1 month ago

Ost-Politiker: Warum es keinen Kniefall vor dem Kriegsherrn Putin geben darf



Wer sich vor den imperialen Bestrebungen Russlands in den Staub wirft, gibt nicht nur die Ukraine auf. Er setzt auch die Grundlagen unserer Freiheit und unseres Wohlstands auf Spiel.

Disclaimer Capital

In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschien zum Tag der Deutschen Einheit ein Kommentar dreier ostdeutscher Politiker. Ihr Thema ist nicht etwa das geeinte Deutschland – sondern Russland. Die beiden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD) sowie der Möchtegern-Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) winden sich dabei in einem staatstragenden Ton durch einen Aufruf, der von Bekenntnissen zu EU, NATO und einer "regelbasierten internationalen Ordnung" durchzogen ist.

Im Kern aber ist den Dreien daran gelegen, dass mit dem Widerstand und der Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Aggressor endlich Schluss sein soll. "Es geht darum, einen Waffenstillstand zu erreichen und der Ukraine belastbare Sicherheitsgarantien zu bieten", heißt es in dem Text. Deutschland und die EU hätten den Weg zu Verhandlungen "zu unentschlossen" verfolgt.

Bewerbungsschreiben für Wagenknecht

Nun ist der Text einerseits natürlich als Bewerbungsschreiben für eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zu verstehen, dessen Namenspatronin am gleichen Tag in Berlin gegen westliche Hilfe für die Ukraine und die amerikanische Schutzmacht in Europa polterte. Die Instant-Partei der DDR-Nostalgikerin Wagenknecht spielt in den Bundesländern der drei Kommentarschreiber eine entscheidende Rolle bei der Koalitionsbildung. Und sie hat ihre Kooperation davon abhängig gemacht, dass sich die künftigen Landesregierungen gegen Ukraine-Hilfe und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland aussprechen (was gar nicht in deren Kompetenz fällt). Es wird interessant sein zu sehen, ob Wagenknecht dieser zur Hälfte ausgeführte Kniefall ausreicht.

Allerdings verstecken sich in dem Gastbeitrag der drei Politiker Formulierungen, die zeigen, dass es hier nicht nur um Opportunismus geht, er ist in Teilen von echten Überzeugungen getragen. So wird etwas kryptisch darauf hingewiesen, die "wirtschaftliche Stärke" Deutschlands und Europas könne ein Hebel für die Verhandlungen mit Russland sein – was wohl am ehesten so zu verstehen ist, dass man dem Kreml eine Lockerung der ökonomischen Sanktionen in Aussicht stellen solle. Dass die USA und Europa die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland heruntergefahren haben, ist vielen im Osten schon seit langem ein Dorn im Auge.

Als der Wodka noch kreiste

Sie sind dabei bei weitem nicht allein: Auch unter Westdeutschen in der SPD, in der sogenannten Friedensbewegung, unter Berliner Medienunternehmern und natürlich in der in Teilen rechtsextremistischen AfD hält man es für falsch oder unnötig, Russland die Stirn zu bieten. Sowohl mit Waffen als auch mit Sanktionen. Die Stimmen, die dafür plädieren, die Ukraine nicht mehr zu unterstützen, werden seit Monaten lauter und zahlreicher. Es ist ja auch einfach, in warmen Worten für "Frieden" zu plädieren, wenn man merkt, dass man damit verängstigte Wähler abholen kann. Es war doch so schön gemütlich, als das Gas noch strömte, die Deals noch flutschten und der Wodka noch kreiste.

Hier aber zeigt sich der grundlegende Denkfehler, der der gesamten Waffenstillstandsdebatte zugrunde liegt: Eine diplomatische Lösung, Verhandlungen, Friedensgespräche setzen voraus, dass die andere Seite auch nur einen Funken Interesse daran hat. Dass es grundsätzlich eine gemeinsame Basis gibt.

Davon aber ist nichts zu sehen. Kaum war Anfang Oktober durchgedrungen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz ein Telefonat mit Wladimir Putin erwäge, ließ Moskau verlauten, man sehe dafür "keine gemeinsamen Themen". Eine volle Breitseite des Kreml-Sprechers. Während in den USA und Europa Diplomatie und Verhandlungen gefordert werden und sich die Gesellschaften in dieser Frage zerlegen, sitzt Putin einfach da und führt weiter einen mörderischen Krieg. Im Osten der Ukraine, mit Raketen auf Kiew und mit Terror gegen die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur. Aus den Äußerungen, die aus Moskau kommen, dringen ein ungebremster Imperialismus, Zerstörungswille und die Entschlossenheit, die Ukraine zu unterwerfen – und danach auch noch mehr. "Regelbasiert" ist hier nichts.

Russland verletzt alle Verträge

Der Kommentar der drei Politiker liefert dafür ein anschauliches Beispiel. Kretschmer, Woidke und Voigt plädieren für Verhandlungen "im Geist des Budapester Memorandums". Dieses Abkommen von 1994 sah vor, dass die Ukraine ihre aus Sowjetbeständen verbliebenen Atomwaffen abgab. Im Gegenzug erhielt das Land Sicherheitsgarantien und die Zusage, seine Souveränität werde geachtet – auch von Russland. Spätestens 2022, aber eigentlich schon 2014 mit der russischen Annexion der Krim zeigte sich, dass dieses Dokument das Papier nicht wert war, auf dem es gedruckt wurde. Der Kreml hat das Memorandum ebenso verletzt wie alle anderen von ihm unterschriebenen Verträge, die der Ukraine und anderen Staaten die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen garantieren.

Geste gegenüber BSW - Woidke, Kretschmer und Voigt fordern Ukraine-Verhandlungen 7:41

Es ist der entscheidende Grund, weshalb Polen, Tschechien, Balten und andere so dringend in die NATO wollten: Es war der einzige Weg, einen halbwegs verlässlichen Schutz gegenüber einer russischen Aggression zu bekommen. Anders als von den Wagenknechten behauptet ging es nie um einen Willen der NATO zur "Ausdehnung" und schon gar nicht um Drohgebärden gegenüber Moskau, sondern um die Furcht der Ost- und Mitteleuropäer vor dem russischen Imperialismus. Und wie sich gezeigt hat, war diese Furcht vollauf berechtigt.

Ohne Verteidigung geht es nicht

Dieser Aggression etwas entgegenzusetzen und dabei standhaft zu bleiben, ist die Grundvoraussetzung für die Art zu leben, an die wir uns in Europa gewöhnen durften. Es ist auch die Grundlage für die wirtschaftliche Prosperität, die Brandenburg, Sachsen und Thüringen in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben. Das Wachstum, das Wohlergehen und die Freiheit, die wir genießen, funktionieren nur in Kombination mit der Bereitschaft, sie auch zu verteidigen, wenn es nicht anders geht.

Es ist schwer, das so zu akzeptieren – und es ist sogar verständlich, wenn im jahrzehntelangen Frieden aufgewachsene Nachkriegsdeutsche damit ringen: Aber das heutige Russland sieht sich nicht als Partner einer europäischen Friedensordnung unter demokratischen Staaten. Es sieht sich als deren Abrissbirne, und zwar mit allen Mitteln. Russland führt Krieg in der Ukraine. Es hat seine Gaslieferungen schon vor der aktuellen Phase des Angriffskrieges heruntergefahren, um Europa unter Druck zu setzen.

Russland hat syrische Städte ohne jede Rücksicht bombardiert und damit überhaupt erst zu der Flüchtlingswelle beigetragen, von der sich die AfD bis heute nährt. Russland hat mit Unterstützung des belorussischen Vasallen eine Flüchtlingskrise an der polnischen Grenze inszeniert – auch das noch vor dem jetzigen Krieg – um Unsicherheit in den wichtigen EU-Staat zu tragen.

Russland kooperiert mit allen, die Demokratie und Freiheit ablehnen: mit dem iranischen Regime, mit Nordkorea, mit China, mit Venezuela, mit Links- und Rechtsextremisten in Europa und den USA. In russischen Schulen werden Kinder zum Hass auf den Westen und seine Werte erzogen und mit Lügen über zentrale Teile europäischen Geschichte gefüttert.

Dieses Land ist im Moment kein Teil der Lösung, sondern Ursache sehr vieler Probleme. Man kann es, so bedauerlich das ist, über Jahre hinaus nur als Gegner begreifen. Natürlich ist klar: Auch mit einem Gegner muss man irgendwann einmal verhandeln. Aber nicht aus einer Position des Kniefalls heraus. Sondern aus einer Lage, in der dieser Gegner sich selbst dazu gezwungen sieht.

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