1 month ago

Misogynie bei "Hart aber fair": Bär: "Man versucht immer mehr, Frauen mundtot zu machen"



Gewalt gegen Frauen nimmt messbar zu. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung und ein Maßnahmenpaket der Union sollen Abhilfe schaffen. Bei "Hart aber fair" bahnt sich eine Zusammenarbeit von Union und Grünen an, ein Gesetz noch vor den Wahlen im Bundestag zu beschließen.

"Du fettes Miststück. Ich will dich in meinem Keller aufhängen, halbtot prügeln und dann zuschauen, wie du stirbst." Diese Mail liest die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang bei "Hart aber fair" im Ersten vor. Dort geht es am Montagabend um die wachsende Gewaltkriminalität gegen Frauen. In der ARD-Mediathek wird die Sendung nicht live übertragen. Und auch die ARD bringt die Sendung zu sehr später Stunde.

Fakt ist: Gewalt und Hass gegen Frauen sind Alltag in Deutschland. Straftaten gegen Frauen nehmen zu. Durchschnittlich alle drei Minuten werden Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Im vergangenen Jahr wurden laut Kriminalstatistik 360 Frauen und Mädchen getötet. Fast jeden Tag eine.

Hass im Netz

Auch im Internet sind Frauen besonders häufig Ziele von Hass und Drohungen - per Mail und in sozialen Netzwerken. Der Text, den Ricarda Lang vorliest, ist nur ein Beispiel. Lang hat derartige Mails häufiger bekommen. Auch nach Auftritten bei "Hart aber fair". "Das sollte niemand erleben müssen", sagt die Politikerin. Auch Kommunalpolitikerinnen nicht. Und die bekommen Hass im Netz genauso zu spüren wie die Politikerinnen der ersten Reihe, nehmen ihn aber anders wahr. Lang: "Das sind Frauen, die haben oft einen Job, die haben Kinder. Und dann gehen die abends nach 20 Uhr noch los, um Plakate zu kleben. Und dafür werden sie aufs Übelste beleidigt und am Ende vielleicht sogar angegriffen. Und diese Frauen sind die Substanz, das Rückgrat unserer Demokratie."

Auch die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothee Bär kennt das Problem. Sie nimmt eine Veränderung des Hasses wahr. Früher sei es um das Aussehen oder den Dialekt gegangen, sagt sie. Nach ihrem letzten Auftritt bei "Hart aber fair" habe sie jedoch Mails von Männern bekommen, die erklärten, es gehöre sich für eine Frau nicht, Männern ins Wort zu fallen. "Und es ist ganz viel sexualisierte Gewalt dabei." Immer öfter werde sie als "Miststück" oder "Schlampe" beschimpft. "Und man versucht immer mehr, Frauen mundtot zu machen", so Bär. Das erlebe sie auch im Bundestag, vor allem von Abgeordneten der AfD, die direkt neben dem Rednerpult sitzen. Ricarda Lang bestätigt die Beobachtungen der CSU-Politikerin.

Ein weiteres Problem: Viel zu selten werde gegen Hassbotschaften vorgegangen. Das sagt Moderatorin und Schauspielerin Collien Ulmen-Fernandes. "Ich habe mal bei einem sozialen Netzwerk rassistische Kommentare gemeldet, und dann hieß es, wir konnten nichts feststellen, was gegen unsere Richtlinien verstößt. Meine Erfahrung ist, dass viel zu viele mit viel zu viel durchkommen."

"Das sind alles sehr schlimme Dinge, von denen sie berichtet haben", sagt Rechtswissenschaftlerin Frauke Rostalski. "Nun sind Sie aber gestandene Frauen und stehen in der Öffentlichkeit. Aber wie ist das mit Minderjährigen, mit jungen Mädchen, die davon betroffen sind?" In Australien soll in Zukunft die Nutzung von Instagram und Co erst ab 16 Jahren erlaubt sein. Rostalski fordert, ein solches Gesetz auch für Deutschland zu diskutieren.

"Ich halte von einer Altersbegrenzung bei Social Media nichts. Ich glaube auch nicht, dass die durchsetzbar wäre", sagt Ricarda Lang dazu. Sie möchte die Social-Media-Plattformen mehr in die Verantwortung nehmen.

Häusliche Gewalt als Stigma

Ein älteres Problem als Hass im Netz ist häusliche Gewalt gegen Frauen. Die kann schlimmstenfalls zum Tod führen. Romy Stangl hat häusliche Gewalt erlebt, erst von ihrem Vater, dann von ihrem Ehemann. "Ich bin eine von diesen Frauen", schreibt sie auf Instagram. Sie will Frauen helfen, die häusliche Gewalt erfahren haben. Sie kämpft gegen das Stigma, das Frauen mit Gewalterlebnissen noch immer anhaftet, oft auch in der eigenen Familie. "Es gibt nicht nur in der Gesellschaft ein Tabudenken, sondern teilweise auch in den Familien", sagt Stangl. Sie möchte erreichen, dass Frauen mit Gewalterfahrungen die Scham ablegen und sagen, dass nicht sie schuld daran seien. Wichtig sei, "dass man sich anvertraut. Und Dritte sollten hinschauen, auf Signale achten."

Für Frauen, die häusliche Gewalt erleben, könnten Frauenhäuser ein wichtiger Zufluchtsort sein. Doch in Deutschland fehlen derzeit etwa 13.000 Frauenhausplätze. Zudem müssen die Frauen für das Wohnen dort bezahlen, jedenfalls in einigen Bundesländern. Dorothee Bär will diesen Zustand beenden. Auch der Bund müsse sich an der Beschaffung von Frauenhausplätzen beteiligen, fordert sie. Ein entsprechendes Konzept habe die Union erarbeitet.

Allerdings gibt es auch eine Gesetzesvorlage der rot-grünen Rumpfregierung. Auch dort sollen unter anderem Plätze in Frauenhäusern gefördert werden. Das Gewalthilfegesetz soll Frauen unter anderem einen gesetzlichen Schutz vor Gewalt garantieren. "Ich würde mir wünschen, dass das Gesetz durch den Bundestag geht", sagt Lang.

Bär wäre bereit, das Vorhaben zu unterstützen. "Wir würden uns wünschen, wenn wir uns einmal mit der SPD, aber vor allem auch mit den Grünen, die ja die Ministerin stellen, über das Gesetz austauschen dürften." Dabei könnte man die Vorschläge der Union in die Gesetzesvorlage der Bundesregierung einarbeiten und es noch vor den Neuwahlen beschließen.

"Das Angebot nehme ich gerne an", verspricht Ricarda Lang. Ihr sei bewusst, dass der Wahlkampf begonnen hat. "Wahlkampf ist wichtig", sagt sie. "Aber ich finde, es gibt am Ende Themen, die noch wichtiger sind als Wahlkampf."

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