Olaf Scholz kommt seinem Kontrahenten Friedrich Merz entgegen: Er will die Vertrauensfrage vielleicht noch in diesem Jahr stellen. Damit gibt er seinen letzten Trumpf aus der Hand.
Mit seiner Rede am Mittwoch, in der Kanzler Olaf Scholz seinen entlassenen Finanzminister Christian Lindner "kleinkariert", "ideologisch" und "egoistisch" nannte, zeigte der Kanzler: Er kann angreifen. Mit seinem Auftritt bei "Caren Miosga" am Sonntagabend zeigt er: Ohne Teleprompter kann er es nicht.
Eigentlich hätte Olaf Scholz keine Zeit zu verlieren. Denn Umfragen zufolge würden aktuell doppelt so viele Wähler ihre Stimme der CDU geben wie Scholz' SPD. Zur besten Sendezeit, gleich nach dem "Tatort", hätte Scholz nun klarmachen können, warum er weiterhin der richtige Kanzler ist – und nicht CDU-Chef Friedrich Merz. Doch über den sagt er nur mit einem sanften Lächeln: Es gebe eben Unterschiede in Charakter und Temperament. "Ich finde mich etwas cooler, was Staatsangelegenheiten geht, um es mal höflich zu sagen." Nanu, ist hier noch gar kein Wahlkampf?
Friedrich Merz gönnt Olaf Scholz keine Erfolge mehr
Scholz scheint den Frontalangriff auf seinen ärgsten Kontrahenten zu scheuen. In seiner Rede zum Ampel-Aus am Mittwochabend schlug der Kanzler der CDU gar vor, bis zu einem von ihm vorgeschlagenen Wahltermin im März noch gemeinsam "Entscheidungen zu treffen, die unser Land jetzt braucht."
Doch Merz zeigt bisher kein Interesse, dem scheidenden Kanzler auf den letzten Metern noch gesetzgeberische Erfolge zu gönnen. Im Interview mit dem stern fordert er Olaf Scholz auf, schon am kommenden Mittwoch die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen und so den Weg für Neuwahlen freizumachen. Auf dem internationalen Parkett sei Scholz ohnehin schon eine "lame duck": Wer im eigenen Land keine Mehrheit habe, werde auch von Partnern nicht ernstgenommen, argumentiert der CDU-Chef.
Bei Miosga schießt Scholz nicht etwa zurück – sondern geht auf Merz zu. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich werde sich mit dem CDU-Kanzlerkandidaten auf ein Datum einigen. "Wenn Rolf Mützenich und Friedrich Merz sagen, dann wollen wir Neuwahlen haben, dann wird der Kanzler es möglich machen", sagt Scholz. Und: "Noch vor Weihnachten die Vertrauensfrage zu stellen, wäre für mich überhaupt kein Problem." Er klebe schließlich nicht an seinem Amt.
Und dann geht Scholz sogar noch weiter. Er betont: Wann er die Vertrauensfrage stelle, hänge nicht von der Zustimmung der Unionsfraktion zu den letzten Projekten seiner Kanzlerschaft ab. Damit gibt Scholz seinen letzten Trumpf aus der Hand. Denn bisher war noch ein Deal nach folgendem Schema denkbar: Scholz kommt Merz' Wunsch nach einem früheren Wahltermin nach, dafür besorgt Merz dem Kanzler die nötigen Stimmen für die Umsetzung einiger ausstehender SPD-Herzensprojekte:
- Entlastung der Steuerzahler und Erhöhung des Kindergeldes: "Es wäre doch schön, wenn das noch kommt", sagt Scholz bei Miosga
- Schutz des Bundesverfassungsgericht "vor den Feinden der Demokratie"
- Anhebung der Renten durch ein umfassendes Rentenpaket
Bei Miosga räumt Scholz nun ein, dass die Union dem Rentenpaket aus dem SPD-Sozialministerium wohl kaum zustimmen werde. Und auch bei den anderen Vorhaben ist noch vollkommen offen, ob Kontrahent Merz mitspielt. Dem stern sagt er: "Darüber können wir sprechen, sobald Olaf Scholz im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage gestellt hat." Jetzt stellt Friedrich Merz die Bedingungen.
Scholz glaubt noch immer, dass er die Wahl gewinnen kann
Natürlich will Merz verhindern, dass Scholz noch schnell teure Wahlkampfgeschenke an Rentner und Familien verteilen kann. Selbst Vizekanzler Robert Habeck distanzierte sich zuletzt von den Vorhaben: Es dürfe jetzt nicht um die "Umsetzung von Lieblingsprojekten" gehen, sagte er.
07: Welche Projekte Scholz bis Jahresende noch durchbringen will - cfa46ea874cb74dd
Selten stand Merz CDU seit der letzten Wahl in den Umfragen so gut da wie jetzt – die Kanzlerschaft muss Friedrich Merz zum Greifen nahe vorkommen. Auch deshalb pocht Merz auf einen baldigen Wahltermin. Er dürfte nicht vergessen haben, dass Scholz vor der vergangenen Wahl eine spektakuläre Aufholjagd gelang. Darauf hofft der Kanzler auch dieses Mal.
Woher er denn den Glauben nehme, 17 Prozentpunkte Rückstand noch aufholen zu können, will Miosga am Ende noch wissen. Scholz sagt: "Es ist der selbe Glaube, den ich auch vor der letzten Bundestagswahl hatte." Damals habe sich gezeigt: Ein Abstand wie heute sei eine "sehr aufholbare Größenordnung". Ob das wohl auch ohne harte Worte über seinen Konkurrenten Friedrich Merz zu schaffen ist?