Neuer FDP-Chef: Dürr überzeugt längst nicht alle - und macht große Ankündigungen

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Die FDP hat einen neuen Vorsitzenden. Auf Christian Lindner folgt Christian Dürr. Der frühere Fraktionsvorsitzende hält eine engagierte, kämpferische Bewerbungsrede. Das Vertrauen ist da, aber nicht allumfassend. Er hat viel vor, so viel wird deutlich.

82,25 Prozent - bei dem Ergebnis könnte die ein oder andere Augenbraue hochgerutscht sein. So viele der Delegierten auf dem FDP-Parteitag wählten Christian Dürr zu ihrem neuen Vorsitzenden. Ein fulminanter Vertrauensbeweis ist das nicht - man spricht dann oft von einem "ehrlichen Ergebnis", um das noch fehlende Vertrauen mancher etwas schönzureden. Zumal Dürr keinen Gegenkandidaten hatte. Doch er ist in guter Gesellschaft. Auch Christian Lindner erhielt bei seiner ersten Wahl 2013 nur 79 Prozent und blieb dann länger im Amt als jeder Parteichef vor ihm - und gewählt ist gewählt. Als Generalsekretärin wählte Dürr die KI-Unternehmerin Nicole Büttner.

Ein Neuling ist Christian Dürr nicht. Bekannt wurde er bundesweit als Fraktionsvorsitzender im Bundestag, zuvor hatte der 48-Jährige das gleiche Amt in Niedersachsen inne. Dort kommt er her und lebt mit Frau und zwei Kindern immer noch in der Gemeinde Ganderkesee bei Bremen, wo er auch aufwuchs. Ein Bruch mit der Ära Lindner ist von ihm nicht zu erwarten - die beiden stehen sich persönlich wie politisch nahe. Sie teilen sich nicht nur den Vornamen, sondern auch ein Interesse an Oldtimern. Lindner hat einen alten Porsche, Dürr einen alten Mini.

Neues Grundsatzprogramm soll kommen

Dennoch könnte bald neue Bewegung in die Partei kommen. Dürr kündigte in seiner Bewerbungsrede ein neues Grundsatzprogramm der FDP an, Arbeitstitel "Freiheit konkret". Darin sollten nicht nur abstrakte Werte der FDP niedergeschrieben werden. Es sollte immer konkret die Frage beantwortet werden, was das für den Einzelnen bedeutet, forderte Dürr. Auch das ist eine Parallele zu Lindner. Der hatte 2012 ebenfalls ein neues Grundsatzprogramm betreut, die Karlsruher Thesen. Damals war er allerdings noch Generalsekretär.

In so einem Prozess steckt Potenzial. Auch die CDU gab sich nach ihrer Wahlniederlage 2021 ein neues Grundsatzprogramm. Der Partei hauchten die Diskussionen und Debatten neues Leben ein, nicht zuletzt, weil sich viele Mitglieder überhaupt erst kennenlernten und die programmatische Breite zu schätzen lernten.

Dürr legte einen Schwerpunkt seiner Rede auf die Migrationspolitik. Dabei versuchte er eine Art Drahtseilakt - mit einem gleichzeitigen Ja zu mehr und weniger Zuwanderung. Ja zu mehr Zuwanderung Qualifizierter in den Arbeitsmarkt, nein zu mehr Zuwanderung von Asylbewerbern. Dem Thema so viel Raum gegeben zu haben, dürfte nicht jedem gefallen haben. In der stundenlangen Aussprache der Delegierten hatte beispielsweise die frühere FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch davon abgeraten, genau das zu tun.

Auch die aufkommende Richtungsdebatte der Partei könnte davon berührt sein. Soll die FDP konservativer werden? Die Union von rechts attackieren? Oder progressiver werden? Diese Alternativen beschrieb Lindner in seiner Abschiedsrede und sagte, die Zukunft der FDP liege nicht in einem Schwenk nach links oder rechts. Dürr griff das zu Beginn auf und zitierte Parteiikone Theodor Heuß. "'Der Liberalismus lebt von der Spannung zwischen der Freiheit des Inidividuums und der Verantwortung für die Gemeinschaft.' Diese Spannung ist unsere Stärke, nicht unsere Schwäche", so Dürr.

Auch in seiner Position zur Migration steckt eine Spannung. Er kombiniert Härte und eine Rhetorik, die eher auf der Rechten zu hören ist, mit emphatischer Sympathie für Aufsteigertypen, die aus anderen Ländern kommend in Deutschland etwas erreichen wollen. Im ersten Halbjahr 2024 habe es 15.300 Daueraufenthaltsgenehmigungen für qualifizierte Arbeitskräfte gegeben, aber etwa dreimal so viele für Asylbewerber im subsidiären Schutz, so Dürr. "Müsste es nicht ganz genau umgekehrt sein?", fragte er. Auch Sozialleistungen erklärte er zum entscheidenden Faktor für Migration. Sie sei ein Grund, "weshalb die illegale Migration so hoch sei." Was vielleicht nicht ganz falsch ist, aber Fluchtursache wie Dürren, Gewalt und Kriege kamen nicht vor.

"Ich bin eher bereit auf diese Sozialleistungen zu verzichten, als auf kluge Talente für unseren Arbeitsmarkt, die in Deutschland eine Zukunft haben", sagte Dürr. Als Beispiel nannte er eine Familie aus Kolumbien, die er in einer Flüchtlingsunterkunft angetroffen hatte. Die Eltern hatten studiert, doch eine Anerkennung sei aussichtslos gewesen. "Da blutet mir das Herz", zeigte sich Dürr mitfühlend. "Warum sitzen die in einer niedersächsischen Flüchtlingsunterkunft, warum sind die nicht längst in Lohn und Brot in einem niedersächsischen Unternehmen?"

Nach rechts geblinkt, aber nicht abgebogen

Mit solchen Äußerungen blinkte Dürr zumindest nach rechts, ohne tatsächlich ganz abzubiegen - das zeigte sich auch bei einer Forderung zu Grundschulkindern. Die sollten in der ersten Klasse alle Deutsch können, forderte er. Ansonsten sollten sie schon in der Kita gefördert werden. Das sei gelebte Chancengerechtigkeit. Das klang hart und human zugleich.

Dürr präsentierte auch manch andere Idee, die nach Out-of-the-Box-Denken klang. Zum Beispiel die, Geringverdiener aus der gesetzlichen Rente zu entlassen. Stattdessen sollten sie ihre Beiträge am Kapitalmarkt anlegen. Dann könnten sie im Rentenalter Millionäre werden, sagte Dürr. Die FDP wolle nicht, dass die Menschen im Alter Bittsteller beim Staat sein müssten, weil ihre Rente so niedrig sei.

Die FDP und er haben nun gar nicht so lange Zeit, ihre Hausaufgaben zu machen. Es stehen einige Wahlen an. Ein erster Test werden die Kommunalwahlen in NRW im September sein. Im nächsten Jahr folgen dann drei Landtagswahlen, in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Sicher ist wohl nur eines: Ein Selbstläufer wird die Wiederauferstehung der FDP nicht.

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