Wie gewinnt die Politik das Vertrauen der Bevölkerung zurück? Das will Caren Miosga am Sonntagabend im Ersten von ihren Gästen wissen. Peer Steinbrück diagnostiziert ein Transparenzproblem, Ricarda Lang zeigt sich selbstkritisch.
Was kann die Politik gegen das Misstrauen der Bevölkerung tun? Das will Caren Miosga in ihrer letzten Sendung des Jahres wissen. Dazu hat sie neben dem stellvertretenden Welt-Chefredakteur Robin Alexander zwei Politiker eingeladen, die in den letzten Wochen durch klare Aussagen aufgefallen sind. Ricarda Lang, Ex-Grünenvorsitzende, blickt auf ihre Zeit als Parteichefin selbstkritisch zurück.
Peer Steinbrück, ehemaliger SPD-Kanzlerkandidat, ist schon länger dafür bekannt, auch seine eigene Partei zu kritisieren. Er ist Teil einer vor kurzem gegründeten Stiftung, die in einem knappen Jahr die Antwort auf die Frage geben soll, warum sich die Politik mit Reformen schwertut und welche Reformen für dieses Land dringend nötig wären. "Politiker müssen genauer erklären, dass schwierige Zeiten auf uns zukommen", sagt Steinbrück.
Die Diskussion über dieses Thema ist nötig. Laut einer Umfrage der Körber-Stiftung aus dem August hat das Ansehen der Parteien und der Institutionen deutlich abgenommen. Danach schenken gerade mal 22 Prozent der Befragten dem Bundestag noch ihr Vertrauen, 18 Prozent der Bundesregierung, neun Prozent den politischen Parteien.
"Vertrauen kaputtgemacht"
"Wir haben gerade in den letzten Jahren eine Regierung erlebt, die vieles gerade in der Krisenbewältigung hinbekommen hat, die aber vieles an Vertrauen kaputtgemacht hat", sagt Ricarda Lang. Die real existierenden Probleme würden oft durch eine schwülstige Diskussion über das Vertrauen in die Demokratie überdeckt.
Vor allem das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik sei geschwunden, fügt Peer Steinbrück hinzu. Das könne zu einem Demokratieproblem werden. "Das heißt: Wenn eine neue Regierung nicht in der Lage ist, dieses Vertrauen wieder zu heben, indem sie auf das eingeht, was maßgeblich ist für die Bürgerinnen und Bürger, dann fürchte ich, dass die übernächsten Bundestagswahlen 2029 zu einer Nagelprobe auf unseren Parlamentarismus werden könnten."
Zur Ampelregierung sagt Lang, man habe sich vor allem am Anfang der Probleme angenommen, die ohne Streit lösbar gewesen seien. So habe man erst einmal ohne große Konflikte regieren können. Probleme wie die Finanz- und Wirtschaftspolitik, bei denen die drei Parteien unterschiedliche Ansichten gehabt hätten, sollten zunächst nicht angesprochen werden. "Das hätte funktioniert, wenn wir vier normale Jahre gehabt hätten. Das Ding ist nur, man hat keine vier normalen Jahre gehabt, und die Zeit wird auch nicht zurückkommen."
Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine und später das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätten die Regierung in die Realität zurückgeworfen. Christian Lindner habe einen neuen Koalitionsvertrag verhandeln wollen. "Wir wollten das nicht. Ich auch nicht. Ich kann da nicht sagen, dass ich da auf der richtigen Seite stand", reflektiert Ricarda Lang. Das habe dazu geführt, dass die Ampelregierung auf die Realitäten nicht mehr angemessen reagieren konnte.
Steinbrück: Probleme aus Angst nicht genannt
Gleichzeitig habe die Regierung versäumt, grundlegende Probleme deutlich zu benennen, aus Angst, sich unbeliebt zu machen und die Wählerinnen und Wähler in die falschen Arme zu treiben, fügt Steinbrück hinzu. Dabei sei das erste Jahr der Regierung das beste Jahr gewesen, sagt Robin Alexander: "Die Zeitenwende war im Prinzip richtig. Es war richtig, wegzukommen vom russischen Gas. Es war richtig, LNGs zu bauen. Die wirklichen Gegensätze, die sie zerrissen haben, kamen doch erst, als sie angefangen haben mit dem Heizungsgesetz USW, also als sie wieder in ihren Ideologien waren", gibt der Journalist zu bedenken.
Steinbrück sagt, schon seit zehn oder fünfzehn Jahren hätten sich die Menschen in einer Komfortzone bewegt. Dabei seien sie durchaus bereit, Zumutungen anzunehmen, wenn diese gerecht verteilt würden. Und wenn sie ehrlich angesprochen würden, fügt Lang hinzu. "Was wir gerade sehen, und das erlebe ich auch gerade in diesem Wahlkampf: Dass wir eine Hyperpolitisierung von Nebensächlichkeiten haben. Wir reden wahnsinnig viel über einen Wahltermin, über einen Pulli, welcher Spitzenkandidat cooler ist. Und wir haben eine Entpolitisierung der realen politischen Fragen: Was ist Europas Antwort auf Trump? Wie kriegen wir es jetzt mit der Wirtschaft wieder hin? Und da fühlen sich die Leute nicht ernst genommen."
Lang sieht sich als Teil des Problems
Seit ihrem Rückzug aus den vorderen Reihen der Politik sei ihr klar geworden, dass sie ein Teil dieses Problems gewesen sei, sagt Lang im Laufe der Sendung. Auch sie habe Probleme nicht angesprochen oder beschönigt, aus Angst vor Kritik oder einem Shitstorm. Aber das Misstrauen in der Bevölkerung wachse, wenn man Probleme nicht anspreche, sagt Lang und fordert: "Wir müssen anfangen, die Menschen wieder wie Erwachsene zu behandeln."
Steinbrück versucht sich im Laufe der Sendung daran. Deutschland stehe vor einer großen gesellschaftlichen Umwälzung, bedingt auch durch den demografischen Wandel. Dagegen müsse man etwas tun: "Ich würde das Rentensystem öffnen und flexibilisieren und diejenigen belohnen, die länger arbeiten wollen. Man wird eine geordnete Einwanderung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse organisieren müssen." Zudem sei er gegen die Einführung der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. "Das wird nicht funktionieren." Die Menschen seien bereit für Reformen, wenn man sie erklären könne.
Was Lang und Steinbrück fordern, ist im Prinzip nichts anderes als neue Umgangsformen zwischen Politikern und Bevölkerung und der Politiker untereinander. Ob die Parteien und deren Protagonisten in den nächsten Jahren dazu in der Lage sind, wird sich zeigen.