Politik als Lifestyle: Barstool-Konservative sind jung, rebellisch und verehren Trump

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In den USA macht sich eine neue politische Bewegung breit: der Barstool Conservatism. Seine Anhänger sind junge Männer mit Anti-Alles-Haltung, seine Sprache ist die des Internets. Donald Trump versteht das. AfD und FDP versuchen, auf den Zug aufzuspringen.

Auf dem Instagram-Kanal "One Bite Pizza" testet der amerikanische Influencer Dave Portnoy Pizza. "One bite. Everybody knows the rules" ist sein Standardspruch, um dann doch besser zwei, drei, manchmal vier Bissen zu nehmen, bevor er sein Urteil fällt. Ein Mann vor der Kamera, ein Stück Pizza in der Hand und er entscheidet auf einer Skala von 0 bis 10, ob es schmeckt oder nicht. Alles ab 8,0 gilt als "huge score". Damit kann er kleine Pizzerien zu Hotspots machen und andere in den Ruin treiben. So einfach, so klar, so unterhaltsam. Und Teil eines Milliarden-Imperiums.

Barstool Sports, die Firma hinter den lustigen Pizzabewertungen und gegründet von eben jenem Dave Portnoy, ist längst mehr als ein Medienunternehmen. Ursprünglich als Sport- und Glücksspiel-Blog gestartet, hat sich Barstool Sports zu einem digitalen Imperium entwickelt, das von Podcasts und Social-Media-Kanälen bis hin zu Merchandising und Events reicht.

Mathias Richel ist Kommunikationsberater, Autor und Speaker mit über 20 Jahren Erfahrung in politischer und strategischer Kommunikation. Als leidenschaftlicher Beobachter gesellschaftlicher und kultureller Trends analysiert er, wie digitale Dynamiken und Popkultur politische und soziale Narrative prägen. Mathias Richel ist Kommunikationsberater, Autor und Speaker mit über 20 Jahren Erfahrung in politischer und strategischer Kommunikation. Als leidenschaftlicher Beobachter gesellschaftlicher und kultureller Trends analysiert er, wie digitale Dynamiken und Popkultur politische und soziale Narrative prägen.

Mathias Richel ist Kommunikationsberater, Autor und Speaker mit über 20 Jahren Erfahrung in politischer und strategischer Kommunikation. Als leidenschaftlicher Beobachter gesellschaftlicher und kultureller Trends analysiert er, wie digitale Dynamiken und Popkultur politische und soziale Narrative prägen.

Mit Millionen von Followern auf Plattformen wie Instagram, TikTok und YouTube erreicht Barstool vor allem junge Männer, die sich in der traditionellen Medienlandschaft nicht mehr repräsentiert fühlen. Es geht um Sport, Popkultur, Humor und bewusste Provokation. Und das lohnt sich finanziell: Branchenkenner sprechen von bis zu einer halben Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr. Barstool verkauft keine Informationen - es verkauft ein Lebensgefühl: laut, ungeschönt, direkt und rebellisch.Und daraus ist eine eigene politische Bewegung entstanden: Der Barstool Conservatism.

Rebellion statt Moral

Barstool Conservatism ist keine konservative Strömung im klassischen Sinne. Er unterscheidet sich deutlich von den traditionellen konservativen Bewegungen in den USA, die stark religiös geprägt sind oder auf Familienwerte und wirtschaftspolitischen Pragmatismus setzen. Während der klassische Konservatismus häufig von festen moralischen Prinzipien ausgeht - etwa in Fragen der Religion, der Ehe oder der Gesellschaftsordnung - fehlt dem Barstool Conservatism eine solche moralische Verankerung.

Nicht die Bewahrung alter Werte und Strukturen steht im Mittelpunkt, sondern eine rebellische Haltung gegen alles, was als Einschränkung der persönlichen Freiheit empfunden wird. Barstool Conservatism ist im Alltag libertär, aber nicht in der Theorie. Es geht weniger um politische Programme oder philosophische Konzepte als um das Gefühl, sich nicht vorschreiben lassen zu wollen, wie man zu leben hat.

Das Besondere am Barstool Conservatism ist seine Konzentration auf die Alltagskultur. Er findet nicht in Kirchen oder politischen Think Tanks statt, sondern auf TikTok, in Sportbars und in Online-Streams. Seine Zielgruppe sind junge Männer, die sich von den traditionellen Parteien - ob links oder rechts - nicht mehr angesprochen fühlen. Es sind nicht die typischen republikanischen Wähler, denen Werte wie Familie, Kirche oder Nation wichtig sind, sondern diejenigen, die sich weder mit den sozialen Bewegungen und progressiven Debatten der Demokraten noch mit dem Establishment der Republikaner identifizieren können.

Barstool Conservatism lebt von seiner vermeintlichen Authentizität, der Ablehnung jeder Form von "political correctness" und dem Widerstand gegen eine als elitär empfundene Mehrheitsgesellschaft. Dabei schließt er liberale Themen wie die Unterstützung von LGBTQI-Rechten oder die Legalisierung von Cannabis nicht aus - solange sie in die übergeordnete Botschaft der individuellen Freiheit passen. Es ist eine Haltung, die in der Popkultur verwurzelt ist und sich ihrer politischen Konsequenzen oft nicht bewusst ist.

Konservatismus als Lifestyle

Dieses Spektrum macht den Barstool Conservatism schwer greifbar. Er ist keine Partei, keine organisierte Bewegung und schon gar kein ideologisches Konstrukt. Er ist eine Marke, ein Lifestyle, ein Lebensgefühl - und genau darin liegt seine politische Stärke.

Barstool Conservatism ist eine Haltung gegen alles, was nach Regeln und Belehrung klingt. Gegen Gendersternchen, Diversity-Programme und Political Correctness. Im Mittelpunkt steht die verloren geglaubte Freiheit - die Freiheit zu sagen, was man will, und zu tun, was man will, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Dave Portnoy tut genau das. Er ist laut, er ist erfolgreich, er ist unangepasst. Und er ist für viele junge Männer das Symbol dafür, dass man in einer Welt, die man nicht mehr versteht, trotzdem triumphieren kann.

Diese Bewegung spricht eine Generation an, die das Gefühl hat, dass ihre Meinung nicht mehr zählt. Männer, die glauben, in der modernen Gesellschaft auf der Strecke geblieben zu sein, weil sie nicht in das progressive Bild passen. Barstool sagt ihnen: "Du bist okay, so wie du bist".

In den USA hat der Barstool Conservatism längst die politische Bühne betreten. Donald Trump hat diese Dynamik verstanden, bevor sie jemand benennen konnte. Seine Nähe zu Plattformen wie Barstool und seine Auftritte im ebenso erfolgreichen wie umstrittenen Podcast "Joe Rogan Experience" sind kein Zufall. Trump hat sich gezielt dort positioniert, wo sich die Männer tummeln, die CNN und die "New York Times" längst ausgeblendet oder nie in Betracht gezogen haben. Er spricht ihre Sprache, teilt ihre Direktheit und ihre Lust an der Provokation. Trump präsentierte sich nicht als Politiker, sondern als Teil einer Bewegung - erfolgreich, rebellisch, unangepasst.

Während Kamala Harris und andere Demokraten diese Räume lautstark ignorierten, nutzte Trump sie. Mit Erfolg. Trump hat mehr als einen Wahlkampf geführt, er führte eine kulturelle Offensive. Trump wusste: Es geht nicht mehr um Inhalte. Es geht um Haltungen. Um das Gefühl, gegen die da oben zu sein, gegen die Eliten, gegen den Mainstream. Barstool hat die Bühne bereitet, Trump hat sie betreten.

Die Kraft von Humor und Subkultur

Barstool Sports hat den Humor als Waffe perfektioniert. Es ist ein Humor, der provoziert, Grenzen überschreitet, oft verletzt - und gerade deshalb so wirkungsvoll ist. Dieser Humor lädt dazu ein, Teil einer Gemeinschaft zu werden. Und wer nicht mitlacht, gehört nicht dazu. Es ist ein Humor, der signalisiert: "Wir verstehen uns, die anderen sind nicht auf unserer Wellenlänge." In einer Zeit, in der jede Äußerung politisch aufgeladen ist, bietet Barstool ein Ventil - eine Art ironische Parallelwelt, die sich dem Druck der öffentlichen Debatte entzieht und ihn gleichzeitig verstärkt.

Dieser Ansatz ist eng mit der Meme-Kultur des Internets verbunden, die längst den Mainstream erobert hat. Was um 2010 auf Plattformen wie 4chan als subversives Spiel begann, hat sich zu einem mächtigen Kommunikationsinstrument entwickelt. Die Codes dieser Kultur, wie der berüchtigte Frosch "Pepe", sind von unscheinbaren Bildchen zu politischen Symbolen geworden. Ursprünglich als harmloser Troll gedacht, wurde Pepe zur Ikone einer Bewegung, die Ironie als Waffe einsetzt.

Elon Musk, der sich selbst als Verkörperung dieser Meme-Kultur inszeniert, hat dies jüngst mit seinem Profilbild auf X unterstrichen: Pepe in Gladiatorenrüstung, bereit zum Kampf gegen die vermeintliche Übermacht. Die Botschaft ist klar: Der Underdog gegen die Eliten - in Wahrheit mit einem gigantischen technologischen und finanziellen Apparat im Rücken.

Diese Meme-Kultur ist politisch mächtig, weil sie sich einer einfachen Einordnung entzieht. Sie macht sich über alles und jeden lustig, wendet sich gegen jede Form von Ernsthaftigkeit und verleiht ihrem Humor damit eine Aura der Rebellion, des Widerstands. Sie gibt ihren Anhängern das Gefühl, frei zu sein - frei von den Zwängen der politischen Korrektheit, frei von den komplexen Debatten der Moderne. Gleichzeitig erzeugt er einen subtilen Gruppenzwang: Wer nicht mitlacht, wer die Codes nicht versteht, wird automatisch ausgeschlossen.

In diesem Umfeld arbeitet auch Barstool Sports. Es verbindet diese Meme-Kultur mit der Sprache des Alltags, mit der Kultur des Sports und der Inszenierung von Männlichkeit. Die Plattform versteht sich als Gegenpol zu etablierten Diskursen, ohne direkt politisch zu sein. Doch gerade diese indirekte, subversive Haltung macht sie politisch wirksam. Denn sie bietet eine Bühne, auf der sich diejenigen zu Hause fühlen, die sich von der modernen Gesellschaft nicht mehr repräsentiert sehen. Und sie gibt ihnen die Mittel an die Hand, sich zu artikulieren - ironisch, provokant, unverbindlich, aber immer mit klaren Fronten.

Medien spielen das Spiel mit

Die klassischen Medien sind in dieser Dynamik weder neutral noch unbeteiligt. Sie spielen - oft unfreiwillig - eine zentrale Rolle als Verstärker und Multiplikatoren dieser Subkultur. Jedes Mal, wenn traditionelle Medien Barstool Sports oder die Meme-Kultur kritisieren, liefern sie der Bewegung die perfekte Vorlage: die "Moralapostel" gegen die "freien Rebellen". Diese Polarisierung ist Teil des Spiels, das die Medien zu verlieren drohen.

Pepe der Frosch ist ein gutes Beispiel dafür. Was als harmloses Meme begann, wurde durch mediale Skandalisierung zur Ikone einer Bewegung, die sich über die Ablehnung progressiver Werte definiert. Jeder Versuch, Pepe "zurückzuerobern" oder zu entpolitisieren, führte zu einer weiteren Aufladung seines Symbolgehalts - ein perfektes Beispiel dafür, wie mediale Kritik Subkulturen nicht schwächt, sondern stärkt.

Von dieser Dynamik profitiert auch Barstool Sports. Kritische Artikel in großen Medien oder moralische Entrüstung in Talkshows geben der Bewegung, was sie am meisten braucht: Aufmerksamkeit. Sie stärken das Narrativ, dass es sich um eine mutige Gegenbewegung handelt, die den Eliten die Stirn bietet. Auch Elon Musk spielt dieses Spiel sehr geschickt. Mit seinen Provokationen zwingt er die Medien, über ihn zu berichten, während er sich selbst als Außenseiter inszeniert - als Milliardär, der vorgibt, gegen die Mächtigen zu kämpfen.

So schaffen die Medien ungewollt eine Echokammer, in der jede Kritik an Plattformen wie Barstool von deren Anhängern als Bestätigung empfunden wird. Dabei fehlt oft ein tieferes Verständnis für die Mechanismen dieser Subkultur. Die Medien reagieren auf Symptome, ohne die Strukturen dahinter zu analysieren und liefern damit ungewollt Munition für die Narrative von Rebellion und Widerstand. Sie spielen die Rolle des Gegners, den die Bewegung braucht, um ihre Anhänger zu mobilisieren.

Deutschland: Wo Barstool-Ideen Wurzeln schlagen

In Deutschland ist diese Dynamik noch weniger sichtbar, aber sie beginnt sich zu entfalten. Plattformen wie TikTok sind zu einem Zentrum dieser Kultur geworden. Der Algorithmus belohnt einfache Botschaften, klare Positionen und Provokation. Kein Wunder, dass die AfD auf TikTok besonders erfolgreich ist. Ihre Inhalte zielen nicht auf den Diskurs, sondern auf die emotionale Ansprache. Direkt, provokant, oft grenzüberschreitend - genau das, was in einer Plattformkultur funktioniert, die Emotionen über Inhalte stellt.

Die AfD nutzt die Plattform, um vor allem die jungen Männer zu erreichen, die das Gefühl haben, dass ihre Perspektiven in der politischen Debatte nicht mehr vorkommen. Sie kanalisiert deren Wut und Frustration und bietet einfache Antworten, die weder Erklärungen noch Kompromisse erfordern. Die Inszenierung als Anti-Establishment-Bewegung passt perfekt in dieses digitale Umfeld.

Auch die FDP versucht, in diesem Raum Fuß zu fassen, wenn auch auf einem anderen Weg. Ihr Fokus auf Technologie und Fortschritt, ihre Nähe zu Elon Musk und den Krypto-Bros mag verzweifelt wirken, aber spricht potenziell die Männer an, die sich als Macher verstehen: unabhängig, ehrgeizig, skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen. Die FDP versucht in dieser Nische, relevant zu bleiben. Und Elon Musks Hinwendung zur AfD bleibt unter der Betrachtung dieser Entwicklungen fast nur folgerichtig.

Die Ästhetik des Erfolgs: Streamer und digitale Vorbilder

Diese Dynamik zeigt sich auch in der Welt der Streamer. Twitch, Instagram, TikTok - überall inszenieren sich junge Männer vor Luxusautos, mit Glücksspiel-Streams oder teuren Markenklamotten. Hier wird Erfolg nicht nur gefeiert, sondern zur Schau gestellt. Es geht nicht darum, wie man dorthin gekommen ist, sondern, dass man es geschafft hat. Kein Raum für Gemeinschaft oder Verantwortung, nur Status und Sichtbarkeit.

Diese Ästhetik spricht genau diejenigen an, die das Gefühl haben, dass traditionelle Wege zum Erfolg für sie versperrt sind. Sie sehen in dieser Kultur ein Ideal: Erfolg ohne Rechtfertigung, Reichtum ohne Schuld. Es ist die perfekte Bühne für Barstool Conservatism, weil es nicht um Werte geht, sondern um Haltung.

Eine neue Dynamik in der Politik

Was mit einer Pizzabewertung begann, ist längst eine Bewegung, die Politik und Popkultur miteinander verschmilzt. Barstool Conservatism ist keine politische Ideologie, sondern eine kulturelle Kraft, die Narrative und Prioritäten verschiebt. Es ist nicht die AfD, die diese Bewegung erfunden hat, aber sie versteht sie zu nutzen. Es ist nicht die FDP, die sie anführt, aber sie versucht, von ihr zu profitieren.

Diese Bewegung entscheidet vielleicht keine Wahlen, aber sie prägt das politische Klima in bestimmten Wählergruppen. Sie definiert reichweitenstark, wie Politik wahrgenommen wird - nicht mehr als Debatte über Inhalte, sondern als Bühne für Haltungen. Das macht sie relevant. Denn wo keine Inhalte mehr zählen, zählt. Überall dort, wo junge Männer das Gefühl haben, dass ihnen niemand mehr zuhört. Es ist eine Botschaft, die längst auch in Deutschland angekommen ist - auf TikTok, in den Köpfen und in den Narrativen einer Generation, die ihren Platz sucht. Und sie findet ihn nicht in Parteiprogrammen, sondern in Pizzabewertungen.

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