten drangen in das Gebäude ein, Hubschrauber landeten auf dem Dach. Mitarbeiter versuchten, die Soldaten aufzuhalten, unter anderem mit dem Versprühen von Feuerlöschern. Im Parlament wurden Barrikaden errichtet. Nach der Abstimmung im Plenum des Parlaments zogen sich die Soldaten jedoch wieder aus dem Gebäude zurück.

Wie reagieren die Bürger?

Kurz nach Yoons Ansprache versammelten sich mehrere Menschen vor dem Parlamentsgebäude. Mehrere Demonstrationen verlaufen bislang friedlich, Ausschreitungen gibt es bisher nicht. Einige Demonstranten riefen "Zieh das Kriegsrecht zurück", andere "Verhaftet Yoon Suk Yeol".

Was sind die möglichen Hintergründe der Maßnahme des Präsidenten?

Ein Angriff Nordkoreas oder ähnliche Feindseligkeiten sind offensichtlich nicht der Grund für die Ausrufung des Kriegsrechts. Vielmehr liegen innenpolitische Gründe vor:

  • Die Opposition verfügt im Parlament über die Mehrheit. Die Möglichkeiten des Präsidenten, in der ihm verbliebenen Amtszeit bis 2027 Gesetze durchzusetzen, sind begrenzt.
  • Für Unruhe sorgte in dieser Woche der Antrag der oppositionellen DP, einige der ranghöchsten Staatsanwälte des Landes ihres Amtes zu entheben.
  • Zudem forderte sie die Ablehnung eines Haushaltsentwurfs der Regierung. Das Budget müsse um mehr als vier Billionen Won (2,65 Milliarden Euro) reduziert werden. Yoon erklärte, dies untergrabe die grundlegende Funktionsfähigkeit der Regierung.

Yoon hob in seiner Ansprache hervor, dass seit seinem Amtsantritt im Mai 2022 insgesamt 22 Amtsenthebungsanträge gegen Regierungsbeamte gestellt worden seien, wobei die Opposition seit der Einberufung der 22. Nationalversammlung im Juni bereits den zehnten Antrag auf Amtsenthebung eingebracht habe. Der Präsident hatte zudem zuletzt Forderungen zurückgewiesen, mutmaßliche Skandale seiner Frau und hochrangiger Regierungsvertreter unabhängig untersuchen zu lassen. Ihr wird unter anderem Aktienkurs-Manipulation vorgeworfen.

Wie geht es jetzt weiter?

Mit der Verabschiedung des Antrags auf Aufhebung des Kriegsrechts im Parlament ist dieses nach Angaben des Parlamentspräsidiums nicht mehr in Kraft. Laut Verfassung müsse das Kriegsrecht aufgehoben werden, wenn eine parlamentarische Mehrheit dies verlangt, so die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap. Mehrere Soldaten, die in das Parlament vorgedrungen waren, zogen sich Medienberichten zufolge nach der Abstimmung wieder zurück. Allerdings gibt es noch keine Reaktion des Präsidenten, ob er das Votum des Parlaments anerkennt. Das südkoreanische Militär erklärte laut BBC, dass es das Kriegsrecht aufrechterhalten werde, bis dieses vom Präsidenten aufgehoben wird - dieses kündigte der Staatschef indes später an.

Wie sind die internationalen Reaktionen?

Die US-Regierung zeigte sich beunruhigt. "Wir sind ernsthaft besorgt über die Entwicklungen, die wir vor Ort in Südkorea beobachten", hieß es vom Weißen Haus. Man stehe in Kontakt mit der südkoreanischen Regierung und verfolge die Situation genau. Die US-Regierung sei nicht im Voraus über die Ankündigung des Präsidenten informiert worden. US-Präsident Joe Biden wurde über die Ereignisse informiert, hieß es. Die USA sind der engste Verbündete Südkoreas. Fast 30.000 US-Soldaten sind dort stationiert.

Auch Russland beobachtet nach Kremlangaben die Lage mit Sorge. "Die Situation ist alarmierend. Wir beobachten das aufmerksam", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Russland und Nordkorea sind enge Verbündete. Die beiden Atommächte haben gerade eine strategische Partnerschaft besiegelt, die auch einen gegenseitigen militärischen Beistand im Fall eines Angriffs durch einen Drittstaat beinhaltet.

Das Auswärtige Amt ist besorgt über die politische Lage in Südkorea. "Wir verfolgen die Entwicklungen in Südkorea genau und mit großer Besorgnis. Die Demokratie muss sich durchsetzen", teilte das deutsche Außenministerium auf X mit.

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