4 months ago

Landtagswahlen: Das letzte Aufbäumen des Kanzlers vor dem Schicksalssonntag



Der Kanzler stemmt sich beim Wahlkampf-Finale in Sachsen gegen den Abwärtstrend seiner SPD. Seine Botschaft: Alle anderen sind nur Sprücheklopfer. Er hingegen handelt.

Jetzt gilt’s, Olaf Scholz‘ dreht nochmal auf. Gegen seine Gegner und Kritiker, die  "rechten Schreihälse" und "Sprücheklopfer". Scholz wird dabei so laut, dass seine Stimme kurz bricht. Er möchte etwas klarstellen.

"Andere haben sich mit Reden, Interviews und was weiß ich so aufgehalten", ruft der Kanzler von der Bühne. Seine Regierung hingegen habe dafür gesorgt, dass die "Ansage" umgesetzt wurde: Schwere Straftäter auch wieder nach Afghanistan zurückzuschicken.

"Das ist heute passiert und das klarste Signal, was notwendig ist", sagt Scholz. "Nicht so viele Sprüche machen und dafür sorgen, dass die Dinge laufen. Das ist mein Prinzip."

Der rote Sheriff ist in der Stadt, so klingt das. Was der Kanzler anpackt, wird auch gemacht. Die Ampel liefert. Daran hatte es Zweifel gegeben – ausgerechnet jetzt.

Wahlkampfabschluss der SPD in Sachsen. Der Neumarkt im Zentrum von Chemnitz ist am Dienstagmittag gut gefüllt. Die Sonne knallt, der Schatten ist rar. Scholz hat die Ärmel hochgekrempelt, auch im übertragenen Sinne. 

Vor dem Schicksalssonntag gibt sich der Kanzler kämpferisch, zeigt Präsenz, stemmt sich gegen den Abwärtstrend, der seine SPD laut Umfragelage aus den Landtagen in Sachsen und Thüringen bugsieren könnte. Es wäre eine historisches Zäsur für die Partei, weit mehr als eine bittere Niederlage. Am Abend wird Scholz noch in Brandenburg erwartet, dort wird am 22. September gewählt. 

Es ist ein Endspurt nach der Devise: Die meisten entscheiden sich erst kurz vor der Wahl, wo sie ihr Kreuz machen – also jetzt nochmal Vollgas. Tatsächlich ist rund ein Viertel der Sachsen noch unentschlossen. Kann Scholz helfen?

"Solingen überschattet den gesamten Wahlkampf" 

Zwei große Themen haben den Wahlkampf in Sachen Lautstärke bisher bestimmt: der Ukraine-Krieg und die Migration. Nun ist es fast nur noch die Migration. 

Der tödliche Messerangriff von Solingen habe ihn "sehr bewegt", sagt Scholz, nun deutlich leiser. Ein Ersthelfer habe ihm berichtet, wie er einen Pullover auf die große, blutende Wunde eines Opfers gedrückt habe. Viele seien noch "geschüttelt" von den Erlebnissen, Scholz selbst offensichtlich auch. "Das werden wir uns nicht antun lassen von den Islamisten", sagt er.

Keine 24 Stunden zuvor hatten Kanzler und Koalition ein Signal der Härte und Handlungsfähigkeit ausgesendet, ein "Sicherheitspaket" mit Messerverbotszonen und schärferen Regeln für Asylbewerber geschnürt. Am Freitagmorgen startete ein erster Abschiebeflug mit Straftätern ins afghanische Kabul. Der Kanzler versucht damit auch den Nachweis zu erbringen, dass ihm das Land eben nicht entgleitet, wie ihm unmittelbar nach dem Anschlag vorgeworfen wurde. 

Ampel-Sicherheitspaket Solingen 17.58

Der Zeitpunkt für die Offensive, kurz vor den Wahlen, dürfte somit kein Zufall sein. "Solingen überschattet den gesamten Wahlkampf", sagt Petra Köpping, SPD-Spitzenkandidatin und Sozialministerin in Sachsen, die vorher auf der Bühne spricht. Sie meint damit wohl eher das tragische Ereignis an sich, weniger die politische Debatte, die daraufhin entbrannt ist. Beides dürfte zutreffen. Wie Scholz betont auch sie, dass man sich nicht auseinander treiben lassen dürfe, zusammenstehen müsse. 

"Zuhören und lösen", das ist Köppings Devise. Es gehe um Sachsen, sagt sie. Auch deswegen habe sie Bundespolitiker zum Wahlkampf eingeladen, obwohl das viele verwundert habe. Schließlich würden die in Berlin für Sachsen arbeiten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Köpping kann sich nicht erlauben, auf Wahlkampfhilfe und Aufmerksamkeit zu verzichten. 

Olaf Scholz und die Zögerlichkeit

Auf Plakaten wirbt die SPD Sachsen mit landespolitischen Themen, für "Mehr Lehrer" oder "Gute Kitas und Schulen", doch dringt damit gegen die schrillen Botschaften von AfD und BSW kaum durch. Ausweislich der Umfragen bewegen sich die Sozialdemokraten gefährlich nah an der 5-Prozent-Hürde, der politischen Todeszone. 

Zwischen Schlüsselrolle und Scherbenhaufen, Wohl und Wehe liegen wenige Prozent. Gelingt der SPD der Wiedereinzug, ist eine Regierungsbeteiligung wahrscheinlich, um Extreme und Populisten in Verantwortung zu verhindern. Gelingt das nicht, dann werden die nächsten Wochen auch für den unbeliebten Kanzler und seine unbeliebte Koalition ziemlich ungemütlich. 

Es geht um Sachsen, ja – aber auch um ein bisschen mehr. 

Und so brüllt Scholz regelrecht seine Erfolge und Prinzipien ins Publikum, damit sie nicht in den "Hau ab!"-Rufen einiger offenkundig rechtsextremer Störer am Rande des Marktplatzes untergehen. Faire Löhne, stabile Renten, mehr Fachkräfte – auch durch Migration, aber geregelte – und die Ansiedlung von Halbleiterproduktion in Ostdeutschland. "Einige sind so sehr mit Schreien beschäftigt, dass sie das mit der Zukunft gar nicht mitkriegen", ruft der Kanzler.

Lauterbach Interview

Doch geht es doch noch um den Ukraine-Krieg, ein Thema, das insbesondere von der Wagenknecht-Partei im Landtagswahlkampf hochgezogen wird. "Beim BSW geht es nur um Krieg und Berlin", moppert Spitzenkandidatin Köpping. Doch der Kanzler will es ansprechen. E ist eine Gelegenheit, seine sich selbst zugeschriebene Prinzipientreue zu betonen. 

 "Ich hab‘ ja gehört, ich sei zögerlich", sagt Scholz. Doch die Wahrheit sei: "Ich war standhaft. Und ich will es auch bleiben." Bei aller Unterstützung für die Ukraine, die nicht abreißen dürfe, werde es aber eine Eskalation zwischen der Nato und Russland mit ihm nicht geben. "Das ist auch meine Aufgabe und dazu stehe ich." Hier klingt er schon wieder ein bisschen nach Friedenskanzler. 

Auf die Waffenlieferungen geht Scholz nicht explizit ein, die Stationierung von US-Raketen in Deutschland erwähnt er nicht. Stattdessen spricht Scholz von der Entspannungspolitik Willy Brandts, die keine Grenzverschiebungen zum Grundsatz gehabt hätten, einer perspektivischen Rückkehr zur Rüstungskontrolle und über die ersten Friedensgespräche. Nächstes Mal solle auch Russland dabei sein, erzählt Scholz, wenngleich immer klar sein müsse: Präsident Putin werde niemals in den Geschichtsbüchern nachlesen können, dass er sein Land vergrößert habe. Klare Ansage, auch hier. 

"Glückauf", ruft Scholz zum Abschied. Glückaus ist für ihn keine Option. 

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