Bei der Forderung nach einer Waffenruhe hat sich Europa laut dem Politologen Mölling von Putin ausmanövrieren lassen. Diesen Fehler müsse man künftig vermeiden.
Friedrich Merz und seine europäischen Verbündeten sind bei ihrem Waffenruhe-Ultimatum nach Ansicht des Politologen Christian Mölling von Russland ausgetrickst worden.
Kremlchef Wladimir Putin hatte auf ein ihm gestelltes Ultimatum für eine 30-tägige Waffenruhe zunächst nicht reagiert und dann ein Treffen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul gefordert. Dieses hat heute begonnen, aber ohne Putin, der sich gegen eine Teilnahme entschied.
Mölling: "Das fällt einem jetzt auf die Füße"
"Das ist klassische russische Verhandlungstaktik", sagt Christian Mölling im stern-Podcast "Die Lage – International". "Weil es bedeutet, dass man nicht die laufenden Kampfhandlungen unterbrechen muss und parallel so tut, als ob man Diplomatie macht und auf der anderen Seite weiter Krieg führt."
Vergangenes Wochenende war Bundeskanzler Friedrich Merz gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie dem britischen Premier Keir Starmer und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk nach Kiew gereist. Dort hatte das Quartett Putin aufgefordert, eine 30-tägige Waffenruhe zu veranlassen, damit Gespräche über eine Lösung des Konflikts stattfinden könnten. Andernfalls würden Russland weitere Sanktionen drohen. Die Frist für die Umsetzung war in der Nacht zu Dienstag verstrichen, ohne dass Moskau die Kampfhandlungen ausgesetzt oder verringert hätte.
"Offensichtlich hat man die Möglichkeit, dass das nicht funktioniert und was wir dann machen, überhaupt nicht durchdacht und das fällt einem jetzt auf die Füße", analysiert Experte Mölling das Verhalten der europäischen Seite.
Was der EU für den Erfolg fehlt
Das ganze Vorgehen demonstriere auch ein weiteres Dilemma der Europäer. "Es zeigt, wie wichtig Zeit, Schnelligkeit, ist. Wenn die anderen schneller handeln als ich selber, werde ich mit dem, was ich gefordert habe, komplett ausmanövriert", so Mölling.
Die Europäische Union brauche viel Zeit, um sich auf eine neue politische Linie zu einigen: "Das ist ein riesiges Problem." Die Alternative, mit einer "Koalition der Willingen" eine entschiedene Russlandstrategie zu fahren, bei der man auch auf russische Volten schnell und entschlossen reagieren könne, habe einen großen Nachteil. Sie unterminiere "gleichzeitig den Konsensmechanismus innerhalb der Europäischen Union", sagt Mölling.
Dieser aber sei das Wesen der EU, Dinge im Einvernehmen zu beschließen. Ein unabgestimmtes Vorgehen einiger Weniger "wäre nicht mehr einfach legitimierbar". "Das ist ein Riesendilemma."
"Sonst wird der Schaden noch größer"
Für den nächsten europäischen Vorstoß müsse aber vorher klar sein, wie man reagiere, wenn Russland nicht einlenke. "Wenn man das noch mal so macht, wird der Schaden nur noch größer werden für die Glaubwürdigkeit der Europäer", warnt Mölling.
Von den Gesprächen in Istanbul verspricht er sich nicht mehr viel. "Das sind Leute, die keinen Blankoscheck haben, irgendwas zu verhandeln", sagte er über die russische Delegation, die von Wladimir Medinski, einem Putin-Vertrauten, Schriftsteller und früheren Kulturminister angeführt wird.
Istanbul sei, so Mölling, "ein Dämpfer für all die, die immer noch hoffen, dass es eine Haurucklösung geben würde".