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"Ogottogott": Merkel zu Scholz' Streit mit Lindner: "Männer!"



Altkanzlerin Merkel blickt kritisch auf das Ende der Ampel-Regierung. Den Auftritt Scholz' am Abend des Rauswurfs von Finanzminister Lindner hält sie nicht "für ein Paradebeispiel für Würde". Zudem geht sie mit der Migrationspolitik ihrer eigenen Partei ins Gericht - und verteidigt ihre Haltung zu Nord Stream 2.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel hat die Reaktion ihres Nachfolgers Olaf Scholz im Zusammenhang mit dem Bruch der Ampel-Regierung und dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner kritisiert. "Als Olaf Scholz sich so ungeschminkt äußerte, gab es schon auch ein bisschen Unwohlsein im Publikum. Manche dachten: Wenn unser Bundeskanzler so außer Rand und Band ist - ogottogott -, wie schlecht steht es dann um unser Land", sagte Merkel dem "Spiegel".

Auf die Frage, ob Scholz mit seinem Auftritt die Würde seines Amtes verletzt habe, antwortete Merkel in diesem Zusammenhang: "Ich hätte es ja nicht gesagt, wenn ich das für ein Paradebeispiel für Würde hielte." Der Kanzler führe das Verfassungsorgan Bundesregierung an, sagte Merkel. "Sein Amt hat eine Würde, und die sollte einen stets leiten."

Man bekomme als Kanzlerin oder Kanzler harte Bandagen zu spüren. "Man verspürt eine Menge Emotionen, aber besser ist, man schreit die Wand in seinem Büro an als die deutsche Öffentlichkeit." Ihr spontaner Gedanke beim Anblick der Auseinandersetzungen zwischen Scholz und Lindner sei gewesen: "Männer!" Auf die Frage, was ihr typisch männlich vorgekommen sei, sagte Merkel: "Zum Beispiel, Dinge persönlich zu nehmen. Das sollte man in der Politik tunlichst vermeiden."

Scholz hatte Lindner am 6. November nach einem Richtungsstreit vor allem über den Kurs in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik aus dem Kabinett geworfen, worauf die FDP ihre Minister aus dem Bündnis mit SPD und Grünen abzog. Scholz warf dem FDP-Vorsitzenden verantwortungsloses Verhalten vor und sagte über den Minister: "Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen." So sei ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich. In einer SPD-Fraktionssitzung erhielt Scholz lauten Applaus für sein Vorgehen. Scholz will am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Erhält er wie erwartet keine Mehrheit, wird am 23. Februar gewählt.

Sie habe die FDP "nie als einfachen Koalitionspartner erlebt", sagte Merkel, die in ihren 16 Jahren als Kanzlerin von 2009 bis 2013 mit der FDP regierte. Mit Blick auf ihre 2017 gescheiterten Verhandlungen über ein sogenanntes Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP sagte die ehemalige Regierungschefin: "Jamaika wäre sehr viel Arbeit gewesen, und ich hätte viel mehr Zeit für die verschiedenen Partner aufwenden müssen. Aber die Frage hat sich ja nicht gestellt, weil Herr Lindner nicht wollte." Merkels Memoiren mit dem Titel "Freiheit" erscheinen an diesem Dienstag.

Merkel: Aufgabe war "billiges Gas zu bekommen"

Das Offenhalten der deutschen Grenzen während der Flüchtlingskrise von 2015 verteidigte Merkel erneut. "Ich hatte damals das Gefühl, ich hätte sonst die gesamte Glaubwürdigkeit der Sonntagsreden über unsere tollen Werte in Europa und die Menschenwürde preisgegeben", sagte sie in dem Interview. "Die Vorstellung, zum Beispiel Wasserwerfer an der deutschen Grenze aufzustellen, war für mich furchtbar und wäre sowieso keine Lösung gewesen."

Zu Forderungen der CDU, Asylbewerber an der Grenze zurückzuweisen, sagte Merkel: "Ich finde das nach wie vor nicht richtig." Denn: "Es ist doch eine Illusion anzunehmen, alles wird gut, wenn wir Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen." Sollte es der EU nicht gelingen, das Problem der illegalen Migration zu lösen, fürchtet Merkel "ein Stück Rückabwicklung der europäischen Integration, mit Folgen, die man nicht abschätzen kann".

Merkel hält zudem rückblickend ihre Entscheidung, trotz der russischen Krim-Annexion 2014 das Pipelineprojekt Nord Stream 2 nicht gestoppt zu haben, für richtig. Sie sagte im "Spiegel", dass es wirtschaftliche und politische Beweggründe gegeben habe. "Ich habe es als eine meiner Aufgaben gesehen, für die deutsche Wirtschaft billiges Gas zu bekommen", sagte Merkel. "Wir sehen jetzt, welche Folgen teure Energiepreise für unser Land haben."

Außerdem hätte sie für den Abbruch des Gashandels mit Russland "keine politischen Mehrheiten gehabt und schon gar keine Zustimmung in der Wirtschaft". Dass sie damit mittelbar zur Finanzierung von Russlands Feldzug gegen die Ukraine beigetragen habe, wies Merkel zurück. "Russland hat den Krieg begonnen, ohne dass jemals Gas durch Nord Stream 2 geflossen ist. Heute füllen andere Länder Putins Kriegskasse. So wäre es auch damals gekommen, wenn wir alle wirtschaftlichen Verbindungen abgebrochen hätten", sagte Merkel.

Deutschland soll Mitspracherecht bei Friedensverhandlungen haben

Sie habe Nord Stream 2 auch "politisch für sinnvoll" gehalten. "Wie konnte man in der neuen Ordnung nach dem Kalten Krieg mit einem wie Putin, den manche Historiker als Revisionisten bezeichnen, Verbindungen halten? Durch den Versuch, ihn am Wohlstand teilhaben zu lassen", verteidigte Merkel ihre Haltung. Obwohl dieser Versuch offenkundig scheiterte, wollte Merkel die Pipeline ausdrücklich nicht als Fehler bezeichnen: "Weil ich all meine Kraft eingesetzt habe, um die Situation zu verhindern, zu der es jetzt gekommen ist."

Merkel verweist auf die Verhandlungen von Minsk 2015, die seinerzeit zu einem brüchigen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine führten. "Damals schien es mir nicht sinnvoll, zugleich zu sagen, ökonomisch kappen wir alle Verbindungen, die auch Putin wichtig sind", sagte Merkel.

Für die Wahl des Zeitpunkts möglicher diplomatischer Initiativen zwischen Moskau und Kiew verlangt die frühere Regierungschefin ein Mitspracherecht Deutschlands. Wann der rechte Moment gekommen sei, "kann nicht allein von der Ukraine entschieden werden", sagte Merkel. "Wenn wir aus gemeinsamen Interessen die Ukraine unterstützen, müssen wir auch alle Schritte zur Beendigung des Krieges gemeinsam gehen."

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