Sollten Spitzenpolitiker wie Robert Habeck Beleidigungen anzeigen oder nicht? Die Debatte über diese Frage führt am Kern des Problems vorbei. Denn die Meinungsfreiheit ist an anderer Stelle bedroht.
Stellen Sie sich folgende Stellenbeschreibung vor: Gesucht wird eine Spitzenkraft für eine Top-Position. Arbeitszeit: mindestens 80 Stunden die Woche, das Wochenende steht nicht zur freien Verfügung. Bezahlung: nicht schlecht, aber auch nicht sensationell. Der Posteninhaber muss hinnehmen, regelmäßig massiv beleidigt und bedroht zu werden.
Würden Sie sich bewerben? Nein? Dann sind Sie für die Spitzenpolitik nicht geeignet.
In Deutschland wird derzeit debattiert, ob Spitzenpolitiker Beleidigungen anzeigen sollten oder ob es nicht vielmehr die Meinungsfreiheit in Gefahr bringt, wenn Menschen in diesen Ämtern mit vielleicht übertriebener Empfindlichkeit gegen Bürger vorgehen, die zugespitzt ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen.
Ausgelöst wurde die Diskussion durch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der Grüne hatte einen Strafantrag gegen einen 64-jährigen Rentner aus Bayern gestellt, der auf dem Kurznachrichtendienst X ein Bild gepostet hatte, auf dem Habeck als "Schwachkopf Professional" bezeichnet wurde. Laut der "Bild"-Zeitung hat kein Bundesminister seit 2021 mehr Strafanträge wegen Beleidigung gestellt als Habeck – insgesamt über 800 Mal.
"Schwachkopf" und "Arschloch" sind justiziabel
Rechtlich lässt sich die Frage schnell beantworten. Ausdrücke wie "Schwachkopf" oder "Arschloch" sind Beleidigungen und damit justiziabel. Im echten Leben könnte jeder, der so tituliert wird, Anzeige in guter Hoffnung erstatten, dass dies geahndet wird.
Kniffliger sind andere Aspekte. Wenn jemand so empfindlich auf relativ "harmlose" Beleidigungen reagiert, behält er dann in großen politischen Auseinandersetzungen die Nerven? Und wenn ein Spitzenpolitiker derart systematisch gegen Bürgerbekundungen vorgeht, trägt er dann nicht zu einem Klima der Einschüchterung bei? Zumal der relevante Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs (Strafe für Beleidigungen, üble Nachreden und Verleumdungen gegen Menschen des politischen Lebens) Anfang 2021 verschärft wurde und das Gefälle zwischen Politiker und Bürger somit vergrößert wurde? Das kann man alles fragen.
Politiker sind kein "Freiwild"
Umgekehrt lässt sich aber auch fragen, warum Politiker hinnehmen sollen, was Normalbürger nicht hinnehmen müssen? Und wer eigentlich noch Lust hat, in die Politik zu gehen, wenn man in dieser Position "Freiwild" ist, zum Abschuss für Schmähungen aller Art freigegeben? Und ist es nicht ein wichtiges, erzieherisches Signal in die Gesellschaft, dass man eine Verrohung des öffentlichen Diskurses nicht einfach duldet?
Nicht Robert Habeck bringt die Meinungsfreiheit in Gefahr
Spitzenpolitiker haben jedes Recht, Beleidigungen anzuzeigen. Ob sie es tun oder nicht, ist eine Frage der Persönlichkeit. Für die eine oder andere Haltung gibt es jeweils gute Argumente.
Die Debatte geht deshalb am Kern des Problems vorbei. Denn dieser liegt in der Hausdurchsuchung, die der beleidigende Rentner erleben musste. Anders als zunächst von vielen Medien dargestellt, war diese nicht durch Habecks Strafantrag ausgelöst, sondern bereits zuvor von der zuständigen Staatsanwaltschaft beantragt worden.
Dass es wegen einer vergleichsweise harmlosen Beleidigung eines Politikers zu einer Durchsuchung kommt, ist offenbar kein Einzelfall. Recherchen des stern ergaben, dass dies auch mehrfach im Zusammenhang mit Strafanträgen geschah, die Oppositionsführer Friedrich Merz wegen Beleidigung gestellt hatte. In einem Fall hatte ihn ein Nutzer einen "Drecks Suffkopf" im Netz genannt. Wie Habeck hatte auch Merz keinen Einfluss auf die Durchsuchungen.
Niemand hätte sich empört, wenn die jeweiligen Staatsanwaltschaften nach Gewalt- oder sogar Morddrohungen Hausdurchsuchungen veranlasst hätten. Dass sie es nach Alltagsbeleidigungen taten, hinterlässt ein beunruhigendes Gefühl.
Wer Politiker beleidigt, muss mit einer Reaktion rechnen. So weit, so normal. Aber wenn bei Bürgern Häuser und Wohnungen durchsucht werden, weil sie einmal zu öffentlich das sagten, was jeder von uns schon einmal aus Ärger über einen anderen Menschen – im Straßenverkehr, am Arbeitsplatz, im Bekanntenkreis – gesagt hat, dann gerät etwas ins Rutschen. Dann ist die Meinungsfreiheit in Gefahr, wird ein Klima der Angst gefördert.
Staatsanwaltschaften und Gerichte (die die Anträge auf Durchsuchungen bewilligen müssen), müssen sich strenger selbst prüfen, wann ein solches Vorgehen verhältnismäßig ist. Oder ob sie damit in ihrem Streben, den Rechtsstaat zu schützen, diesen nicht beschädigen.