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Ministerpräsidentenwahl: Regieren ohne Mehrheit: Das sächsische Experiment beginnt



Michael Kretschmer hat die Ministerpräsidentenwahl in Dresden im zweiten Wahlgang gewonnen, trotz eines dreisten AfD-Tricks. Aber die eigentliche Prüfung folgt erst. 

Dreieinhalb Monate waren zähe Verhandlungen geführt und wieder abgebrochen worden. Dreieinhalb Monate hatten der Ministerpräsident Michael Kretschmer und seine CDU nach einer neuen parlamentarischen Mehrheit gesucht – und nicht gefunden. 

Nachdem das BSW abgesprungen war, konnte er mit der SPD nur noch eine Minderheitskoalition planen. Sie stellt gerade einmal 51 der 120 Abgeordneten, und das sind zehn zu wenig.

Doch nun, an diesem grauen Mittwochmittag in Dresden, war plötzlich die Mehrheit da. 69 Abgeordnete hatten Kretschmer wieder zum Regierungschef gewählt. 

Damit bleibt Sachsen eine Verfassungskrise oder gar die Neuwahl des Parlaments erspart. Stattdessen kann die Union jetzt mit den Sozialdemokraten das Experiment Minderheitsregierung beginnen.

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Im ersten Wahlgang fiel Michael Kretschmer noch durch

Dennoch zeigt der Wahlvorgang, wie schwierig es für Kretschmer wird. Denn im ersten Wahlgang erreichte er nicht die erforderliche absolute Mehrheit.

Der Christdemokrat kam nur auf 55 Stimmen. Dies waren zwar vier mehr, als die Koalition Abgeordnete zählt. Doch es fehlten immer noch sechs Stimmen.

Stattdessen präsentierte sich der Landtag in seiner ganzen Zerrissenheit. Die Grünen, die vergeblich für eine Nein-Option bei der Wahl eingetreten waren, hatten offenkundig ihre Stimmzettel ungültig gemacht. Die AfD wiederum votierte mit all ihren 40 Abgeordneten für Landeschef Jörg Urban, während der Einzelabgeordnete Matthias Berger von den Freien Wählern immerhin sechs Stimmen erhielt. Hinzu kamen einige Enthaltungen.

Die dreiste Falle der AfD

Dann, im zweiten Wahlgang, versuchte sich die AfD an der Kopie jenes Täuschungsmanövers, das Björn Höcke vor knapp fünf Jahren in Thüringen mit der unfreiwilligen Hilfe des FDP-Manns Thomas Kemmerich durchgeführt hatte: Sie wählte nicht den eigenen Kandidaten, sondern Berger. Der Freie-Wähler-Abgeordnete kam auf 39 Stimmen, während auf Urban nur eine einzige Stimme entfiel.

Diesmal hatte die AfD die Falle sogar noch dreister konstruiert. Sie benutzt nicht, so wie einst in Thüringen, nur einen parteilosen Dorfbürgermeister als Scheinkandidaten – sondern den eigenen Landes- und Fraktionschef. Urban kalkulierte erkennbar damit, dass ihm diese Selbstdemütigung nicht zugetraut würde.

Doch er irrte. Seit der Kemmerich-Wahl sind die anderen Parteien bei der AfD auf alles gefasst. Niemand unterschätzt mehr den Destruktionswillen von Rechtsextremisten. 

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Die ganz große Koalition gegen die AfD

So lässt sich auch erklären, warum sich derart viele Abgeordnete im zweiten Wahlgang hinter Kretschmer versammelten – und dies, obwohl jetzt nur noch die einfache Mehrheit nötig war. Jenseits der CDU-SPD-Koalition stimmten mindestens 18 Landtagsmitglieder für den alten und neuen Ministerpräsidenten. Nach allem, was sich begründet mutmaßen lässt, kamen sie zumindest teils von BSW und den Linken.

Die andere Erklärung für die große Mehrheit hat allerdings nichts mit der AfD zu tun, sondern findet sich in Artikel 60 der Landesverfassung. Er besagt, dass der Landtag ohne eine erfolgreiche Ministerpräsidentenwahl bis Anfang Februar automatisch aufgelöst worden wäre. Bei der anschließenden Neuwahl hätten dann insbesondere die Abgeordneten von Linke und Grünen um ihre Mandate fürchten müssen.

Und so bildete sich wie vor einer knappen Woche in Thüringen, wo der CDU-Ministerpräsident Mario Voigt mithilfe von Linke-Stimmen ins Amt gelangte, für einen Moment eine ganz große Koalition gegen die AfD. Aber eben nur für einen Moment. 

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Das sächsische Politexperiment

Denn nun beginnt das sächsische Politexperiment erst richtig. Für alle Gesetze, etwa den geplanten Doppelhaushalt, kann Kretschmer nicht wieder mit dieser Mehrheit rechnen. 

Ganz im Gegenteil. Das BSW hat schon angekündigt, keine Kürzungen mittragen zu wollen, obwohl mehr als vier Milliarden Euro im Etat fehlen. Und der bisherige grüne Koalitionspartner fühlt sich nach wie vor vom Kretschmer zutiefst verletzt. 

Ja, das sogenannte Konsultationsverfahren, mit der die Minderheitsregierung die Oppositionsfraktionen frühzeitig an der Gesetzgebung beteiligen will, könnte funktionieren. Aber eine Garantie dafür gibt es nicht einmal im Ansatz, zumal die CDU notorisch in der Versuchung steht, gemeinsame Mehrheiten mit der AfD zu bilden.

Somit hat Kretschmer am Mittwoch den ersten, wichtigen Test bestanden. Er ist wieder stabil im Amt. Doch wie er nach seiner Wahl selbst völlig zu Recht sagte: "Vor uns liegen anstrengende Jahre."

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