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Meinung: Der Kurzzeit-Trainer prägt eine Ära



Einst war er als Nothelfer zum DFB gekommen, jetzt bleibt er bis 2028: Die bewegende Heim-EM hat aus Julian Nagelsmann einen neuen Trainer gemacht. 

Welches Echo die Europameisterschaft ausgelöst hat in Julian Nagelmann, was sie zum Klingen gebracht hat in ihm, war noch Wochen später zu spüren, als das Turnier längst beendet war. 

Im September und im Oktober rief Nagelmann die Nationalmannschaft in Herzogenaurach zu Lehrgängen zusammen. Die Spieler übernachteten in einem Appartement-Dorf namens Home Ground, das schon während der EM ihr Basislager gewesen war. Nagelsmann, so ließ sich das damals deuten, wollte die EM trotzig weiterspielen und die Viertelfinal-Niederlage gegen Spanien vergessen machen mit rauschhaften Siegen in der Nations League. Tom Häussler DFB-Doku "Unser Team – Die Heim-EM 2024"15h

Ein Kunstgriff, um Spieler und Fans zurückzuführen in den Sommer 2024, als das Land sich hinter der Mannschaft versammelte und feierte. Nicht nur in den Stadien, auf den Straßen und Fan-Meilen. Auch vorm Mannschaftshotel in Stuttgart zum Beispiel, am Nachmittag vor dem Ungarn-Spiel, so euphorisch, so laut, dass die Fensterscheiben vibrierten. 

Mit keinem Team hat sich Julian Nagelsmann so sehr identifiziert wie mit dem DFB-Team

All das hat viel bewegt in Julian Nagelsmann. Die EM hat ihn zu einem anderen Trainer gemacht. Die deutsche Nationalmannschaft ist seine Mannschaft – vielmehr als es die Teams in München, Leipzig oder Hoffenheim zuvor waren. Wenn Nagelsmann heute über die Spieler spricht, meint man die Stimme eines Vaters zu hören, dabei ist er kaum älter als sie. 

Diese Bindung ist es, die aus Nagelmann, dem Kurzzeit-Trainer, einen Langzeit-Trainer hat werden lassen. Am Freitag verkündete der Deutsche Fußball-Bund (DFB), dass Nagelsmann seinen bis Sommer 2026 gültigen Vertrag vorzeitig bis 2028 verlängert hat.JNagelsmann 21.36

Ursprünglich hatte Nagelsmann dem DFB im Sommer 2023 nur für zehn Monate zugesagt. Ausgeschrieben war ein Nothelfer-Job, Nagelsmann sollte die Mannschaft wieder aufrichten nach den düsteren Flick-Jahren und zur EM führen. Danach, das war allen klar, würde er wieder eine Vereinsmannschaft übernehmen – schließlich klagte Nagelsmann öffentlich darüber, wie sehr ihm die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz fehlt. 

Diese Sehnsucht ist erloschen. Der Klubcoach hat sich zu einem überzeugten Bundestrainer gewandelt. Nagelsmann ist nun auf dem besten Wege, eine Ära zu prägen wie zuvor Joachim Löw (Weltmeister 2014), Franz Beckenbauer (Weltmeister 1990) oder Helmut Schön (Weltmeister 1974 und Europameister 1972). An diesen großen Bundestrainern gilt es Nagelsmanns Arbeit künftig zu bemessen.   

Die Vertragsverlängerung ist ein Coup für den DFB

Für den DFB ist die Vertragsverlängerung mit Nagelsmann ein Coup. Noch im Frühjahr 2023, die missratene WM 2022 in Katar wirkte nach, lag der Verband in Trümmern. Das Amt des deutschen Bundestrainers hatte jeglichen Glanz verloren, wer wollte den Job schon machen? Mit dieser anämischen Mannschaft schien man nur den eigenen Ruf beschädigen zu können. 

Diese Zeiten scheinen nun Lichtjahre zurückzuliegen. All das Bleierne, Gehemmte und Verklemmte ist einer neuen Aufbruchstimmung gewichen. Nagelsmann hat sie entfacht, und nun ist er von der Wucht seines eigenen Werks so überwältigt, dass er mindestens drei Jahre weitermachen will. 

Die EM 2024 ist für Nagelsmann eben noch immer nicht abgepfiffen. Ruhe kann es für diesen Trainer erst geben, wenn die Viertelfinal-Niederlage endgültig getilgt ist. Noch in der Nacht nach dem verlorenen Spanien-Spiel kündigte Nagelsmann an, 2026 Weltmeister werden zu wollen. Er sagte das allerdings mit einem süffisanten Lächeln, es blieb offen, ob er nur die Journalisten triezen wollte im Presseraum des Stuttgarter Stadions. "Die Aussage gefällt euch, ne?", rief Nagelsmann, "da werden die Augen alle groß. Wahnsinn."

Spätestens seit diesem Freitag, dem Tag der Vertragsverlängerung, des erneuten Bekenntnisses zu seiner Mannschaft, weiß man: Nagelmann meint es ernst.  

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