Die SPD überschlägt sich in Attacken auf Christian Lindner und die FDP. Das Wahlkampfgetöse wirkt ziemlich scheinheilig. In Wahrheit zeigt der schmutzige Scheidungskrieg, dass die Republik Lindner dankbar sein muss, Deutschland endlich vom Ampel-Desaster befreit zu haben.
Hat Olaf Scholz Christian Lindner rüde rausgeschmissen? Oder war der Rauschwurf von der FDP bewusst provoziert, mit Strategiepapieren kühl vorbereitet? Beides stimmt. Dass die SPD daraus nun ein Wahlkampfspektakel mit Sündenbock-Geißelung und Verrats-Empörung inszeniert, ist einigermaßen peinlich. Die Sozialdemokraten ereifern sich über Lindner und die FDP in einem gespielten Wutausbruch aus reiner Wahlkampfverzweiflung. Die SPD-Umfragen sind desaströs, der Kanzler und Kandidat miserabel angesehen, da tröstet man sich - wie bei einer schlechten Scheidung - mit emotionalen Attacken auf den einstigen Partner. Weit tragen wird das nicht. Denn dieser letzte Fremdschäm-Akt im Scheidungskrieg der Ampel beweist ultimativ, wie überfällig das Ende dieser Regierung ist.
Wer wen wann in dieser gescheiterten Koalition wie genau hintergangen hat, ist jenseits der Parteipolitik völlig egal. Denn diese Regierung bestand wesentlich aus wechselseitigem Hintergehen. Aus Sicht des normalen Staatsbürgers kann man nur erleichtert sein, dass diese Koalition endlich geplatzt ist. Die Ampel-Regierung war die mit Abstand schlechteste Regierung, die Deutschland seit 1949 gehabt hat. Sie hat Deutschland erheblich geschwächt und sich in einem dreijährigen Dauerzwist selbst gequält. Und zwar allseitig.
Scholz, der Abkanzler
Wer in so einer Lage der FDP das Verfassen von Ausstiegs-Szenarien und Strategiepapieren vorwirft, der ist entweder naiv oder scheinheilig. In allen Parteien wurde in den letzten Monaten taktiert und besprochen, wie das Finale des Ampel-Desasters zu gestalten sei. Wer aus der Koalition rauswill, braucht selbstverständlich eine Strategie. Und natürlich darf man auch als Grüner, Sozialdemokrat oder Liberaler dabei kantige Begriffe wie "offene Feldschlacht" verwenden. Die Sprache der Politprofis strotzt nur so vor militanten Metaphern. Hat nicht der Kanzler erst im "Eifer des Gefechts", geradezu "wie aus der Pistole geschossen" "etwas in Angriff genommen" und die "Bazooka" (Merke: eine Panzerabwehrrakete!) mit "Wumms" und "Doppel-Wumms" in die Tagespolitik eingeführt? Er wollte schließlich "für alle Fälle gerüstet sein".
Die Kritik an der "Feldschlacht"-Metapher der FDP grenzt daher ans Lächerliche. Schwerer wiegt da schon, dass Olaf Scholz seinen Ex-Finanzminister hemmungslos persönlich angreift und ihn als Verräter und Saboteur, als kleinkariert, egoistisch und verantwortungslos brandmarkt. Angela Merkel hat das als würdeloses Männer-Gehabe kritisiert. Jedenfalls hat sich der Kanzler für den Moment zum Abkanzler degradiert.
Lindner hatte den Mut, der Habeck und Scholz fehlte
Wenn man den Blick aus dem parteipolitischen Wahlkampfgetümmel einmal erhebt, dann bleibt das Faktum: Die Ampel ist spektakulär gescheitert, und zwar an sich selbst. Christian Lindner hat mit dieser regierungsunfähigen Regierung Schluss gemacht. Dankenswerterweise ist er der Losung Winston Churchills gefolgt: "Wenn du durch die Hölle gehst, geh besser weiter!" Er hat dabei einiges Risiko auf sich genommen, denn die FDP war mit dieser Ampel bereits an die Fünf-Prozent-Marke hinuntergetaumelt. Sie hat einen hohen Preis bezahlt. Lindner hat seine Karriere und die Existenz seiner Partei in die Waagschale seiner Entscheidung geworfen.
Olaf Scholz oder Robert Habeck haben diesen Mut nicht aufgebracht. Auch sie hätten, um weiteren Schaden von der Nation abzuwenden, längst die Notbremse einer nun entgleisten Regierung ziehen müssen. Sie aber wollten sich bis in den kommenden Herbst durchlavieren. Aus einer staatsbürgerlichen Perspektive ist dieses Lavieren verwerflicher als das Taktieren der FDP um die Ausstiegs-Modalitäten.
Der Druck auf die FDP als Chance
Die FDP wird in diesem Wahlkampf ums Überleben kämpfen. Wahrscheinlich aber kann ihr die jetzige Scheidungsdebatte und das groteske Überdrehen der SPD dabei eher nützen als schaden. Wolfgang Kubicki hat als Erster erkannt, dass die Liberalen das Knallfinale der Ampel nun offensiv und erleichtert kommentieren können, denn das tut die Mehrheit der Bevölkerung auch. Er schreibt: "Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte das Ende dieser Koalition, deren Gewürge unserer Wirtschaft und unserem Ansehen massiv geschadet hat. Ich wollte einen Kanzler nicht mehr mittragen, der sich selbst für den Größten hält, aber nichts mehr auf die Kette kriegt …"
Die Lage erinnert verblüffend an die Regierungskrise von 1982, als die FDP schon einmal eine Koalition mit der SPD nach Drehbuch gezielt hat platzen lassen. Auch damals überschlugen sich die Sozialdemokraten mit Vorwürfen gegen die "Verräter" und die "Treulosigkeit" von Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. Der damalige Kanzler Helmut Schmidt wetterte gegen die "Machenschaften" der Liberalen, ihr "eigensüchtiges politisches Handeln" und einen "schäbig" inszenierten Koalitionsbruch. Regierungssprecher Klaus Bölling schimpfte Genscher gar einen "Quisling". Das war ein moralischer Tiefschlag besonderer Güte: Der norwegische Politiker Vidkun Quisling kollaborierte mit den Nationalsozialisten und wurde 1945 hingerichtet.
Noch einmal wie 1982?
Doch Lambsdorff behielt im "D-Day"-Getümmel des Jahres 1982 die Ruhe. Dem "Spiegel" erklärte er (auch mit Militärjargon): "Die Nebelgranaten, die abgeschossen worden sind, ganze Stalinorgeln, um das Volk zu betäuben und zu verdummen, das Gerede von Treulosigkeit und Verrat und finsteren Machenschaften und Verschwörung - das stört natürlich. Aber dieser Rauch verzieht sich vom Schlachtfeld, das sage ich Ihnen."
Lambsdorff sollte recht behalten. Die von Sozialdemokraten schwer attackierte und publizistisch niedergeprügelte FDP bekam damals bei den vorgezogenen Neuwahlen doch noch 7 Prozent und öffnete damit die Tür zur Kanzlerschaft Helmut Kohls. Genscher stieg zum internationalen Großdiplomaten auf. Für die SPD hingegen begann eine sehr lange Zeit in der Opposition.