Russlands Präsident Putin inszeniert sich als Siegertyp – doch daran wachsen nach dem Vormarsch der Ukrainer in Russland Zweifel, beobachtet Militärexperte Christian Mölling.
Der Vormarsch ukrainischer Truppen in die russische Region Kursk beschädigt nach Einschätzung des Militärexperten Christian Mölling den weit verbreiteten Glauben an die Stärke von Präsident Wladimir Putin. Mölling sagte am Freitag im stern-Podcast "Die Lage – international": "Das Narrativ, das der Kreml selber sendet, dass der Sieg Russlands unausweichlich ist, wird natürlich gerade komplett zurückgeschlagen." Aus Sicht des Forschungsdirektors der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik kann diese veränderte Wahrnehmung Folgen bis hinein in die ostdeutschen Landtagswahlkämpfe haben. Militärisch dagegen sei der ukrainische Vorstoß weit weniger bedeutsam. Es gehe um einen winzigen Teil des russischen Territoriums. Und auch dieser wird nach Möllings Einschätzung von der Ukraine nur schwer dauerhaft zu kontrollieren sein. Er sagte: "Ich denke, wir werden sehen, dass in zwei oder drei Wochen die Überschriften lauten: Das Blatt wendet sich." Die Ukrainer seien insbesondere auf eine funktionierende Logistik angewiesen, um ihre Truppen jenseits der eigenen Grenze zu versorgen. "Irgendwann droht dieser Faden der Logistiklinien zu reißen", warnte Mölling. "Da wächst ohne russisches Zutun ein Problem für die Ukrainer."
Front im Donbass hat für Putin Vorrang
Nach Einschätzung des Experten hat das russische Regime entschieden, dass es seine militärischen Kräfte nicht aufspalten möchte – was ja ein Ziel der ukrainischen Operation sei. Daher gelte für Putin: "Das Fortführen des Angriffs auf die Ukraine besonders an der Front im Donbass ist wichtiger als der Schutz der eigenen Grenzen und der eigenen Leute." Er sei nicht bereit, von der Offensivoperation abzulassen. Hierfür nehme Putin auch in Kauf, dass er in der Region Kursk Wehrpflichtige einsetzen müsse. "Wenn man nicht auf die Zeitachse guckt, hat Russland natürlich enorme Reserven", sagte Mölling. "Aber die einzigen Reserven, die Russland kurzfristig aktivieren kann, sind zur Zeit offenbar nur noch die Wehrdienstleistenden."
Warnung vor Vergeltungsschlag
Mölling erwartete trotzdem zunächst keine Destabilisierung der russischen Führung von innen heraus. "Putin steht ein so großer Gewaltapparat zur Verfügung, dass er mögliche Proteste erstmal wieder in den Griff kriegen kann", sagte er. Eindringlich warnte er vor einem Vergeltungsschlag Russlands als Antwort auf den Angriff der Ukraine. "Rache ist ein Motiv für dieses System", sagte er. "Ich würde damit rechnen, dass es einen großen Racheakt geben wird." Gerade wenn der Eindruck der Schwäche entstehe, könne das Regime in Moskau versuchen, mit einem besonders brutalen Gegenschlag zu demonstrieren, wozu es fähig ist.