Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat die Kirchen für ihre politische Einmischung kritisiert. Dafür hat sie sich einen Proteststurm eingehandelt. Das ist unangemessen.
Will die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner den großen Kirchen einen Maulkorb verpassen? Diesen Eindruck musste gewinnen, wer am Wochenende in den sozialen Netzwerken unterwegs war. Anlass war ein Interview, das die CDU-Politikerin der "Bild am Sonntag" gegeben hatte. Darin forderte Klöckner die Kirchen zu politischer Zurückhaltung auf.
Dafür hagelte es Kritik. Der "Spiegel" sprach von einem "Kulturkampf", den Klöckner führe, das "Handelsblatt" von einem "Redeverbot", das sie für die Kirchen ausspreche. Und das als formal zweithöchste Repräsentantin des Staates.
Klöckner hat Theologie studiert
Anders als es diese Reaktionen vermuten lassen, liest sich das Originalinterview deutlich weniger aufgeregt. Es geht um die Digitalisierung des Bundestages, um den Umgang mit der AfD, um Hunde im Parlament. Am Ende kommen die Interviewer, osteranlässlich bedingt, auch auf Klöckners Glauben zu sprechen (die 52-Jährige hat unter anderem Theologie studiert und ist praktizierende Katholikin). Auf die Frage, warum immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, nennt Klöckner zunächst die nachlassende Kirchenbindung durch steigenden Wohlstand und die Zunahme von Ersatzreligionen. Dann holt sie zu Kritik an den Kirchen aus. In der Corona-Zeit hätte die Kirche, findet sie, noch mehr Stabilität geben können: "An der einen oder anderen Stelle hat sie wirklich eine Chance verpasst."
Ist die Kirche "zu beliebig"?
Außerdem sei Kirche "manchmal zu beliebig" oder gebe zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen ab "wie eine NGO" (Nichtregierungsorganisation). Wenn sie "nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick hat, dann wird sie leider austauschbar", bemängelt Klöckner und führt aus: "Ich meine: Klar kann sich die Kirche auch zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle ich jetzt nicht unbedingt Kirchensteuer."
Ein Tempolimit tut der Schöpfung gut
Man muss diese Position nicht teilen. Man könnte argumentieren, dass ein Tempolimit nicht nur umweltfreundlich ist, sondern auch nachweislich die Zahl der Verkehrstoten reduziert und damit vollumfänglich einem Kernauftrag der Bibel entspricht: die Bewahrung der Schöpfung.
Die Forderung eines "Redeverbots" steckt in Klöckners Aussagen aber nicht. Vielmehr nimmt sie für sich das Recht in Anspruch, zu definieren, was sie als Christin von ihrer Kirche erwartet.
Wie politisch darf, soll und muss Kirche sein? Die Antwort ist komplex. Grundsätzlich muss Kirche politisch sein, muss sich einmischen. Ohne diese Haltung hätte es zum Beispiel keinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben.
Kirche darf nicht parteipolitisch sein
Allerdings darf Kirche nicht in den Verdacht geraten, parteipolitisch verortbar zu sein. Auch wenn sie Antworten auf die Fragen der Zeit geben muss, darf ihr Maßstab dabei niemals der Zeitgeist sein. Sondern ausschließlich die Bibel.
Diese ist zum Beispiel sehr klar, was den Umgang mit Flüchtlingen betrifft – ob es den Konservativen passt oder nicht. Und ebenso klar, was den Umgang mit ungeborenem Leben betrifft – ob es den Linken passt oder nicht.
Nicht jede Position muss einem Christen dabei persönlich passen. Und ja, man kann über vieles auch streiten oder es sogar ablehnen. Der gerade verstorbene Papst Franziskus hielt unbeirrt am Verbot der Empfängnisverhütung fest, obwohl dies im Alltag vieler Katholiken zu Recht längst der Vergangenheit angehört. Umgekehrt wurden viele Geistliche, die Kindesmissbrauch begingen, von den kirchlichen Obrigkeiten gedeckt. Obwohl die Bibel bei Sünde Klarheit und Sühne einfordert.
Bei den Konservativen kommt eine gewisse Verbitterung hinzu, weil sie sich bislang als politische Träger des Glaubens definierten (nicht umsonst tragen sie das "C" im Parteinamen) und sich von den beiden großen Kirchen endgültig verraten fühlten, als sich deren Bevollmächtigte kurz vor der Bundestagswahl sehr scharf zur von Friedrich Merz initiierten Asylpolitik-Abstimmung mit der AfD äußerten.
Aber auch sie dürfen lernen, dass die Kirchen nicht Vollstrecker ihrer politischen Positionen sind. Die Kirchen müssen sich dabei stets bewusst machen, dass ihre Mitglieder nicht nur in einem politischen Spektrum zu verorten sind und es ihre Pflicht ist, sich mit allen Positionen auseinanderzusetzen.
Kirche darf sich nicht beirren lassen
Wenn die Kirchen nach eingehender Prüfung zu einer Haltung kommen, die sich aus der Bibel klar herleiten lässt und dem christlichen Geist von Liebe und Empathie entspricht, darf sie sich nicht beirren lassen.
Wer das dann nicht aushält, sondern meint, austreten zu müssen, den sollte man nicht aufhalten. Glaube ist keine Frage von Masse. Sondern von Klasse.