5 days ago

Parteitag in Berlin: Machen die Grünen jetzt wieder denselben Fehler?



Auf dem Parteitag der Grünen in Berlin sollte es eigentlich um das Wahlprogramm gehen. Doch dann ging es vor allem um Friedrich Merz.

"Er wurde nur zwei Jahre alt." Mit diesen Worten eröffnet der Vorsitzende der Grünen, Felix Banaszak, am Sonntag den Parteitag in Berlin. "Ich kenne seinen Namen nicht." Er wisse nicht, ob es ein marokkanischer Name sei, oder ein deutscher. "Aber was ich weiß, ist, dass der Schmerz unermesslich ist."

Was vor vier Tagen in Aschaffenburg geschah, wo ein afghanischer Asylbewerber mit einem Messer auf eine Gruppe Kindergartenkinder losging, verändert nicht nur etwas für den grünen Parteitag, bei dem es am Sonntag eigentlich um die Diskussion und Verabschiedung des Wahlprogramms gehen soll. Nach Ansicht vieler Grüner droht die Reaktion der Union auf Aschaffenburg auch etwas grundsätzlich zu verändern in diesem Land. 

Die Autoritären sind auf dem Vormarsch, die Demokratie steht auf dem Spiel, das ist eine zentrale Botschaft der zahlreichen Redebeiträge auf dem grünen Parteitag. Nicht nur, weil Trump nun wieder Präsident in den USA ist und Putin nicht davon ablässt, sich ein Nachbarland einverleiben zu wollen. Vor allem, weil die Union in der Migrationspolitik nun einen harten, kompromisslosen Kurs fährt und offenbar Mehrheiten mit der AfD in Kauf nehmen könnte. Das sorgt bei den Grünen in den Berliner Messehallen für Irritation bis Empörung.

Grünen-Chef: "Herr Merz, stellen Sie klar, wo die Union steht"

Friedrich Merz will nach Aschaffenburg offensichtlich Härte zeigen und fordert weitreichende Änderungen in der Migrationspolitik. Die Grenzen sollen dauerhaft kontrolliert werden, auch Asylbewerber sollen nicht mehr einreisen dürfen und Ausreisepflichtige sollen in Haft genommen werden. Einen entsprechenden Antrag mit den Maßnahmen will er in der kommenden Woche in den Bundestag einbringen – "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt", sagte Merz. Bricht hier die Brandmauer zu den extremen Rechten? Darüber diskutierte das Land in den vergangenen Tagen.

Auch bei den Grünen geht es darum, was genau Merz mit seinem Vorstoß bezweckt, was er zu bedeuten hat: Ist das "fast schon Hysterie", "mangelnde Impulskontrolle" oder "Kalkül"? Die Rednerinnen und Redner sind sich da nicht ganz sicher. Der Schaden jedenfalls sei angerichtet, sagt Parteichef Banaszak. Er fordert den Oppositionsführer auf: "Herr Merz, stellen Sie klar, wo Sie, wo die Union steht." Die Union dürfe nicht der Versuchung erliegen, den Weg der FPÖ in Österreich oder der Republikaner in den USA zu gehen. 

"Nichts daran ist harmlos", stellt auch der Kanzlerkandidat Robert Habeck fest. Man sehe in Europa, "wie Dinge ins Rutschen geraten". Die Demokraten müssten deshalb "einigungsfähig" sein, es dürfe keine Ansagen geben nach dem Motto: "Friss oder stirb – stimmt mir zu, oder ich stimme mit Rechtsradikalen", sagt Habeck. 

Wiederholen die Grünen jetzt einen Fehler?

Es sind deutliche Ermahnungen an den politischen Mitbewerber – zur Besinnung zu kommen, diesen Schritt nicht zu tun. Aber die Grünen wirken dabei seltsam hilflos, denn offenbleibt, was die Grünen dem eigentlich entgegensetzen wollen, abgesehen von Appellen zur Differenzierung und von Aufrufen zur Geschlossenheit der Gesellschaft. 

Kommentar Aschaffenburg 18:00

Es könnte sein, dass die Grünen in diesem Migrationswahlkampf, zu dem er nun plötzlich wurde, einen Fehler der Vergangenheit wiederholen: Sie sind zurück bei einem Ton, der die Gefahr des Autoritären, die Gefährdung der Demokratie nach vorne stellt. Es erinnert an die Kampagne vor der Wahl zum Europaparlament 2024, als die Verhinderung der AfD ein zentrales Argument für die Wahl der Grünen sein sollte. 

Die interne Aufarbeitung im Nachgang der Wahlniederlage hatte eigentlich ergeben, dass das Einstehen gegen das "Böse" nicht ausreiche, um für eine Wahl der Grünen zu werben. Es müsse klar werden, wofür genau man selbst eigentlich stehe. Doch davon ist in den Reden der Grünen an diesem Sonntag wenig zu hören. 

Schwarz-Grün wird nicht ausgeschlossen

Immerhin, ganz sicher, wie böse die Union wirklich ist, was hinter dem jüngsten Manöver steckt, ist man sich noch nicht: Man müsse fragen, ob es "impulsives Rausplappern" gewesen sei, meint Habeck. "Das wäre schlecht, aber es ist wieder reinzuholen." Es gebe schließlich niemanden, der keine Fehler mache. "Wenn man das korrigieren will, dann aber schnell."

Kurz & Schmerzlos: Habeck 0825

Der Arm der Grünen zur Union bleibt also ausgestreckt, trotz allem. Eine Koalition mit der Union nach der Wahl will hier niemand ausschließen. Den Grünen bleibt auch nicht viel anderes übrig. Schwarz-grün ist ihre derzeit einzig realistische Machtoption. Und obwohl die Ampel krachend gescheitert ist: Weiterhin regieren, das wollen sie schon.

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