Die Grünen sagen vorerst Nein zum Schuldenpaket. Das ist in der Sache begründbar, aber in der Wirkung katastrophal. Es ist Zeit für Verhandlungen auf Augenhöhe.
Die Botschaft, die die grüne Partei- und Fraktionsspitze am Montagmittag aussendete, lässt sich so zusammenfassen: Nein, wir lassen uns nicht erpressen.
Die Grünen sagen Nein zu den von Union und SPD geplanten Änderungen des Grundgesetzes. Sie sagen Nein zu dem Vorschlag, alle Militärausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts von der Schuldenbremse auszunehmen. Und sie sagen erst recht Nein zu einem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Infrastruktur.
Mehrheit für Schuldenpaket ist akut gefährdet
Damit ist die nötige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat akut gefährdet. Bleiben die Grünen bei ihrer Blockade, kann Schwarz-Rot gleich noch einmal neu mit den Sondierungen beginnen. Die Grundlage für die Koalitionsverhandlungen wäre dann Makulatur.
Käme es so, hätten sich Union und SPD dies selbst zuzuschreiben. Denn die Grünen haben völlig recht mit ihrer Kritik, und zwar sowohl in der Sache als auch im Verfahren und im Stil.
Zur Sache: Als vor knapp einer Woche der Sondervermögens-Plan bekannt wurde, durften Wohlmeinende noch davon ausgehen, dass damit zusätzliche Investitionen in die marode Infrastruktur gemeint waren. Oder zumindest Ausgaben für Zukunftsprojekte wie Digitalisierung und Klimaschutz.
Doch spätestens seit dem Ende der Sondierungsgespräche ist klar, dass in das Sondervermögen all das geschoben werden soll, was irgendwie Investition heißt. Damit wäre im Kernhaushalt wieder Geld da für all das, was die SPD nicht kürzen will – und was die Union versprochen hat.
Es geht um das Vertrauen in die Demokratie
Zum Verfahren: Zwar ist verfassungsrechtlich möglich, dass der alte Bundestag das Grundgesetz ändert. Dennoch stellt sich die Frage, ob angesichts der Eile die Rechte der Abgeordneten gewahrt bleiben.
Wichtiger noch: Der Souverän, also das Volk, hat ein neues Parlament bestimmt. Dass jetzt die zu einem Gutteil abgewählten Abgeordneten die Verfassung an entscheidenden Punkten ändern sollen, könnte das Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen zusätzlich beschädigen.
Und schließlich zum Stil: CDU, CSU und SPD planten bisher ihre künftige Bundesregierung auf der Finanzierungsbasis, die von der Zustimmung der Grünen abhängig ist. Gleichzeitig banden sie die Partei aber nicht ansatzweise ein und demütigten sie gar noch. Das war nicht nur fahrlässig. Es war wirklich dumm.
Das Kalkül der Möchtegern-Koalitionäre wirkt offensichtlich: Ausgerechnet die Grünen, die seit jeher mehr militärische Unterstützung für die Ukraine und mehr Investitionen einforderten, können sich am Ende nicht einer Zustimmung verweigern – und sei es aus der gerne zitierten staatsbürgerlichen Verantwortung.
Doch genau dieses Kalkül ist vorerst nicht aufgegangen: Die Grünen lassen sich nicht zu einem Ja nötigen. Und dies ist nicht nur aus den oben genannten Gründen nachvollziehbar, sondern auch strategisch richtig. Denn nur so kommen sie aus der Defensive in die Offensive.
Die Forderungen der Partei sind inzwischen klar genug erkennbar. Erstens muss ein größerer Teil der Militärausgaben ohne Schulden bezahlt werden. Zweitens dürfen die Kredite aus den Sondervermögen nur für zusätzliche Investitionen ausgegeben werden, nicht einfach für alle. Und drittens soll auch der Klimaschutz eine Priorität sein.
Nicht nur aus grüner Perspektive sind dies nachvollziehbare Wünsche. Die künftige Koalition ist also gut beraten, mit der gebotenen Demut darauf einzugehen und deutliche Zugeständnisse zu machen.
Nötig ist ein realpolitischer Kompromiss
Gleichzeitig gilt: Falls Union und SPD sich bewegen, müssen dies auch die Grünen tun. Denn es geht tatsächlich um mehr als um Rechthaberei oder gar parteipolitische Interessenlagen. Es geht darum, dass Deutschland mitten in einer weltpolitischen Krise handlungsfähig ist.
Blieben die Grünen bei einem pauschalen Nein, hätte dies katastrophale Auswirkungen auf diese Republik. Falls eine neue Bundesregierung überhaupt zustande käme, stünde sie von Anfang unter einer unerträglichen Belastung.
Es ist also Zeit für einen realpolitischen Kompromiss. Die Ausnahme für die Militärausgaben sollte noch der alte Bundestag regeln, weil dafür im neuen Bundestag wegen der Sperrminorität von AfD und Linker die Zweidrittelmehrheit fehlt.
Und auch über das Sondervermögen für Investitionen – oder eine entsprechende Lockerung der Schuldenbremse – könnte eine grundsätzliche Einigung erzielt werden. Über diesen Kompromiss sollte aber das neu legitimierte Parlament ordnungsgemäß beraten und entscheiden. Denn dafür wurde es am 23. Februar von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gewählt.