Ins Weiße Haus führt kaum ein Weg am Bundesstaat Wisconsin vorbei - und somit auch nicht an den polnisch-amerikanischen Wählern. Nirgendwo haben sie mehr politisches Gewicht. Ein Besuch.
Dort im Mittleren Westen der USA, wo die Wege mit dem Lineal gezogen an Feldern, Farmhäusern und Silos vorbeiführen, kann man von der Main Street von Junction City auf die Straße "O", dann auf "H", und schließlich in die gepflegte Auffahrt eines Ziegelsteinschlösschens und seiner Schmiede einbiegen. Ein Hund bellt aufgeregt, Boleslaw Kochanowski und einer seiner Söhne blinzeln freundlich in der samstäglichen Morgensonne und bitten durch die mit einem polnischen Adler beschlagene Eingangstür in die Küche des Hauses. Es duftet nach Kaffee.
Boleslaw Kochanowski ist polnisch-amerikanisch. Boleslaw Kochanowski wird Donald Trump wählen. "Ich könnte dafür geächtet werden", wird der 71-Jährige irgendwann während des Frühstücks sagen. "Aber man muss für Dinge einstehen." Zwar regten ihn viele Dinge auf, die Trump sagt und er sehe dessen Scheidungsgeschichte kritisch. Aber am Ende seien die Preise zu hoch, die Kosten des Rohmaterials für die Schmiede hätten sich zeitweise verdoppelt, Benzin sei deutlich teurer geworden. "Das gibst Du nicht an deine Auftraggeber weiter. Du schluckst es."
Hier in Portage County im Bundesstaat Wisconsin haben ein Drittel der Einwohner polnische Wurzeln. Der 71-jährige Schmied ist einer von etwa 481.000 polnischstämmigen US-Amerikanern im ländlich geprägten swing state; das sind mehr als 8 Prozent der Bevölkerung. Nirgendwo in den Vereinigten Staaten ist der Anteil größer. Im Jahr 2016 entschieden sich die polnisch-amerikanischen Wähler mehrheitlich für Trump, aber 2020 für den aktuellen US-Präsidenten Joe Biden. Heißt: Wer wie die Demokratin Kamala Harris und der Republikaner Trump gewinnen und ins Weiße Haus will, kommt an den polnisch-amerikanischen Wählern nicht vorbei.
"Es ist widerlich"
Schon Boleslaw Kochanowskis Vater war Schmied. Der wurde zur Arbeit in Adolf Hitlers Munitionsfabriken gezwungen und ging nach dem Zweiten Weltkrieg nicht ins kommunistische Polen zurück, sondern in die USA. Kurze Zeit später kam Boleslaw auf die Welt. Seit Jahrzehnten stellt er Nutzgegenstände, Inneneinrichtungen oder Kunstwerke her. Manche sind Denkmäler, die mit seinen Wurzeln in Europa zu tun haben. Einige Verwandte leben noch immer in Polen. Unter der Wanduhr aus dunklem Holz hängen Ehrenplaketten für seine Verdienste an der polnisch-amerikanischen Kultur.
Ob ihn nicht Trumps Ankündigung sorge, der Ukraine die Militärhilfen für ihren Verteidigungskrieg gegen Russland zu streichen? Dass Polen als nächstes dran sein könnte? "Es ist widerlich", sagt Boleslaw Kochanowski: "Putin will das Imperium wieder auferstehen lassen, all diese Satellitenstaaten zurück. Wie früher, als sie Polen übernommen haben." Aber diesmal sei das Land stark wie nie und zudem eines der 32 NATO-Mitglieder. "Wenn Russland es weiter treibt, wird es zerstört." Und die Ängste über Trump und die Demokratie in den USA? Da sei das politische System robust und werde Trump in Schach halten, meint er.
Boleslaw Kochanowski geht aus dem Haus, ein paar Dutzend Meter zu seiner Schmiede und sperrt die Tür auf. An der Wand hängen Hämmer aller Art, massive Maschinen, kalte Kohlen und ein Amboss füllen den Raum. Er läuft die Treppe nach oben, zeigt auf die Zeichnung einer Lokomotive an der Wand. "Das war in den 1930er Jahren der schnellste Zug der Welt, von Chicago nach Milwaukee und Minneapolis, 15.000 Schienenmeilen bis nach Seattle", schwärmt der 71-Jährige: "Dort, bei der Milwaukee Road, habe ich gearbeitet."
Hoffnung auf ein Comeback
Oben angekommen spricht Boleslaw Kochanowski über seine Pläne und posiert für ein Foto an seinem Zeichentisch. "Das ist wie ein Sprichwort aus der Zeit des Kommunismus in Polen" meint er, während er mit dem Bleistift über den Papierbogen wischt: "Wir geben vor, zu arbeiten, und ihr tut so, als würdet ihr uns bezahlen. So ist das mit den Zuwendungen der Demokraten. Geld für nichts."
Die großen Werkstätten in Milwaukee sind schon lange geschlossen, die Eisenbahngesellschaft ist in anderen aufgegangen. Boleslaw Kochanowski erinnert sich an die Industrie der Großstadt, die früher das ganze Land belieferte. "Heute", sagt der 71-Jährige, "heute ist Milwaukee nur noch eine Hülle." Sein Vater half ihm, sich selbstständig im Schmiedegeschäft zu machen. Trumps Zölle könnten manche Unternehmen zurückbringen, glaubt er.
Als seine beiden Söhne unter einem Auftrag eines geschmiedeten Geländers ächzten, hing Boleslaw die Entwurfszeichnungen auf und schrieb darüber: "Wir werden es schaffen … und mehr ist dazu nicht zu sagen!" Derzeit arbeitet Boleslaw Kochanowski mit seinen Söhnen an einer bronzenen Büste von Kazimierz Pulaski für den Militärfriedhof in St. Louis, den größten in der Region; Pulaski ist ein polnisch-amerikanischer Held, der im Unabhängigkeitskrieg gegen die englische Krone die Kavallerie gründete und einmal George Washington das Leben rettete.
Am Fuß der Treppe, kurz bevor er wieder aus der Schmiede hinausgehen und sich verabschieden wird, zeigt Boleslaw Kochanowski stolz eine Plakette des polnisch-amerikanischen Geschichtsverbands. "Das ist der Höhepunkt meiner Karriere", sagt er. "Ich will noch viele Pulaskis in der Welt verbreiten."
Sonntagsmesse auf Polnisch
Im Mittleren Westen gibt es viele solcher polnisch-amerikanische Vereine, die versuchen, die verbindende Kultur am Leben zu halten. Wie rund vier Autostunden westlich in Minneapolis, kurz hinter der Grenze zum Bundesstaat Minnesota. In einem weitläufigen Park ragen zwei längliche Stahldreiecke von Boleslaw Kochanowski in den Himmel; Sie sollen an den Aufstand im Warschauer Ghettos während des Zweiten Weltkriegs erinnern. Von dort ist es ein Katzensprung bis zur katholischen Holy Cross Church. Vor deren Pfarramt weht eine polnische Fahne, eine große, beleuchtete Infotafel wirbt für eine Sonntagsmesse auf Polnisch.
Im Keller der angeschlossenen Johannes Paul II. Schule klappert es aus der Küche. Im Gang davor stehen Paletten mit Sauerkrautgläsern, drinnen schnibbeln ein Dutzend Mitglieder des polnisch-amerikanischen Kulturvereins PACIM Gemüse, in großen Aluminiumtöpfen brodeln mehrere Suppen. Der Vizevorsitzende Mietek Konczyk wischt sich seine Hände an der Schürze ab und sagt: "Zusammen kochen, das stärkt die Gemeinschaft." Rund 200 Mitglieder hat PACIM, Hunderte Menschen werden am Sonntag erwartet, um mit dem Kauf der Suppen die Vereinskasse aufzubessern. Mietek Konczyk ist polnisch-amerikanisch. Mietek Konczyk wird Kamala Harris wählen.
Der 73-Jährige erinnert sich, wie er 1986 als politischer Geflüchteter aus dem kommunistischen Polen in die USA kam, Informatik studierte und jahrzehntelang bei IBM und Hewlett-Packard arbeitete. Dass er früher Republikaner wählte, weil er linken Ideen keinen Raum geben wollte - und 2012 umschwenkte, da die Republikaner Sarah Palin als Vizekandidatin aufgestellt hatten; die radikale Tea-Party-Anführerin und Wegbereiterin Trumps. "Trump ist für die Präsidentschaft nicht geeignet und er ist zu alt", sagt Mietek Konczyk entschieden. "Wenn ich das mit mir vergleiche - er kann keine 16 Stunden am Tag kritische Entscheidungen treffen." Trump ist 78 Jahre alt.
Und die hohen Lebenshaltungskosten, die viele den Demokraten anlasten? "Jeder wählt nach seinen eigenen Interessen", meint Mietek Konczyk und erzählt, wie er mit seiner Rente und Krankenversicherung gut versorgt und die Inflation unter Kontrolle sei. Nach dem desaströsen Fernsehduell im Juni, in dem Joe Biden zusammengeklappt war, wollte Mietek Konczyk sich einfach enthalten. Doch jetzt, mit Harris, ist die Lage anders. "Ich will nicht, dass dieser Typ Präsident wird. Jeder wäre besser als er."