2 weeks ago

Mit dem Rücken zum Stadtrand: Ukrainer kämpfen verzweifelt um Torezk



An der Front im Osten droht der Ukraine eine weitere größere Niederlage. Russische Truppen drängen die Verteidiger in den Ruinen der Bergbaustadt Torezk immer weiter zurück. Sollte der Ort fallen, ginge ein wichtiges Bollwerk verloren.

Die russische Angriffsstrategie im Donbass setzt die ukrainischen Streitkräfte an verschiedenen Stellen der Front zunehmend unter Druck. Abseits der viel beachteten Vorstöße bei Pokrowsk zeichnet sich kurz nach dem Jahreswechsel ein zusätzlicher Brandherd ab, der die Verteidiger noch erheblich in Schwierigkeiten bringen könnte.

In der Schlacht um Torezk geraten die Ukrainer seit einigen Tagen immer stärker in Bedrängnis. Russische Angriffstrupps haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten in einem brutalen Häuserkampf quer durch das Stadtgebiet der einst 30.000 Einwohner zählenden Bergbaustadt vorgearbeitet. Weite Teile des Stadtzentrums liegen in Trümmern.

Wie sich anhand von lokalisierbaren Drohnenaufnahmen belegen lässt, wird mittlerweile nicht mehr nur um die noch aus Sowjetzeiten stammenden Plattenbauten im Stadtzentrum gekämpft, deren solide Bauweise vergleichsweise guten Schutz vor Granatsplittern oder direktem Beschuss bietet.

An mehreren Stellen mussten die Ukrainer bereits in schlechter befestigte Wohngebiete in Richtung Stadtrand zurückweichen oder wichtige, gut zu verteidigende Industrieanlagen in der Ortsmitte aufgeben. Seit letztem Sommer wird in den verschiedenen Stadtvierteln von Torezk bereits gekämpft. Mitten im Winter müssen die ukrainischen Soldaten nun fürchten, ihre ausgebauten Stellungen dort zu verlieren.

 Bildmaterial aus dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus zeigt das Stadtgebiet im Oktober 2023, überlagert mit dem ungefähren Frontverlauf Anfang Januar 2025 (rote Linie).  Bildmaterial aus dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus zeigt das Stadtgebiet im Oktober 2023, überlagert mit dem ungefähren Frontverlauf Anfang Januar 2025 (rote Linie).

Blick aus dem All auf Torezk: Bildmaterial aus dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus zeigt das Stadtgebiet im Oktober 2023, überlagert mit dem ungefähren Frontverlauf Anfang Januar 2025 (rote Linie).

(Foto: © ntv.de Daten | Satellitenfoto © Copernicus Sentinel Data 2024)

Der russische Vorstoß droht das Kräfteverhältnis weiter zugunsten der Angreifer zu verschieben: Je weiter sich die Gefechte in die Außenbezirke verlagern, desto weniger Schutz steht den Verteidigern zur Verfügung. Die Bausubstanz über den Kellern einzeln stehender Häuser reicht nicht aus, um dem Dauerbeschuss russischer Artillerie über längere Zeit standzuhalten.

Die Aussichten wirken düster: Mehr als die Hälfte des Stadtgebiets stünden bereits unter russischer Kontrolle, schätzten Beobachter vom Washingtoner "Institute for the Study of War" (ISW). Entlang mehrerer Angriffsachsen dringen russische Trupps demnach weiter Richtung Norden und Nordwesten vor. Heftige Kämpfen melden die Ukrainer auch aus dem Nachbarort Schtscherbyniwka westlich von Torezk.

Die Einnahme der Stadt wäre für Moskau zunächst nicht viel mehr als ein teuer erkaufter Etappensieg. Mehr als sechs Monate nach Beginn der Schlacht besteht der Ort nur noch aus einer Ansammlung ausgebrannter Ruinen, wie Luftaufnahmen aus dem Dezember zeigen.

In den Verteidigungslinien der Ukrainer würde eine Niederlage dort dennoch eine empfindliche Lücke reißen. Torezk lag jahrelang nah an der Front. Ähnlich wie Bachmut, Wuhledar, der umkämpfte Ort Welyka Nowosilka oder das bedrohte Pokrowsk zählt der Ort zu den Bollwerken der ukrainischen Verteidigungspläne im Osten.

Sollte den Russen eine vollständige Einnahme gelingen, brächte das nicht nur das knapp 20 Kilometer nördlich gelegene Tschassiw Jar in zusätzliche Schwierigkeiten. Ein russischer Erfolg bei Torezk könnte auch die Verteidigung der rund 50 Kilometer westlich gelegene Stadt Pokrowsk erschweren.

Der ukrainische Generalstab gibt die Schlacht um Torezk offenbar aber noch lange nicht verloren. Die massiven Abraumhalden aus dem Bergbau, die das Stadtgebiet überragen, seien noch immer in ukrainischer Hand, heißt es. Im unübersichtlichen Ort- und Häuserkampf verfügen die Ukrainer mittlerweile über reichlich Erfahrung. Und: Die Verteidigung an den Flanken im Norden und Westen der Stadt hält bisher stand.

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In den täglichen Lageberichten aus Kiew finden die Kämpfe in und um Torezk - anders als noch im Herbst - mittlerweile jedoch nur noch auffallend wortkarg Erwähnung. "Die russische Armee unternahm sechs Angriffe in der Nähe von Torezk, Nju Jork und Schtscherbyniwka", war dort zuletzt zum Beispiel zu lesen. "Die meisten Angriffe richtete der Feind gegen Torezk."

Unklar bleibt, wie lange die ukrainischen Kräfte vor Ort noch Widerstand leisten können. Den "Schwerpunkt der feindlichen Anstrengungen" sieht die ukrainische Militärführung weiter im "Raum Pokrowsk".

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