Der Kanzler spielt peinlich auf Zeit und verbeißt sich an Christian Lindner als Sündenbock. Das schadet seinen eigenen Wahlchancen so gewaltig, dass in der SPD jetzt Rufe nach einem sofortigen Kandidatenwechsel laut werden. Wenn Scholz so weitermacht, könnte es am Ende sogar eine Koalitionsüberraschung geben.
Deutschlands Ampel-Regierung ist krachend gescheitert und Geschichte. Doch der Ampel-Kanzler Olaf Scholz klammert sich weiter an sein Amt. Er will noch über Monate hinweg freihändig weiter regieren, obwohl Deutschland damit politisch blockiert wäre. Sein Ziel ist ein Neuwahltermin nach dem 2. März. Warum? Weil am 2. März in Hamburg Bürgerschaftswahlen stattfinden und sich Scholz davon ein relativ gutes Ergebnis für die SPD in seiner Heimatstadt und SPD-Hochburg erhofft. Dies könnte dann im Finale des Wahlkampfs seiner Wahl Rückenwind verschaffen. Das Spiel auf Zeit ist ein durchsichtiges, wahltaktisches Manöver, um die Kanzlermacht trotz katastrophaler Umfragewerte doch noch irgendwie zu retten.
Mit immer neuen, beinahe grotesken Argumenten (von 'Wir haben noch viel vor' über 'Deutschland soll geruhsam zur Wahl schreiten' und 'Die Deutschen wollen keinen Wahlkampf an Weihnachten' bis zum erfundenen Papiermangel) spielt das Scholz-Team auf Zeit. Und so wird auch an diesem Mittwoch, wenn der Kanzler im Bundestag auftritt, die fällige Vertrauensfrage ausbleiben.
Dass Deutschland in seiner größten Regierungskrise seit Jahrzehnten nun den taktischen Tricksereien eines gescheiterten Kanzlers ausgeliefert ist, beschädigt die politische Kultur der Republik. Im Ausland erscheinen bereits belustigte, hämische bis fassungslose Kommentare. Polen bietet dem überforderten Deutschland augenzwinkernd Hilfe bei Papierlieferungen an. Das Ansehen unserer Demokratie - ohnedies von rechten und linken Populisten unter Attacke - nimmt dadurch unnötig Schaden.
In einer solchen Lage wäre eigentlich ein Machtwort des Bundespräsidenten fällig. Steinmeier hat bereits einen maßregelnden Satz gesagt, den man als Kritik an Scholz verstehen muss: "Es ist nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel." Da das Kanzleramt sich verrannt hat, wird nun in Schloss Bellevue über einen Kompromiss-Wahltermin im Februar gerungen, als sei das eine Raketenwissenschaft.
Scholz macht Merz stärker
Die unwürdige Zeitschinderei des Kanzlers hat einen ungewollten Nebeneffekt. Sie verstärkt die Wechselstimmung in Deutschland und die Sehnsucht nach einer neuen, endlich seriösen Regierung. Die gescheiterte Ampel findet im schmutzigen Scheidungskrieg und den Termin-Tricksereien ihr passendes Finale. Doch je peinlicher Scholz seinen Untergang hinauszögern will, desto stärker macht er Friedrich Merz. Der Kanzlerkandidat der Union wirkt im schrillen Flackerlicht der Ampel plötzlich wie die Ausgeburt des Seriösen. Er wächst in diesen Chaos-Tagen zum gefühlten nächsten Bundeskanzler, schon weil die Logik des "Last Man Standing" weiträumig um sich greift.
Die Union kommt in den neuen Umfragen auf starke Werte von 32 Prozent (Forsa) über 34 Prozent (Infratest-Dimap) bis 36 Prozent (Allensbach). In allen Umfragen ist die Merz-Partei jetzt größer als alle Ampel-Parteien zusammengenommen. Dies verstärkt das kollektive Bewusstsein, dass neben und nach der Chaos-Ampel noch eine solide Größe der bürgerlichen Mitte darauf wartet, die Republik wieder in Ordnung zu bringen.
Für die CDU ist daher das Verzögerungs-Spektakel um den Neuwahltermin ein Geschenk - es vergrößert die Sehnsucht nach dem sicheren Hafen, in den die Republik nun wieder steuern müsse. Das Narrativ vom "sicheren Hafen" ist seit jeher Markenkern der Union, und also können die Wahlkampfstrategen im Adenauer-Haus ihr Glück kaum fassen, dass Scholz ihnen völlig ohne jede inhaltliche Diskussion die verunsicherten Wähler zutreibt.
Auch bei der FDP reibt man sich insgeheim die Hände, dass Scholz sich derart laut und kantig an ihr abarbeitet und sie zum Ampel-Sündenbock stempeln will. Die FDP hatte eigentlich das enorme Risiko, im Orkus der Enttäuschung bei ihrer Wählerschaft einfach in Vergessenheit zu geraten. Doch mit den Dauer-Attacken von Scholz und dem SPD-Milieu wächst bei ihrer eigenen Klientel ein Beschützerreflex. Scholz bringt die FDP zurück ins Gespräch und macht sie in ihren Mittelstands-Kreisen erst zum sichtbaren Erlöser vom Ampel-Chaos.
So wird die FDP nun plötzlich von einer Welle der Parteieintritte überrascht. Rund 1300 neue Mitglieder habe es bereits gegeben, meldet die FDP-Zentrale. "Was Vergleichbares habe ich noch nicht gesehen", frohlockt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Wer sich im FDP-Milieu umhört, kann den neuen Erlöser-Heldenstatus tatsächlich spüren. Fazit: Die FDP-Chancen, es wieder über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen, steigen mit jeder Attacke von Scholz weiter.
Gute Chancen auf Zweier-Bündnis
Damit eröffnet Scholz der Republik ungewollt völlig neue Koalitionsperspektiven. Bislang schien eine neuerliche Drei-Parteien-Koalition kaum vermeidlich. Doch mit dem Höhenflug der Union wird es täglich wahrscheinlicher, dass es dieses Mal auch für zwei Parteien reichen könnte. Da ungewöhnlich viele Wähler sich Randparteien zuwenden, dürften nach jetzigem Umfragestand schon 43 Prozent reichen für eine neue Koalitionsregierung.
Schwarz-Grün ist arithmetisch damit greifbar nah, zumal viele von Scholz frustrierte SPD-Wähler sich den Grünen zuwenden könnten. Und wenn das kleine Comeback der FDP sich tatsächlich weiter entfalten sollte, warum sollte es am Ende nicht sogar für Schwarz-Gelb wieder reichen? 36 Prozent Unionsprozente plus 7 Prozent Liberale gäben eine Überraschungsmehrheit. Schwarze wie Gelbe hoffen daher insgeheim, dass Scholz noch eine Weile weiter seinen Untergang herbeitrickst und ihnen das Unmögliche möglich macht.
In der SPD wissen sie, dass der Kanzler seine Wiederwahlchancen derzeit drastisch verkleinert. Erste Abgeordnete - ausgerechnet aus der Hamburger Heimatstadt von Scholz - fordern offen, was auch Parteigrößen hinter vorgehaltener Hand sagen: Ein sofortiger Wechsel der Kanzlerkandidatur hin zu Boris Pistorius oder Lars Klingbeil wäre dringend geboten. Doch Olaf Scholz macht nicht den Eindruck, dass er sich aus dem Kanzleramt fortbewegen will. Er kämpft inzwischen sogar um einzelne Tage des Verbleibs und hält sich für "cooler" als Friedrich Merz.